Leben und leben lassen (Erster Weltkrieg)
Als Leben und leben lassen wird das spontane Zustandekommen von nicht-aggressivem Verhalten zwischen Truppenteilen bezeichnet, die sich während des Ersten Weltkriegs an der Front als Feinde gegenüberstanden. Nach dem ersten Zustandekommen konnte dieses Verhalten zu einem System der instabilen Kooperation ausgebaut werden. Dies geschah durch Gewaltvermeidung oder ritualisierte Gewaltanwendung ohne Verletzungsabsicht wie auch durch Deeskalation, aber auch mittels vorhersehbarer und maßvoller Vergeltung bei Übertretungen der impliziten Abmachungen. Die Verständigung mit dem Gegner geschah dabei im Gegensatz zum offenen Fraternisieren meist durch (Nicht-)Handeln anstelle von Sprache. Das Verhaltensmuster trat insbesondere während längerer Phasen der Stagnation im Stellungskrieg an der Westfront auf. Als bekanntestes, wenn auch untypisches Beispiel gilt der Weihnachtsfrieden von 1914. Am weitesten verbreitet war das System an ruhigen Frontabschnitten zwischen November 1914 und Ende 1916, bevor es durch offensive Patrouillen und Stoßtrupps auf Befehl höherer Stäbe unterminiert wurde, um schließlich mit der deutschen Frühjahrsoffensive von 1918 und dem folgenden Bewegungskrieg ganz zusammenzubrechen. Die Strategie „Leben-und-leben-lassen“ ist ein Untersuchungsgegenstand der Spieltheorie.