Spiegelwelten:Rauchende Pinguine

Wir schreiben das Jahr 2015 und im Imperium Verdinga herrscht Aufruhr. Nach Jahren der Isolation war das Reich vor kurzem auf die Weltbühne zurückgekehrt. Nach großen innenpolitischen Veränderungen, wie die Abschaffung der Sklaverei, wollte man nun auch seinen schlechten Ruf im Ausland aufpolieren. Dem ansonsten inkompetenten Imperator Silva Berculini gelang es, diplomatische Verbindungen zu Verdingas Erbfeind Kinderland aufzubauen. Die Verhandlungen machten solch große Fortschritte, das Berculini zu einem Staatsbesuch in das Nachbarland reiste. Sein Ziel, die Hauptstadt Toys'r'us-City, erreichte er allerdings nie. Die Regierungsmaschine des Imperators wurde nämlich von Unbekannten im Osten Kinderlands abgeschossen.
Dies hatte weitreichende Folgen. Zwischen den Nationen brach eine neue politische Eiszeit aus, während beide ihre Armeen in Alarmbereitschaft versetzten. Im imperialen Senat drängen die Adeligen auf eine Invasion Kinderlands und eine Rückeroberung des ehemaligen verdingischen Territoriums. Hier beginnt diese Geschichte:

05. Dezember 2015

Erzähler: Ein kalter Wind weht durch die Straßen von Port-au Prince, ein Vorbote des nahenden Winters. Die Straßen der sonst so belebten Hauptstadt wirken wie ausgestorben und jeder, der jetzt noch unterwegs ist, versucht schnellstmöglich nach Hause, in die Reichweite eines warmen Kamins zu gelangen. Niemand beachtet die Dürre, in einen schwarzen Mantel der Marke "Geheimmission“ gekleidete Gestalt. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, eilt sie zielstrebig dem Hafenviertel entgegen.
Der Kälte zum Trotz, herrschte im Hafen der Hauptstadt noch ein reges Treiben. Betrunkene Seeleute und Soldaten torkelten durch die Gässchen und über die große Promenade. Die Spelunken sind gut gefüllt mit Männern, die sich Mut für den kommenden Krieg anzutrinken versuchten. Geschickt wich der Vermummte den unzähligen wandelnden Schnapsleichen aus, die scheinbar zwanghaft versuchten, mit ihm zusammenzuprallen. Die vielen ansprechenden Schenken und Amüsierbetriebe, die seit der Ernennung Berculinis gewaltige Umsätze einfuhren, ignorierte er. Seine Aufmerksamkeit galt dem schäbigsten Etablissement am Platz. Mit federnden Schritten hielt er direkt auf das Wirtshaus zu, das den seltsamen Namen "Wuthöhle" trug. Stickige, von Zigarettenrauch geschwängerte Luft schlug ihm entgegen, als er die kleine Kneipe betrat. Im schummrigen Licht des Schankraums konnte er nur ein paar vereinzelte Gäste ausmachen. Verwahrloste Gestalten mit blutunterlaufenen Augen, die allesamt Stammkunden zu seien schienen.
In der hintersten Ecke der Kaschemme lümmelte auf einem schäbigen, zerkratzten Stuhl mit fleckigem Polster ein Mann, der das Kunststück fertigbrachte, noch abgewrackter auszusehen als seine Sitzgelegenheit. Der schäbige Schemel bog sich unter dem Gewicht des massigen Hünen, der zwischen Stuhl und Tisch eingeklemmt zu seien schien. Sein Gesicht zierte eine große runde Nase, die vor allem aufgrund ihrer leicht rötlichen Färbung an einen Flaschenkürbis erinnerte. Über ihr lauerte ein Paar kleiner brauner Augen, mit denen der Mann habichtgleich im Raum umherspähte. Sein Gesicht umrahmte ein struppiger schwarzer Vollbart, der vom Fett der letzten Mahlzeit, die sein Besitzer zu sich genommen hatte, glänzte. Gekleidet war die seltsame Figur in eine verschlissene und abgetragene verdingische Militäruniform, die genau wie ihr Besitzer ihre besten Tage schon lange hinter sich zu haben schien. Über der Lehne seines Stuhls hing ein Gürtel, mit sagenhaften sieben geladenen Pistolen darin, sowie einem bösartig aussehenden Entersäbel, einem antiken Relikt der verdingischen Vergangenheit. Auf dem Tisch vor ihm stapelten sich leere Bierkrüge, der Riese schien der Bar in den vergangenen Stunden wohl einen guten Umsatz beschert zu haben. Mit festem Schritten durchquerte die vermummte Gestalt den Raum und nährte sich dem Tisch des Bärtigen. Dort angekommen griff sie sich einen nahen Stuhl und setzte sich würdevoll dem Trinkenden gegenüber. Dieser funkelte den Neuankömmling böse an.

