Kulturträgertheorie
Als Kulturträgertheorie wird eine bestimmte Sichtweise des deutsch-slawischen Verhältnisses vor allem in der Zeit des hochmittelalterlichen Landesausbaus in der Germania Slavica bezeichnet einschließlich der daraus resultierenden Folgen. Diese Theorie ging von einem in zivilisatorischer Hinsicht statischen Entwicklungsgefälle zwischen dem deutschen Altsiedelland und den im Vergleich hierzu rückständigen slawischen Ländern aus und bewertete die „ostdeutsche Kolonisation“ als den eigentlichen Grundstein der staatlichen und geschichtsprägenden Formgebung Ostmitteleuropas.
Diese nationalistisch geprägte Theorie wurde besonders stark vertreten im Rahmen der „Ostforschung“, vor allem in der Zeit zwischen etwa 1850 und 1950. Sie trat oft auf in Verbindung mit der „Urgermanentheorie“ und bekam in der NS-Zeit eine besondere Zuspitzung durch den biologisch-rassistischen Blickwinkel des Nationalsozialismus. Sie diente nach 1945 insbesondere den Heimatvertriebenen der deutschen Ostgebiete als moralischer Anspruch auf Rückgabe der Ostgebiete des Deutschen Reiches. Seit Beginn der 1990er Jahre gilt sie als eindeutig widerlegt und wissenschaftstheoretisch überwunden.
Das Gegenstück zur Kulturträgertheorie ist das Schlagwort vom „Deutschen Drang nach Osten“, mit dem die deutschen Zuzügler in die mittelalterliche Germania Slavica nicht als Kulturbringer, sondern als Aggressoren gekennzeichnet werden.
Die Kulturträgertheorie ist Gegenstand der Historischen Stereotypenforschung. Unbeschadet des Ausklingens der einseitig nationalen „Ostforschung“ tritt noch heute das Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“ und der „Polacken“ auf. Der Artikel dokumentiert daher ausführlich deutsche Sichtweisen auf das deutsch-slawische Verhältnis im Hinblick auf kulturelle Wert- oder Geringschätzung, die bisher in den Artikeln Slawenfeindlichkeit, Geschichtsschreibung über die Wenden und Außenpolitik Polens eher zu kurz behandelt worden sind. Zum Wechsel der Sichtweise siehe z. B. Art. Geschichtsbild von der Entstehung der Mark Brandenburg.