Alphonse Marie Louis Prat de Lamartine (* 21. Oktober 1790 in Mâcon; † 28. Februar 1869 in Paris) war ein französischer Schriftsteller und Politiker. Sein Platz in der Literaturgeschichte ist hauptsächlich der eines Lyrikers.

Leben und Schaffen

Die jüngeren Jahre

Lamartine (wie er in Frankreich schlicht heißt) war ältestes Kind und einziger Sohn einer zum kleineren Landadel zählenden Familie. Seine Kindheit verlebte er, erzogen hauptsächlich von seiner streng katholischen Mutter, in Mâcon und auf dem Landgut der Familie im nahen Milly. Seine Schulzeit verbrachte er auf einem Internat in Lyon, wo er zwölfjährig ausriss, und danach auf einem ehemaligen Jesuitenkolleg in Belley (Département Ain). Da seine Eltern nicht wollten, dass er nach der Schule dem Kaiser Napoleon dienen sollte, bezahlten sie (was möglich war) einen Stellvertreter für den Militärdienst und hielten ihn auch von einer eventuellen Beamtenkarriere ab. So blieb er als junger Landedelmann zu Haus im Kreis der Familie. 1811/12 (d. h. in einem relativ kriegsfreien Jahr) unternahm er mit einem Freund eine längere Bildungsreise in das zu dieser Zeit von Frankreich beherrschte Italien. Insbesondere hielt er sich länger in Rom und noch länger in Neapel auf, wo er mit einer Antoniella eine Romanze hatte, die er später in dem Roman Graziella verarbeitete.

1812 wurde er zum Bürgermeister von Milly ernannt und reiste erstmals nach Paris. 1814, nach der militärischen Niederlage und Abdankung Napoleons und der Rückkehr der Bourbonen auf den französischen Thron, diente er König Ludwig XVIII. als Gardeoffizier in Beauvais und in Paris. Napoleons Herrschaft der Hundert Tage (März bis Juni 1815) verbrachte er in der Schweiz und in Savoyen. Nach kurzem nochmaligen Dienst als Gardeoffizier gab er im Herbst die militärische Laufbahn auf und lebte wieder in Milly als lesender und schreibender Privatier.

Die Anfänge als Lyriker und der erste Erfolg

Im Oktober 1816 verliebte er sich während einer Kur in Aix-les-Bains in die ebenfalls dort kurende tuberkulosekranke etwas ältere Madame Julie Charles, der er anschließend nach Paris folgte, wo er in ihrem Salon verkehrte. Zur verabredeten neuen gemeinsamen Kur im herbstlichen Aix kam es nicht mehr, weil Mme Charles zu krank war und wenig später starb. Lamartine wurde tief erschüttert durch ihren Tod und besang die Erinnerung an „Elvire“, wie er sie nun nannte, in wehmütigen Versen, zum Beispiel in den bekannten, häufig in Schulbüchern zu findenden Gedichten L’Isolement, Le Lac, oder Le Temple. Zurück in Milly stellte er 1818 eine Tragödie fertig, Saül, die aber nicht angenommen wurde.

Anfang 1819 wurde er auf der Hochzeit einer Schwester der reichen protestantischen Engländerin Mary-Anne Birch vorgestellt. Nachdem er sie im Spätsommer wiedergesehen hatte, hielt er um ihre Hand an und heiratete sie ein Jahr später.

Anfang 1820 erkrankte er schwer und näherte sich der zwischenzeitlich abgestreiften Frömmigkeit seiner Kindheit wieder an, wenn auch mehr im Sinne eines katholisierten Pantheismus. Im März veröffentlichte er einen Sammelband mit Gedichten aus den vorangegangenen Jahren: Méditations poétiques. Einflüsse der Vertreter der englischen Empfindsamkeit und frühromantischen Naturdichtung sowie Rousseaus sind unverkennbar. Das mit 118 Seiten und 24 Texten relativ schmale Bändchen war erstaunlich erfolgreich, machte Lamartine schlagartig bekannt und erlebte in zweieinhalb Jahren neun Auflagen. Es bedeutete zugleich den Durchbruch der romantischen Lyrik in Frankreich, das heißt einer Lyrik, die sich nicht mehr vorwiegend an den gebildeten Intellekt und Schönheitssinn richtete, sondern Leidenschaften und Stimmungen, erotische und religiöse Sehnsüchte, Träumereien und Natureindrücke bedichtete und das Gefühl ansprechen wollte.