Vermummter: Colonel Hotzenplotz nehme ich an?
Hotzenplotz: Dargo. Weißt doch ganz jenau wär ich bin. Reicht dat nich dass du mich und meine Einheit auf Eis gelegt hast. Willst dich jetzt wohl noch über mich lustig machen, hä!? "Seht ihn euch an den Hotzenplotz, den Säufer. Diese "Verschwendung von Steuergeld?" " Diesen wandelnden Affront gegen Kinderland?"
De Dargo: Es lag mir fern dich persönlich zu beleidigen, Colonel. Doch unter logischen Gesichtspunkten waren du und deine Leute in der Vergangenheit, nunja, überflüssig. Doch Dinge ändern sich. Ich habe dir ein Angebot zu machen. Eines, das du nicht ablehnen kannst, wenn du mir das kleine Zitat erlaubst.
Hotzenplotz: Un wat soll das sein, hm? Lass mich raten: die kleinen Scheißer haben den Schaumschläger von Berculini geklaut, hm? Und jetzt brauchst du plötzlich Leute, die ihn zurückholen ohne dabei mit Tausenden Legionären bei den Kiddies einzufallen.
De Dargo: In der Tat, wenn ich mich vielleicht nicht so derber Worte bedient hätte wie du es tust.
Hotzenplotz: Ha, guck dich doch ma um. Du brauchst mich nicht. Ich glaub, der Senat hat die Sache schon im Griff. Die Jungs hier sind alle aufm Weg nach Navarrone. Zusammen mit hunderten Zeppelinen, Kriegsschiffen und schwerem Gerät. Dat gjibt nen ganz großen Kriech Dargo.
De Dargo: Eben das will ich verhindern. Kannst du dir vorstellen, was ein weiterer sinnloser Vernichtungskrieg unserem Land antuen kann? Hat uns solch ein vorgehen je genützt? Dieser Krieg wird unser Ende sein, Hotzenplotz, wenn wir die Adeligen nicht aufhalten. Glaubst du, die anderen Staaten halten still wenn wir ein international anerkanntes Land überfallen. Glaubst du, die Kinder werden sich nicht wehren? Gerade du weißt am besten zu was sie fähig sind. Nein, eine Invasion kommt absolut nicht in Frage!
Hotzenplotz: Also sollen ich und meine Mädels für dich die Scheiße aus dem Kamin holen?
De Dargo: Wieder nicht die Worte die ich gewählt hätte, aber ja. Was ich will, ist eine Kommandoaktion. Eine kleine Truppe erfahrener Kämpfer, die mit der Billigung König Bobs den Imperator rettet. Und wer wäre im Umgang mit den Kindern erfahrener als deine Leute? Für eine solche Situation seit ihr ausgebildet worden.
Hotzenplotz: Nun glaube ma die Generäle hatten wohl eher nich vor uns für Rettungsaktionen einzusetzen. Ging im Training immer mehr so darum dem kleinen Scheißer Bob nen ewigen Mittagsschlaf machen zu lassen. Aber ja, Kommandoaktionen ham wa drauf. Die Fraje is immer noch: Was springt für uns dabei raus, wenn wa dir helfen?
De Dargo: Nun, neben der unwichtigen Kleinigkeit, das eure Heimat der Vernichtung entgeht, Ruhm, Ehre und ein fester Platz in der Armee. Wenn ihr Berculini heil zurückbringt, wird niemand mehr darüber nachdenken, euch aufzulösen.
Hotzenplotz: Meinst wohl, du wirst nicht mehr drüber nachdenken wat?
De Dargo: Na schön, ICH werde nicht weiter versuchen euch auflösen zu lassen.
Hotzenplotz: Dat is doch ma ein Wort. Garantier mir das schriftlich und ich bin dabei.
De Dargo: Ich werde umgehend ein Schreiben aufsetzen, sobald ich wieder im Senat bin.
Hotzenplotz: Prächtig. Also wie soll dat ablaufen? So eine Operation lässt sich nicht über Nacht organisieren.
De Dargo: Oh, wenn man früh genug mit den Vorbereitungen beginnt, kann man seine Nächte getrost mit schlafen verbringen. Was glaubst du, mit wem du es zu tuen hast? Am Pier 3 wartet ein Schiff, die Triumvirato, ein schwerer Dreadnought der neusten Generation, das dich nach Navarrone bringen wird. Auf der Insel wartet der Rest deines Teams auf dich. Ich habe mir erlaubt die "Mädels" grob zu instruieren, sie sollten also zur Abreise bereit sein. Die Ausrüstung ist bereit und für den Transport nach Kinderland ist ebenfalls gesorgt. Die Details erfährst du auf Navarrone. Kommandoeinsätze sollte man tunlichst nicht in Hafenkneipen besprechen.
