Martin Luthers Romreise
Martin Luther (1483–1546) soll nach einer lange Zeit herrschenden Forschungsmeinung etwa im Oktober/November 1510 als Begleiter eines älteren, namentlich nicht bekannten Mönches von Nürnberg nach Rom gewandert sein. Luther begleitete den Verhandlungsführer als ein socius itinerarius. Dabei hätten die Reisenden die Alpen im Winter überqueren müssen. Gegen Ende März 1511 dürfte Luther dieser Rekonstruktion zufolge, die im Wesentlichen auf Heinrich Böhmer basiert, nach Nürnberg zurückgekehrt sein. Luther selbst habe nämlich laut Böhmer fast immer das Jahr 1510 als Beginn der Romreise angegeben. Die Datierungen von Philipp Melanchthon, Cochläus und des augustinischen Ordenshistoriographen Felix Milensius, die alle das Jahr 1511 anführen, versucht Böhmer hingegen als unglaubwürdig darzustellen.
Im vorliegenden Artikel wird die unter dieser Prämisse anzunehmende Reiseroute Martin Luthers nachvollzogen. Die Vorgeschichte wird dabei älteren Forschungsannahmen, z. B. denen von Böhmer („ältere“ Hypothese), folgend dargestellt, die als Anlass der Reise eine Berufung durch Papst Julius II. im Auftrag der renitenten Reformklöster vermuteten, denen Luther angehörte.
Da ein solcher Protest nicht nachzuweisen ist und der Reiseanlass aus ordenspolitischer Sicht wenig plausibel erscheint, geht eine neuere Untersuchung von Hans Schneider („neuere“ Hypothese) von einer Abreise Luthers erst ein Jahr später von Wittenberg (nicht Nürnberg) im Auftrag seines Mentors Johann von Staupitz aus und datiert die Ankunft in Rom vor Ende November 1511.
Die schwer zu bewältigende Alpenüberquerung im Winter wäre damit gar nicht notwendig gewesen. Die Rückreise von Rom hätte zu Jahresbeginn 1512 stattgefunden. Bald danach, im Mai 1512, nahm Luther an einer Ordensversammlung in Köln teil, auf der ein Kompromiss in der strittigen Unionsfrage geschlossen wurde, die durch die Reise geklärt werden sollte, was die Hypothese einer späteren Reisedatierung stützt.
Luthers Reise fiel in die Zeit der Italienischen Kriege, genauer des Krieges der Heiligen Liga (1511–1513). Die 1511 von Papst Julius II., Kaiser Maximilian I., Ferdinand II., dessen Schwiegersohn Heinrich VIII. von England, der Republik Venedig und den Schweizern gegen das von König Ludwig XII. regierte Frankreich geschlossene Heilige Liga (Lega Santa del 1511) bereinigte die Lage zunächst, sodass sich die französischen Truppen am 4. Oktober 1511 aus dem Herzogtum Mailand zurückziehen mussten. Im März 1513 wechselte die Republik Venedig jedoch die Seiten und verbündete sich mit Frankreich, was die politische Situation weiter verkomplizierte. Am 6. Juni 1513 besiegten die Schweizer Ludwig XII. in der Schlacht bei Novara und setzten die Sforza wieder als Regierende in Mailand ein.