Als Diplomat im Dienst von Ludwig XVIII.

Kurz nach seiner Hochzeit im Sommer 1820 ging Lamartine als Botschaftsattaché für mehrere Monate nach Neapel, der Hauptstadt des damaligen gleichnamigen Königreichs. Während der Rückreise Anfang 1821 kam in Rom Sohn Alphonse zur Welt, der aber 1822 starb, kurz nachdem in Mâcon ein zweites Kind, Julie, geboren worden war. 1823 versuchte Lamartine mit dem Bändchen Nouvelles méditations an den Erfolg der ersten Sammlung anzuknüpfen, was nur teilweise gelang. Das Jahr 1824 war ein dunkles Jahr für ihn. Seine beiden Schwestern starben kurz nacheinander. Seine Kandidatur für die Académie française scheiterte.

1825 trat er wieder in den diplomatischen Dienst und war zweieinhalb Jahre als Legationssekretär in Florenz tätig, der Hauptstadt des damaligen souveränen Herzogtums Toscana. Seine Tätigkeit ließ ihm aber, wie bei solchen Posten üblich, Muße, z. B. zum Lesen und Schreiben. Bei einem längeren Paris-Besuch im Sommer 1829 lernte er den anerkannten Autor Chateaubriand kennen und trat in Kontakt mit dem jungen Victor Hugo und dessen Kreis.

Ende 1829 in die Académie française gewählt, wurde er Anfang 1830 aufgenommen. Im Frühsommer kam sein Gedichtband Harmonies poétiques et religieuses heraus, der seine Rolle als eines der Chefs der jungen romantischen Schule bestätigte. Nach der Julirevolution und der Abdankung von König Karl X. 1830 quittierte er den diplomatischen Dienst, weil er, wie so viele Adelige, den „Bürgerkönig“ Louis-Philippe nicht als rechtmäßigen Herrscher betrachtete. Er beschloss, als Abgeordneter in die Politik zu gehen, scheiterte jedoch bei den Wahlen von 1831, obwohl er (was damals möglich war) in drei Wahlkreisen kandidiert hatte.

Orientreise und Jahre als Abgeordneter

Enttäuscht unternahm er 1832/33 auf eigenem Schiff mit Familie, Domestiken und Freunden eine ihn sehr prägende Orient-Reise, auf der er in Beirut seine zehnjährige Tochter durch Krankheit verlor. Seine gut beobachteten Eindrücke verarbeitete er in der umfangreichen Reportage Voyage en Orient (erschienen 1835), einem der zahlreichen Reiseberichte, wie sie die Schriftsteller der Zeit verfassten.

Noch vor seiner Heimkehr wurde er 1833 aufgrund einer Nachwahl doch noch Abgeordneter, zunächst in Nordfrankreich. Von 1838 bis 48 vertrat er dann, ständig wiedergewählt, den heimatlichen Wahlkreis Mâcon. Lamartines politische Position im Parlament, der Chambre des Députés, war zunächst die eines latent oppositionellen Einzelkämpfers, wobei er der sich entwickelnden katholischen Soziallehre nahestand. Das heißt, er war trotz einer patriarchalischen und konservativen Grundeinstellung aufgeschlossen für die humanitären und sozialen Fragen der Zeit, insbesondere für das Problem der Armut und der Proletarisierung der zunehmenden Arbeitermassen in den rasch wachsenden Städten.

Der Epiker und Historiker

Schon seit 1831 arbeitete er an einem Epos in Alexandrinern. 1836 und 1838 veröffentlichte er zwei fertige längere Teile daraus unter dem Titel Jocelyn und La Chute d’un ange („Der Sturz eines Engels“). Jocelyn, die zur Revolutionszeit spielende traurig-sentimentale Geschichte eines jungen Mannes, der seine Liebe opfert und mit ihr auch die Geliebte, Priester wird und sein Leben als selbstloser Menschenfreund beschließt, hatte beachtlichen Erfolg. La Chute d’un ange dagegen blieb ein Ladenhüter, so dass Lamartine auf den Abschluss des Werkganzen verzichtete. 1839 publizierte er den Gedichtband Recueillements poétiques, mit dem er aber nur noch einer unter den inzwischen vielen anderen romantischen Dichtern war. Als Reaktion auf die antifranzösischen Stimmungen in Deutschland, die von Ernst Moritz Arndt, Georg Herwegh und vor allem Nikolaus Becker („Rheinlied“) geschürt wurden, schrieb er 1841 eine „Marseillaise des Friedens“ in der Hoffnung, der Rhein möge beide Völker verbinden.