Hotzenplotz: Du hast das geplant? Woher wusstest du denn, dass ich dabei bin?
De Dargo: Intuition, Menschenkenntnis, nenne es wie du willst. Außerdem wäre die Operation auch ohne dich durchgeführt worden. Ich hielt das Team ohne Commander nur für, sagen wir etwas unvollständig. Ich habe da einen gewissen Hang zur Perfektion, du verstehst?
Hotzenplotz: Schön, Schön. Is noch nich gesagt, dass dat wat wird. Durch deine Kürzungen sind wa nich mehr allzu Viele. Wie sollen wir denn das ausgleichen, hä?
De Dargo: Die Aspiranten werden euch begleiten.
Hotzenplotz: Wat?! Die Praktikanten meinste wohl! Die sind doch noch grün hintan Ohren und inna Ausbildung. Ich soll meine Veteraninnen nem Haufen Frischlingen anvertrauen!? Keiner von denen!
De Dargo: Ach, Fronterfahrung muss man sammeln. Leite sie entsprechend an und das wird schon werden. Wenn du mich jetzt entschuldigst, bei der momentanen Lage kann ich es mir kaum leisten, allzu viel von meiner Zeit in einer Bar zu verbringen. Ich nehme an, es ist alles geklärt?
Hotzenplotz: Ja... 'türlich. Schiff, Navarrone, Kinderland und durch den Fehler von einem von den Anfängern sterben. Hab ich schon kapiert.
De Dargo: Perfecto, das ist die richtige Einstellung. Warum das Licht am Tunnelende sehen, wenn es einem im Schatten so gut gefällt. Du kommst alleine zum Pier?
Hotzenplotz: Hmpf, dat krieg ich grad noch hin.
De Dargo: Dann läuft das Ganze wie besprochen. Ich werde in ein paar Tagen zu euch stoßen, es gibt hier noch einige Angelegenheiten die meine Aufmerksamkeit erfordern. Bis dahin, arrivederci.
Erzähler: Steif erhob sich der Erfinder und schritt zur Tür. Kurze Zeit später war er verschwunden. Hotzenplotz saß noch eine Weile an seinem Tisch und versuchte die Neuigkeiten zu verdauen. Dann erhob auch er sich und stapfte hinaus, die Straße hinunter zu Pier Drei. Während er durch die Straßen ging, grübelte er weiter über das Treffen mit de Dargo nach.
Hotzenplotz: Beklobbter Eierkopf. Der mit seinem dollen Plan. Nen Kampfeinsatz, dat ich nich lache. Die Mädels leiden schon an Burnout wenn sie ihre Kaffeetasse hochheben müssen. Die sind doch gedanklich alle im Ruhestand. Und die Praktikanten machen djat ganze noch viel schlimmer. Zu blöd um ne Glühbirne ohne Handbuch zu wechseln die Bande. Und wer darf djen Schweinestall ma wieder aufräumen? Der blöde Hotzenplotz.
Erzähler: Weiter vor sich hin brummend stapfte der Colonel die Promenade entlang. Die Betrunkenen machten einen großen Bogen um den griesgrämigen, bärtigen Riesen, wohl einer Art unterbewusstem Überlebensinstinkt folgen. Ein weniger intuitiver Dampflegionär in einem rosa T-Shirt mit der Aufschrift "NAVARONNE 2015 - Saufen bis der Doktor kommt", wurde von Hotzenplotz per Fußtritt ins Hafenbecken transportiert, nachdem er versucht hatte, den Offizier zu umarmen.
Hotzenplotz: "DJAT KOMMT DAVON WENN DU MICH NERVST DU FLITZPIPE!!!". Die ganze Stadt is voller Bekloppter. Und auf der Festung wartet ne ganze Kompanie von solchn Vögeln auf mich! Na ja wenigstens hab ich aufm Schiff meine Ruhe. So Pier Drei. Och ne näh!.
