Lernbehinderung
Der Begriff der Lernbehinderung existiert im deutschsprachigen Raum seit den 1960er-Jahren. Seitdem gab es einige Versuche, den Begriff zu definieren. Die eingängigste und plausibelste Definition liefert der Pädagoge Gustav Otto Kanter mit der These, dass eine Lernbehinderung ein „langandauerndes, schwerwiegendes und umfängliches Schulleistungsversagen“ bedeutet, das in der Regel mit einer Beeinträchtigung der Intelligenz einhergeht, die jedoch nicht so schwerwiegend ist, dass es sich um einen Fall von geistiger Behinderung handelt.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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F81 | Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten |
F81.0 | Lese- und Rechtschreibstörung |
F81.1 | Isolierte Rechtschreibstörung |
F81.2 | Rechenstörung |
F81.3 | Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten |
F81.8 | Sonstige Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten |
F81.9 | Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten, nicht näher bezeichnet |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
„Im Sinne“ („sensu“) Kanters präzisiert Karl-Heinz Eser 2005 diese Definition: „Lernbehinderung ist ein breites und vielschichtiges Grenzsyndrom sensu Kanter auf dem Kontinuum zwischen ‚Geistiger Behinderung‘ im engeren Sinne und ‚Normalentwicklung‘, ohne eine qualitativ eigene, eindeutige und klar abgrenzbare Störungskategorie zu bilden.“ – eine „Behinderung auf den zweiten Blick.“ Laut Eser entspricht der deutschsprachige Begriff „Lernbehinderung“ in etwa dem englischsprachigen Begriff „Borderline Intellectual Functioning“ (wörtlich: „Grenzwertige intellektuelle bzw. geistige Leistungsfähigkeit“). Das britische Verständnis von „Learning Disability“ (LD) steht dem deutschen näher als das amerikanische, das vor allem Teilleistungsstörungen (etwa Legasthenie und Dyskalkulie) meint.
Von praktischer Bedeutung ist der Begriff der „Lernbehinderung“ vor allem bei der Feststellung eines Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Bildungs- und Unterstützungsangebot im Förderschwerpunkt Lernen an einer Förderschule oder allgemeinen Schule. Auch bei Erwachsenen macht sich eine als „Lernbehinderung“ diagnostizierte Schwäche in der Kindheit und Jugend noch negativ bemerkbar, vor allem auf dem Arbeitsmarkt sowie bei den Themen Gesundheit und Strafrecht.