1843 brach er gänzlich mit dem plutokratischen, d. h. sich auf die Reichen im Lande stützenden Regime von König Louis-Philippe und entwickelte sich zum oppositionellen Republikaner und gefürchteten politischen Redner. Er begann seine monumentale Histoire des Girondins (gedruckt 1847), d. h. eine Geschichte der Partei der gemäßigten Revolutionäre von 1791 bis 1794. Nach Auffassung Walter Grabs handelt es sich bei besagtem Werk um eine „romantisierende Verklärung der Revolution mit zahlreichen Irrtümern und Erfindungen“.

Höhepunkt und Ende der Rolle als Politiker

Nach der Februarrevolution 1848, zu deren Ausbruch er mit seinen Reden beigetragen hatte, wurde Lamartine Außenminister sowie zugleich Chef der Provisorischen Regierung. Im April wurde er zum Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung der kurzlebigen Zweiten Republik gewählt. Die politische Praxis lag ihm jedoch nicht und machtbewusstere Kollegen wie der General Louis-Eugène Cavaignac drängten sich während des Juni-Aufstandes der Pariser Arbeiter vor ihn. Als er Ende 1848 für das neue Amt des Staatspräsidenten kandidierte, unterlag er kläglich gegen Louis Napoléon Bonaparte, den Neffen von Kaiser Napoléon I. und baldigen Kaiser Napoléon III.

Nach dieser Niederlage wurde Lamartine zwar 1849 nochmals Abgeordneter, doch mit dem Staatsstreich Bonapartes Ende 1851 war seine politische Rolle ausgespielt. Durch seine Wahlkampagnen verarmt (1860 z. B. musste er das Landgut seiner Familie in Milly verkaufen), lebte er mühsam von seiner Feder, u. a. von den mehrbändigen autobiografischen Confidences („Vertrauliche Geständnisse“, 1849–51), diversen historischen Sachbüchern, einigen sozial engagierten, aber wenig erfolgreichen Romanen (z. B. Geneviève, Histoire d’une servante, „G., Geschichte eines Dienstmädchens“, 1851) und seinem 1856–69 monatlich in einer Zeitschrift erscheinenden Cours familier de littérature (etwa: „allgemeinverständlicher Literaturkurs“).

Die letzten Jahre

1867 machte er, seit 1863 verwitwet und durch Krankheit geschwächt, noch seinen Frieden mit dem Regime des Second Empire von Napoléon III. und akzeptierte eine staatliche Pension sowie eine kostenlose Wohnung von der Stadt Paris.

Der hübsche und traurige autobiografische kleine Liebesroman Graziella (konzipiert 1844, publiziert 1849 als Teil der Confidences und ab 1852 auch als selbständige Publikation gedruckt) etablierte sich erst nach Lamartines Tod als Erfolgsbuch, das vielfach neu aufgelegt sowie zu einem Theaterstück, drei Opern und schließlich zwei Filmen verarbeitet wurde.

Rezeption

In Frankreich zählt der Lyriker Lamartine unbestritten zu den Großen der Romantik. Seine jahrzehntelange Verbindung literarischer und politischer Aktivität hat dazu beigetragen, dass der Typ des auch in der Praxis politisch engagierten Autors in Frankreich keine Seltenheit ist. Im deutschsprachigen Raum scheint er kaum bekannt geworden zu sein. Der Schriftsteller Michel Houellebecq erinnerte an ihn in seiner Dankesrede bei der Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises.