Erzähler: Als der Erzieher sich dem Pier nährte, sah er zuerst einen gewaltigen imperialen Dreaghnought. Das Gefährt sah aus, als habe ein Sechsjähriger ein Kriegsschiff entworfen. Es war so über und über mit Kanonen bepackt, das es unter dem Gewicht all der Waffen zu taumeln schien. Vielleicht taumelte auch nur Hotzenplotz, der ja zuvor in der Kneipe das Bier mehr in Massen als in Maßen konsumiert hatte. Der Unmut des Colonels galt der Menschenmenge, die sich vor dem Schiff versammelt hatte. Um die siebzig Männer und Frauen in schwarzen Smokings standen am Dock, in Dreierreihen aufgestellt vor dem Dreadnought. Jeder von ihnen hielt ein Musikinstrument in der Hand, beziehungsweise im Falle dreier dicker Männer mit Pauken hatte es vor sich aufgebaut. In der Gruppe schien alles vertreten zu sein, was die Klassik an Instrumenten so kannte. Flöten, Violinen, Trompeten, Tubas, Kontrabässe und viele weitere Gerätschaften. Was Hotzenplotz so aus der Haut fahren ließ, war ein weißbärtiger Mann, der vor der Musikermeute stand. In seinen Händen hielt er ein kleines weißes Schild. "Hotzenplotz" stand darauf. Mit versteinertem Blick stapfte der Offizier auf die Truppe zu und versuchte, sich so gut es ging an ihnen vorbei an Bord zu stehlen. Er war keine drei Meter weit gekommen, da ging der Weißbart mit dem Schild ihm entgegen.
John William: Herr Hotzenplotz! Wunderbar, das sie endlich eintreffen. Wir haben uns schon Sorgen gemacht wo sie stecken. Sind sie bereit aufzubrechen? Unsere Reise ins Kinderland wird sicher ein ganz famoses Abenteuer. Ach, wir sind doch alle so aufgeregt.
Hotzenplotz: Wat? Was seid ihr denn für ne Clownstruppe. Unsre Reise? Bei dir hackts Wohl!
John William: Hackt? Mitnichten, es klopft höchstens mal im Takt. Hi, Hä, Hi. Wenn sie den kleinen Musikerwitz verzeihen. Wer wir sind? Das New Londoner Symphonieorchester natürlich.
Hotzenplotz: Ja? Und wat wollt ihr von mir? Wat habt ihr überhaupt im Imperium zu suchen?
John William: Wir sind hier auf Einladung Herrn de Dargos. Der gute Sir möchte, dass sie auf ihrer Reise angemessen musikalisch begleitet werden. Es ist schön, wenn noch jemand unsere Kunst zu schätzen weiß. Bei uns zu Hause, nun ja, weiß man unser Genie einfach nicht zu schätzen. Den ganzen Tag zwingt man uns, dümmliche Stadiongesänge zu spielen. Und sobald man versucht, diese etwas kreativer zu gestalten, hier und da ein kleines Crescendo oder ein Geigensolo einbringt, tja dann. Dann wird man man mit Bierdosen beworfen und aus dem Land gejagt! Diese Barbaren! Darum freut es uns, einen Kulturfreund wie sie auf seiner Reise begleiten zu dürfen.
Hotzenplotz: Djat is auf Dargos Mist gewachsen? Dem Schrauberfutzi werd ich einen husten wenn ich ihn sehe. Und du Opa, du machst dich jetzt mit deinen Pinguinen schön vom Acker. Stellt euch von mir aus mit nem Hut inne Fußgängerzone. Ich geh jetzt an Bord und zwar alleine! Nee Stadionband brauch ich nich noch aufer Liste meiner Probleme.
Erzähler: Der raubeinige Verdinge versuchte den Dirigenten gerade, als Folge seiner Worte zur Seite zu schieben, da lief dieser plötzlich puterrot an. Bebend vor Zorn packte der schmächtige Frackträger den massigen Soldaten am Kragen. Geifer sprühte aus seinem Mund, als er Hotzenplotz ins Gesicht brüllte:
John William: DU DÄMLICHER STRASSENPENNER! WEN NENNST DU HIER EINE STADIONBAND!!! DIR SCHLAG ICH DEINE VERDAMMTEN ZÄHNE EINZELN AUS!!!
Erzähler: Zehn der Musiker stürzten sich auf ihren Leiter und konnten ihn mit Mühe und Not von dem verdutzten Colonel trennen. Schlagartig verwandelte dieser sich in einen freundlich lächelnden Alten zurück. Verdutzt und verwirrt starrte Hotzenplotz den Dirigenten an, der im freundlichsten Plauderton mit dem Gespräch fortfuhr.
John William: Bitte verzeihen sie mir den kleinen Aussetzer. Wo waren sie stehen geblieben? Ach ja, sie wollten uns mitteilen wie sehr es sie freut das wir sie begleiten werden.
Hotzenplotz: Wat? Öh, ja ja. Dat geht schon klar.
John William: Wundervoll! Wollen wir dann?
Erzähler: Völlig verdattert ließ Hotzenplotz zu, das der Alte ihm den Arm um die Schulter legte und mit sanfter Gewalt auf das Schiff eskortierte. Dort stellte der Dirigent ihn an der Reeling ab, um zu seinen Leuten zurückzukehren. Einige Zeit später lichtete das Schlachtschiff den Anker und schob sich hinaus auf die Nordsee, der Insel Navarrone entgegen.

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