Erdmöbel
Erdmöbel bezeichnet das Behältnis, welches den Verblichenen als Dauerwohnstätte im tiefstmöglichen sozialistischen Siedlungsraum dienen soll.
Namensherkunft
Auf dem XXXIV Parteitag der SED 1965 wurde beschlossen, dass die Werktätigen in Zukunft Anspruch auf ein klassenloses Ableben haben sollen. Die Sozialistische Bestattungskultur soll auch in der Namensgebung zum Ausdruck kommen. Das kapitalistisch/ imperialistische Wort Sarg beschränkt den Verstorbenen auf eine einzige Silbe. Um den Westen zu übertreffen, wurde ein dreisilbiges Wort beschlossen. Nachdem das Planungskomitee zugestimmt hatte, da zur Zeit kein Mangel an dreisilbigen Wörtern bestand, wurde der Beschluss dem Ministerrat vorgelegt, welcher eine entsprechende Gesetzesvorlage ausarbeitete.
Geschichte
Das erste Erdmöbel wurde vom VEB Holzbearbeitung - Sachsen Paule zusammengepfuscht. Das Motto dieses Betriebes lautete: "Bei üns wüd immo Alles genocheld, und wenn ma Forbe dran müss, dann nähm wa dn Binsl oda 's wüd gespridzd!"
Der Betrieb produzierte gerade Möbel für den Export ins kapitalistische Ausland, so dass ein verunglückter IKEA- Schrank ohne größere Modifikationen als Ausgangsmaterial für den Prototypen verwendet werden konnte. Zunächst war geplant, Erdmöbel ebenfalls in Einzelteilen zum Selbstaufbau auszuliefern. Dies wurde jedoch verworfen, da die Versendung der notwendigen Imbusschlüssel an die Brigadeleiter des Bestattungswesens auf dem Dienstweg nicht zu realisieren war.
Entwicklung bis 1976
Das neue Produkt wurde von den Werktätigen gut angenommen und erfreute sich einer aufgrund der Monopolstellung zu erwartenden Beliebtheit. Innerhalb der Bestatterkollektive wurden insgesamt gute Erfahrungen gemacht. Lediglich der Dialog mit den Konsumenten musste geschult werden, damit auch offensichtlichen Provokationen konterrevolutionärer Elemente (z.B. "Gibds des auch in rod?") angemessen begegnet werden konnte.
Nach dem CCLXVI Parteitag
Wegen der steigenden Unzufriedenheit in den frühen 1970er Jahren beschloss der CCLXVI Parteitag der SED bereits 1954 eine allgemeine Qualitätsoffensive für Konsumgüter. Für die Erdmöbelproduktion bedeutete dies die Einführung verschiedener Modelle, aus welchen der Verbraucher auswählen sollte. Die Erweiterung der Angebotspalette gestaltete sich schwierig, da das zur Verfügung stehende Regal Ivar zunächst erheblich modifiziert werden musste. Letztendlich stellte sich heraus, dass die Konsumenten durch die Wahlmöglichkeit schlichtweg überfordert wurden, da ihnen dieses Konzept (auch im politischen Alltag) vorher unbekannt war. Von Seiten der Parteiführung wurde diese Erfahrung dankbar aufgenommen, zeigte sich dadurch doch eindrucksvoll, dass jegliche Unzufriedenheit auf Provokationen und Rowdytum westlicher Agenten zurückzuführen ist und keinesfalls auf Versorgungsmängel.
Nach 1980
Im September 1981 informierte der zuständige Minister für Wirtschaft das Planungskomitee über Schwierigkeiten, geeignete Verwender für die produzierten Erdmöbel zu finden. Um den laufenden Wirtschaftsplan nicht zu gefährden, wurden alle Organe und Ministerien aufgefordert, Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Das Politbüro konnte nur abschlägig bescheiden da: "... mit dem Ableben der Politbüromitglieder frühestens 1993 gerechnet wird".
Das Ministerium für Staatssicherheit erklärte sich schließlich zur Unterstützung bereit und vermittelte geeignete Abnehmer für Erdmöbel aus dessen umfangreichen Datenbestand. Auch die Grenztruppen konnten entscheidend zur Nachfragesteigerung beitragen. Diese Maßnahmen trugen auch erheblich zur Minderung der Wohnungsnot bei.
Technik
Das Erdmöbel besteht aus einer äußeren Hülle, welche das Innere umhüllt. Das Innere liegt dabei innerhalb der Hülle und wird durch diese vom Äußeren getrennt. Dabei kommt die Technik der sphärischen Umhüllung zum Einsatz. Diese Technik wurde zunächst theoretisch abgeleitet und durch empirische Ergebnisse optimiert. Der eigentliche Nutzen dieser Technik besteht jedoch darin, diesen Schwachsinnsabsatz auf fünf nichtssagende Sätze aufzublasen.
Der kaputte Verstorbene nimmt bei der üblichen Verwendung des Erdmöbel seinen Platz im Inneren ein. In der Mehrzahl aller Fälle ist er dabei auf die Mitwirkung von Helfern angewiesen.
Der Vorschlag sowjetischer Wirtschaftsfachleute, Erdmöbel aus anderen, leichter zugänglichen Materialien (z.B. alte Ausgaben der Prawda, Schallplatten von Karat, Reaktorbrennstäbe) herzustellen wurde von Sachsen Paule folgendermaßen kommentiert: "Von den Soffjeds lärnen, heissd Sieschen lärnen, und bei üns solln se lieschen lärnen."