Hijra
Hijra oder Hidschra ist in Südasien eine Bezeichnung für trans- oder intergeschlechtliche Personen in Indien, Pakistan und Bangladesch, von denen einige aus eigener Entscheidung Eunuchen sind. Hijras sind in mehreren südasiatischen Ländern offiziell anerkannt als drittes Geschlecht und werden dort als weder vollständig männlich noch weiblich angesehen.
Der Ausdruck „hijra“ ist ein Hindi-Urdu-Wort, abgeleitet von der semitisch-arabischen Wurzel hjr* in der Bedeutung „mit etwas brechen, verlassen, im Stich lassen, verstoßen, auswandern, fliehen“. Die indische Verwendung des Wortes hijra wurde traditionell ins Englische übersetzt als eunuch (Eunuch) oder hermaphrodite (Hermaphrodit), wobei „die Unregelmäßigkeit der männlichen Genitalien im Mittelpunkt der Definition steht.“
Hijra sind auch bekannt als Aravani, Aruvani oder Jagappa. In vielen Sprachen Indiens, besonders außerhalb von Nordwestindien, werden andere Begriffe wie „chhakka“ verwendet. Hijras sind seit dem Altertum auf dem indischen Subkontinent historisch belegt, beispielsweise im Kamasutra (ab 200 n. Chr.).
Viele Hijras leben in genau definierten und organisierten Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaften, angeführt von einer Guru-Mutter. Die wichtigste Beziehung in der Hijra-Gemeinschaft ist die von Guru (Meisterin, Lehrerin) und Chela (Schülerin). Eine Guru-Mutter muss für die materiellen und spirituellen Bedürfnisse ihrer Schülerinnen Sorge tragen und hat dafür ein Anrecht auf Loyalität und einen Teil ihrer Einnahmen.
Diese Gemeinschaften haben sich über Generationen hinweg erhalten durch die „Adoption“ von biologisch männlichen Jugendlichen oder Kindern, die von ihrer Herkunftsfamilie und anderen Personen wegen ihres femininen Verhaltens abgelehnt wurden und zu den Hijras fliehen, um ihre weibliche Geschlechtsidentität voll leben zu können, oder die in bitterster Armut leben, manchmal nach einer Periode homosexueller Prostitution. Um zu überleben, arbeiten viele Hijra als Sexarbeiter.
Nur wenige Hijras sind jedoch von Geburt an intergeschlechtlich. Die meisten sind physisch männlich geboren, viele haben jedoch eine weibliche Geschlechtsidentität im Sinne der Transgeschlechtlichkeit. Nicht selten unterziehen sie sich einer Nirwaan genannten Totalkastration, oft schon in jugendlichem Alter, um eine weitere Vermännlichung ihres Körpers zu verhindern. Sie leben als Frauen und manche Hijras erlangen durch einen solchen Eingriff eine deutliche Verweiblichung.
Sprachlich bezeichnen sich Hijras selbst meist als weiblich, als transgender und kleiden sich dementsprechend. Von der konservativen Außenwelt werden sie dennoch häufig als Eunuchen oder als „kastrierte Männer“ bezeichnet.
Seit dem späten 20. Jahrhundert haben einige Hijra-Aktivisten und westliche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Lobbyarbeit geleistet für die offizielle Anerkennung der Hijra als drittes Geschlecht oder dritte Geschlechtsidentität, als weder Mann noch Frau.
In Indien wurden die Hijras 2009 als drittes Geschlecht anerkannt, 2011 auch in Pakistan, dort regional als Khusra bezeichnet. Damit waren die Hijras zu diesem Zeitpunkt weltweit das einzige offiziell anerkannte dritte Geschlecht. In Bangladesch bekamen Hijras die Anerkennung 2013 zugestanden und genießen seitdem eine Bevorzugung in der Ausbildung. In Indien wurden alle Hijra sowie Transmenschen, Eunuchen und Intergeschlechtliche vom Obersten Gerichtshof im April 2014 als drittes Geschlecht anerkannt. Nepal erkannte 2015 die rechtliche Existenz eines dritten Geschlechts an und ermöglicht – wie Indien auch – einen entsprechenden Geschlechtseintrag in offiziellen Dokumente; dort gibt es neben einigen Hijras auch Meti und Kothi (siehe auch Divers sowie Länder mit einem dritten Geschlechtseintrag).