Rezeptionsästhetik
Die Rezeptionsästhetik fragt nach der gedanklichen und emotionalen Wahrnehmung künstlerischer Werke und inwieweit sie bereits im Gegenstand angelegt ist bzw. erst im Prozess der Rezeption entsteht.
Zuerst eine Richtung der Literaturtheorie, befasst sie sich inzwischen mit allen Künsten. Rezeption ist abgeleitet vom lateinischen recipere (empfangen, aufnehmen), Ästhetik vom altgriechischen αἴσθησις aísthesis (Wahrnehmung). Gelegentlich wird die Rezeptionsästhetik auch nach ihrem Ursprungsort als Konstanzer Schule bezeichnet. Die angelsächsische Variante der Rezeptionsästhetik wird reader-response criticism genannt.
Mehrere Strömungen lassen sich heute unter dem Begriff einander gegenüberstellen. Die Differenzierung erfolgt dabei vor allem im Blick auf die theoretischen Konzepte, mit denen hier Bedeutung hergestellt wird. Es geht bei den meisten der Strömungen um das Verständnis, das der Gegenstand selbst erzeugt, dadurch, dass er von einer Verständnisposition ausgeht und diese mit Informationen beliefert – einen „impliziten“ vom Text selbst gestalteten Leser handhabt. Die Interpretation soll ermitteln, was dieser vorausgesetzte Rezipient bei voller Entfaltung des Textes (oder beliebigen Kunstwerkes in seinen Bedeutungsangeboten) verstehen muss. In Erweiterung dieses Ansatzes kann die Forschung notieren, wie sich das Verständnis historisch entfaltete. Forschungsrichtungen, die an realen „empirischen“ Lesern interessiert sind, an historisch nachweisbaren Rezipienten und ihren „Rezeptionszeugnissen“, an Notizen in Tagebüchern und Briefen etwa, aus denen sich ersehen lässt, wie sie bestimmte Bücher lasen, bestimmte Musik erlebten, bestimmte Bilder sahen, werden im Allgemeinen bereits der Sozialgeschichte der Literatur oder Kunst zugeordnet, auch wenn sie selbst den Begriff im Interesse an seiner Fortentwicklung für sich reklamieren können.
Die zentralen Vertreter der Konstanzer Schule waren der Romanist Hans Robert Jauß, der Latinist Manfred Fuhrmann, der Anglist Wolfgang Iser sowie der Germanist Wolfgang Preisendanz.