Werke

Deutsche Ausgaben

  • 1824: Der Tod des Sokrates. Ein Gemælde nach dem Französischen des Herrn v. Lamartine. F. Kaufmann’s Witwe (Google)
  • 1826: Auserlesene Gedichte von Alphonse de Lamartine. Metrisch übersetzt von Gustab Schwab. Mit beigefügtem französischem Texte. Stuttgart – Tübingen: J.G. Cotta (Google)
  • 1826: Johann Gabriel Seidl: Lieder der Nacht. Elegieen aus Alfons von Lamartine. Die Deutung. Wien: J.P. Sollinger (Google)
  • 1831: Poetische und religiöse Harmonieen. Aus dem Französischen übersetzt. 2 Teile. München: Joseph Rösl (Google: Band IBand II)
  • 1835: Alphons von Lamartine’s Reise in den Orient in den Jahren 1832 und 1833. Erinnerungen, Empfindungen, Gedanken und Landschaftsgemälde. Uebersetzt von Gustav Schwab und Franz Demmler. 3 Bände. Stuttgart: J.B. Metzler (Google: Band IBand IIBand III)
  • 1839–1843: A. von Lamartine’s sämmtliche Werke. Üb. G. Herwegh. 6 Bände. Stuttgart: L.F. Rieger & Comp.
    • Band I: Ueber die Bestimmung der Poesie. Erste poetische Betrachtungen. Neue poetische Betrachtungen. Vermischte Gedichte (Google)
    • Band II: Erinnerungen, Empfindungen, Gedanken und Naturgemälde, während einer Reise in den Orient in den Jahren 1832 und 1833, oder Bemerkungen eines Reisenden Teil I (Google)
    • Band III: Erinnerungen, Empfindungen, Gedanken und Naturgemälde, während einer Reise in den Orient in den Jahren 1832 und 1833, oder Bemerkungen eines Reisenden Teil II (Google)
    • Band IV: Erinnerungen, Empfindungen, Gedanken und Naturgemälde, während einer Reise in den Orient in den Jahren 1832 und 1833, oder Bemerkungen eines Reisenden Teil III (Google)
    • Band V: Jocelyn (Google)
    • Band VI: Der Fall eines Engels. Episode. Uebersetzt von Gustav Diezel (Google)
  • 1847: Geschichte der Girondisten. Aus dem Französischen. 8 Bände. Leipzig: Brockhaus & Avenarius (Digitalisate: Band IBand IIBand IIIBand IVBand VBand VIBand VIIBand VIII)
  • 1849: Geschichte der Februar-Revolution in Frankreich nach Alphons de Lamartine. Leipzig: Carl B. Lorck (= Historische Hausbibliothek Band 12) (Google)
  • 1854–1855: Geschichte der Türkei. Deutsch von Johannes Nordmann. 8 Bände. Wien: J.B. Wallishausser (Google: Band I/IIBand III/IVBände V/VIII)
  • 1859: Der Steinhauer von Saint-Point. Ländliche Erzählung. Leipzig: Voigt & Günther (Google)

Originalausgaben

  • Saül (1818)
  • Méditations poétiques (1820, anonym erschienen, erweiterte Fassung 1841)
  • Nouvelles Méditations (1823)
  • Harmonies poétiques et religieuses (1830)
  • Sur la politique rationnelle (1831)
  • Voyage en Orient (1835)
  • Jocelyn (1836)
  • La chute d’un ange (1838)
  • Recueillements poétiques (1839)
  • Histoire des Girondins (1847)
  • Histoire de la révolution de 1848 (1849)
  • Raphaël (1849)
  • Confidences (1849–51); darin 1849 enthalten Graziella
  • Geneviève, histoire d’une servante (1851)
  • Le Tailleur de pierre de Saint-Point (1851)
  • Graziella (1852); erste separate Publikation
  • Les visions (1853)
  • Histoire de la Turquie (1854)
  • Cours familier de littérature (1856–1869)
  • La Vigne et la Maison (1857)

Gesammelte Werke (frz.)

  • Oeuvres de Lamartine de l’Académie française. Paris 1840 Volltext in der Google-Buchsuche
  • Poésies de V. Hugo, de Lamartine, de Delavigne et de Béranger |anthologie dédiée à la jeunesse. Graeser Charles, Hugo Victor, 1845, Marienwerder: Levysohn Verlag

Literatur

  • Porträts aus der französischen Deputirtenkammer. A. de Lamartine. In: Illustrirte Zeitung. Nr. 38. J. J. Weber, Leipzig 16. März 1844, S. 182–184 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
Commons: Alphonse de Lamartine – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Karl Voss: Wege der französischen Literatur. Berlin 1965, S. 279 ff.
  2. Walter Grab (Hrsg.): Die Französische Revolution - Eine Dokumentation. Bastei Lübbe, 1989, ISBN 3-404-64085-3, S. 439.
  3. faz.net
VorgängerAmtNachfolger

François Guizot
Außenminister von Frankreich
24. Februar 1848 – 11. Mai 1848

Jules Bastide
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