Mikrobielle dunkle Materie
Die mikrobielle dunkle Materie (englisch microbial dark matter) umfasst die überwiegende Mehrheit der mikrobiellen Organismen (in der Regel Bakterien und Archaeen), die (bisher) von der Mikrobiologie im Labor nicht kultiviert werden kann, weil beispielsweise aufgrund mangelnder Kenntnis oder extremer Lebensbedingungen die erforderlichen Wachstumsbedingungen nicht geschaffen werden können. Die Mikrobielle dunkle Materie hat nichts mit der Dunklen Materie der Physik und Kosmologie zu tun. Sie wird so genannt, weil es schwierig ist, sie effektiv zu untersuchen und weil mit den derzeitigen Methoden ihre Kultivierung nicht möglich ist, sodass diese Organismen in der offiziellen Taxonomie nicht in Erscheinung treten. Sie wird daher (ebenfalls) leicht übersehen, und es ist schwierig, ihr relatives Ausmaß abzuschätzen; eine anerkannte grobe Schätzung geht davon aus, dass etwa 99,999 Prozent aller Mikrobenarten unbekannt sind und nur etwa ein Prozent der mikrobiellen Arten einzelner ökologischen Nischen kultivierbar sind. Man vermutet, dass weniger als die Hälfte der Bakterien- und Archaeen-Phyla (Abteilungen/Stämme, derzeit offiziell höchste taxonomische Rangstufe bei diesen) durch kultivierbare Vertreter belegt sind (Stand 2013) und daher in der offiziellen Taxonomie nicht in Erscheinung treten. In der Tortengrafik der Biota des Catalogue of Life (COL) treten weder Archaeen noch Bakterien in Erscheinung, offenbar weil es im Vergleich zu dem eukaryotischen Phyla viel zu wenig bekannte Spezies gibt.
In den letzten Jahren wurden vermehrt Anstrengungen unternommen, die mikrobielle dunkle Materie zu entschlüsseln, indem DNA-Sequenzen aus Umweltproben mit kulturunabhängigen Methoden wie der Einzelzellgenomik (en. single cell genomics, auch Single cell sequencing: Genomanalyse von Einzelzellen), der Metagenomik sowie der Co-Kultivierung (gemeinsame Kultivierung mikrobieller Gemeinschaften, etwa Konsortien) gewonnen wurden. Diese Studien ermöglichten Einblicke in die Evolutionsgeschichte und den Stoffwechsel der aufgrund der sequenzierten Genome zu vermutenden Organismen und liefern zudem wertvolle Erkenntnisse, die für eine spätere Kultivierung dieser Mikroben erforderlich sind.