Šamaš (Schamasch) war in der akkadischen und babylonischen Mythologie der Sonnengott, Gott der Gerechtigkeit und des Wahrsagens. Er entsprach dem Gott Utu der viel älteren Sumerer. Zwanzig war seine heilige Zahl, sein Symbol die Sonnenscheibe (mit 12 wellen- + 8 dreiecksförmigen Strahlen), dazu der Löwe und die Säge. Er wird oft dargestellt, wie er zwischen den Gipfeln des Zagrebgebirges emporzusteigen beginnt, seine Säge – mit der er sich den Weg mitten durch sie hindurch gebahnt hat – in der Hand.

Mythologie

Šamaš trat jeden Tag aus einer unten im Berg Maschu befindlichen Öffnung hinaus und stieg den Himmel hinan. Sein stahlendes Licht drang überallhin, wodurch er jedes Geheimnis, alle Wohl- und jede Missetat erkannte. Am Abend, nun im Westen hinter die Berge des Libanons gelangt, trat er wieder in die Erde ein und durchquerte sie in seinen (selbstgesägten?) Tunnel, um auf diesem Wege trockenen Fußes in den Osten zurück zu gelangen. So erschuf er dort, am Ende der damals bekannten Welt, einen neuen Morgen.

Warum der feurige Gott Šamaš des Nachts jenen Tunnel durchquerte (der Held Gilgamesch durcheilt denselben im gleichnamigen Epos binnen 12 Stunden) anstatt die Erde im Aether zu umrundem, wie es die Abendländer bis zur Kopernikanischen Wende glaubten, erklärt sich aus einem andern Aspekt der sumerischen Kosmogonie: Demnach besteht der unseren Planeten rings umgebende, ihn an seines Rändern (nahe den o. g. zwei Gebirgen) direkt berührende Himmel aus reinstem kosmischem Wasser; Feuer und Wasser aber stellen mythische Ur-Elemente dar, die sich nicht direkt miteinander vertragen. Erst einige Jahrtausende später gelang es den griechischen Naturphilosophen und unter diesen vor allem Heraklit, beide gemeinsam mit denen der Erde und der Luft in der Vier-Elemente-Theorie zu vereinigen.

Im Gilgamesch-Epos hilft Šamaš den beiden befreundeten Helden Enkidu und Gilgamesch bei ihrem Kampf gegen den die Zedern-Wälder des Libanongebirges kontrollierenden Dämonen Ḫumbaba, indem er gegen diesen mächtigen Feind dreizehn Sturmwinde entfacht. Er ist es auch, der die Erde bis hin ins Reich der Toten durchbohrt, um es Gilgamesch zu ermöglichen, seinen bald nach ihrem Sieg über den von der beleidigten Ishtar entfesselten Himmelsstier verstorbenen Freund ein letztes Mal zu sehen. Enkidus mitfühlende Worte sind erschütternd: Freund! Meinen Leib, den du sanft einst berührtest, er zerfällt schon und wird in Staub verwandelt. Dieser Verlust erklät die untröstliche Verzweiflung und Angst Gilgameschs vor dem eigenen Tode, welche ihm den Wunsch nach Unsterblichkeit entfacht, eine Illusion, die ihn bis ans Ende der Welt treibt (s. a. Grafik im Epos Athrahasis).

Unsterblichkeit ist nur dem göttlichen Lebensphänomen zu eigen, indem es das Verbrauchte abstreift wie die Schlange ihre alt gewordene Haut. Helios (Šamaš, Aton...) ist neu an jedem Morgen, stetig Fußes breit. (Heraklit).

Sprachforschung und Monotheismus

Die Wurzel Š-m-š bzw. S-m-s steht in allen semitischen Sprachen für „Sonne“, etwa im arabischen شَمْس (Schams) oder im Hebräischen שֶׁמֶשׁ (Schemesch).

Einige Autoren der jüngeren Gegenwart erwägen, ob es sich ursprünglich um eine weibliche Gottheit gehandelt haben kann. Erst als die weit ältere sumererische Kultur mit der der Akkader zusammentraf und deren Sonnengott Šamaš mit ihren Vorstellungen der Sonne als Utu verschmolzen wurde (diese überlagernd), sei aus dem einst weiblich gedachten Himmelsfeuer ein männlicher Gott geworden.

Einen Wechsel in wieder umgekehrten Sinne wurde infolge der Christianisierung des nordeuropäischen Kulturraumes durchgesetzt, denn bis dahin galt den dort nun vom römischen Imperium besiegten Indogermanen unser Zentralgestirn als ein männlicher Gott.

Letztere Interpretation, dergemäß der Himmel männlich sei, war typisch für viele Kulturen der Urmenschheit (s. a. Helios oder den Aton des Pharaos Ech'n-aton). Ergänzend blieb es die Regel, dass die Völker unserem Heimatplaneten das spezifisch weibliche Gebärvermögen mittels animistischer Projektion übertragen, ihn auffassend als Urmutter Erde, die aller Geschöpfe. Überhaupt gilt die 'Mater-ie' ihrem Namen nach bis heute als weiblich, mütterlich reproduktiv: als Matrix allen Geschehens.

Unter Umständen klärt sich die Annahme o. g. Autoren auf dem Wege der sprachwissenschaftlich gewonnenen Erkenntnis, dass die Sprachen der Urvölker regelmäßig Gegensätze in ein und demselben Wort verschmolzen, so dass z. B. nur leicht unterschiedliche Betonungen deutlich machten, welcher jeweils gemeint war.

Dies ist u. a. im altgriechischen Wort phos der Fall: Je nach längerer oder kürzerer Betonung des „o“, bedeutet sie 'der Licht' (lang) oder 'der Mann' (viel kürzer). Die Endung os zeigt das Maskulinum an, ph wiederum männlich kämpferische Attribute wie Šamaš' durchdringende Strahlkraft oder der Faustschlag (phix).

Ein männlich-weibliche Attribute verschmelzendes (Misch-)Wesen waren – so Hesiods Theogonie – am Anfang Himmel (Uranos) und Erde (Gäa); erst ihr Sohn Chronos habe die beiden in dauerhafter Begattung befindlichen Gottheiten mittels einer den Urvater kastrierenden Sichel getrennt. Eine ähnliche Verschmelzung findet sich in der nachträglich so genannte (S)Phi(n)x des griechischen Thebens. Dieses Mischwesen hat ein weibliches Gesicht, den Leib und die Pranken eines männlichen Löwen und dazu ist es geflügelt, um sich aufschwingen zu können 'gen Himmel. Den höchsten und weitest tragenden Überblick zu erlangen, war und blieb das Ansinnen aller Strategen, der Stratosphäre hinab und noch höher, nach überall hin (Weltraum-Teleskope; Satelliten). Zudem ist auch logisch, dass ohne den möglichst umfassenden, Licht ins Dunkel bringenden Überblick auf alles Geschehen, wie man ihn animistisch unserem Tagesgestirn zuschrieb, „Recht“ und „Gerechtigkeit“ schlimmstenfalls nur leere Worte darstellen. Dies macht verständlich, warum bei der Entstehung der monotheistischen Religion im „Gelobten Land“ der Sonnengott Ech'n-atons Model stand. So ein ausführlich behandeltes, unter anderem auch auf die Gesetzestafeln Hamirapis Bezug nehmendes Thema in Freuds Der Mann Mosis.

Geschichte

Anders als andere Götter kommt Šamaš nur in wenigen Mythen vor. Seine Hauptheiligtum war der Tempel E-Babbar in Sippar, jedoch gab es auch Tempel, die er sich mit anderen Göttern, z. B. dem Mondgott Nanna in Aššur, teilen musste. Als Sonnengott, der alles sehen konnte und die Dunkelheit bezwang, galt er auch als Gott der Gerechtigkeit und der Rechtsprechung. Dementsprechend ließ sich Hammurapi auf der berühmten Gesetzesstele, dem Codex Ḫammurapi darstellen, wie er die Herrschaftssymbole von Šamaš, dem Gott der Gerechtigkeit empfängt.

Während Šamaš in akkadischer und babylonischer Zeit als sanftmütiger Gott galt, und nur als Richter besondere Bedeutung hatte, bekam Šamaš in assyrischer Zeit durchaus einen kriegerischen Charakter und verschmolz teilweise mit dem assyrischen Gott Aššur. Darin gleicht er dem griechischen Helios, der in seinem von zwei feurigen Rossen gezogenen Kampfwagen alltaglich von neuem das Himmelsrund durchfuhr.

In griechisch-römischer Zeit war Šamaš unter den arabischen Einwohnern der syrischen Oasenstadt Palmyra beliebt. Er wurde besonders von Stammesmitgliedern der Bene Zabdibol zusammen mit dem arabischen Gott Rahim im Tempel der al-Lat, der „Herrin des Tempels“ verehrt. In Palmyra behauptete Šamaš seinen Platz neben den zur selben Zeit verehrten Sonnengöttern Jarḥibol und Malakbel. Auf mehreren Tesserae ist Šamaš mit dem Hochgott von Palmyra, Bel, abgebildet, was seinen Anteil am offiziellen Tempelkult des Bel unterstreicht.

Genealogie

Šamaš war der Sohn des Mondgottes Nanna/Sin. Mit der Göttin Aja (Anunitu) zeugte Šamaš die Söhne Mešaru (Mišaru) und Kettu (Kittu), die Personifikationen von Recht und Gerechtigkeit und seine ständigen Begleiter. Weitere Kinder sind die Traumgötter Mamu und Ziqiqu (Sisig), sowie Išum mit Ninlil.

Literatur

  • Jimmy Jack McBee Roberts: The Earliest Semitic Pantheon. A Study of the Semitic Deities Attested in Mesopotamia Before Ur III. Johns Hopkins University Press, London 1972, ISBN 0-8018-1388-3
  • Helmut Freydank u. a.: Lexikon Alter Orient. Ägypten, Indien, China, Vorderasien. VMA-Verlag, Wiesbaden 1997, ISBN 3-928127-40-3
  • Brigitte Groneberg: Die Götter des Zweistromlandes. Kulte, Mythen, Epen. Artemis & Winkler, Stuttgart 2004, ISBN 3-7608-2306-8
  • Peter Werner: Der Sîn-Šamaš-Tempel in Assur (= Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 122). Harrassowitz, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-447-05946-6
Commons: Šamaš – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Belege

  1. Übersetzt von Herman Diels: Die Vorsokratiker.
  2. Antonio Cho: Gilgamesch-Epos. Abgerufen am 3. Juni 2023 (Es ist die Schlange, welche dem Gilgamesch, als er schlief, das nah bei 'Noahs' Insel (Dilmun) aus dem kosmischen Urozean ertauchte Kraut des Ewigen Lebens wieder raubt. Als er wieder aufwacht sieht er nur noch ihre alte, abgestreifte Haut...).
  3. Übersetzt von Herman Diels: Die Vorsokratiker.
  4. Jimmy Jack McBee Roberts: The earliest semitic pantheon. Johns Hopkins University Press, London 1972
  5. Psychoanalyse: Über den Gegensinn der Urworte | Sigmund Freud. Abgerufen am 10. Juni 2023.
  6. Javier Teixidor: The Pantheon of Palmyra. (= Études préliminaires aux religions orientales dans l'Émpire romain 79). Leiden 1979, S. 64–66
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