Die Aquatinta, auch als Tuschätzung, Bistermanier oder Ätzlavierung bezeichnet, ist ein spezielles Verfahren der künstlerischen Druckgrafik, bei dem über Flächenätzung Halbtöne erzeugt werden. Sie gilt als eine der malerischsten Tiefdrucktechniken.
Geschichte
Die Aquatinta-Technik beruht auf einem Ätzvorgang. „Dies will auch der Name besagen: der dunkle Plattenton (tinta) wird durch die Säure (aqua fortis) hergestellt.“ Als zweite Flächentechnik im Tiefdruck nach der Schabkunst wurde sie zwischen 1765 und 1768 von Jean Baptiste Leprince erfunden. Vielfach wird das Aquatinta-Verfahren mit der Strichätzung der Radierung kombiniert. Die im Aquatinta-Verfahren ausgeführten Graphiken ähneln lavierten Tuschezeichnungen.
Die Aquatinta-Technik wurde von Künstlern wie Francisco de Goya und Wilhelm von Kobell um 1800 zur Perfektion gebracht. Im 20. Jahrhundert nutzten sie Künstler wie Otto Dix, Joan Miró oder Pablo Picasso intensiv.
Das Verfahren bei der Aquatinta
Als Ausgangsmaterial für eine Aquatinta-Radierung wird eine Metallplatte, in der Regel aus Zink oder Kupfer verwendet. Diese Platte wird entfettet, mit pulverisiertem Harz, Kolophonium oder Asphalt bestäubt und von unten her vorsichtig erhitzt, so dass die Harzkörnchen auf der Platte anschmelzen. Das Abdecken mit Abdecklack erfolgt vor jedem weiteren Ätzgang. Damit entsteht ein Rasterkorn auf der Platte. Verschiedene Grautöne erreicht man dadurch, dass die Platte mehrfach geätzt und dabei jeweils zunehmend abgedeckt wird. Mit jedem weiteren Abdeck- und Ätzvorgang wird ein dunklerer Halbton (Graustufe) hinzugefügt. In den Vertiefungen der Druckplatte bleibt beim Druck die Farbe haften, wobei die Farbaufnahme von der Feinheit des Rasterkorns, dessen Dichte und der Tiefe der Ätzung bestimmt wird.
Da Aquatintaplatten besonders empfindlich sind, können ohne Verstahlung nicht mehr als 100 qualitätsvolle Abzüge zustande kommen. Durch Verstahlung kann zwar eine höhere Auflage erreicht werden, zugleich geht aber häufig die Zartheit dieser Technik, die ihren künstlerischen Reiz oftmals wesentlich bestimmt, wieder verloren.
Weitere Formen des Aquatinta-Verfahrens
Salz-Aquatinta
Auf einen dünn aufgetragenen Wachsgrund wird eine gleichmäßige Schicht Salz gestreut. Beim Erwärmen der Platte sinkt das Salz durch die schmelzende Wachsschicht bis auf die Metallplatte. Im Wasserbad löst sich das Salz auf und hinterlässt in der Deckschicht ein Netz von Löchern, durch das die Säure auf die Metallplatte einwirkt und einen gleichmäßigen, netzförmigen Flächenton erzeugt.
Sandpapier-Aquatinta
Auf eine mit Ätzgrund bedeckte Kupferplatte wird ein Sandpapier gelegt und beides durch die Druckpresse gedreht. Der Ätzgrund wird durchlöchert, das Säurebad kann das Metall angreifen. Es entsteht dabei eine pointillistisch granulierte Fläche.
Weingeist- oder Craquelure-Aquatinta
Harz wird in Weingeist (Ethanol) gelöst und auf die Metallplatte aufgegossen; beim Verflüchtigen des Alkohols entsteht ein lebhaftes Netz von Sprüngen, durch die das Säurebad angreifen kann. Das Ergebnis ist ein lebhafter Flächenton.
Reservage
Falls keine Tiefätzung erfolgen soll, muss zunächst eine Beschichtung mit Kolophonium oder Asphalt wie bei der Aquatinta erfolgen. Die Reservage verwendet konzentrierte Zucker- und Gummiarabikumlösungen, die mit einem Pinsel auf die Metallplatte gezeichnet werden. Ein darüber gelegter Ätzgrund wird in heißem Wasser durch den sich lösenden Zucker bzw. den quellenden Gummi an den gezeichneten Stellen abgesprengt, die dadurch zum Ätzen freigelegt werden. Insgesamt entstehen bei dieser Technik etwas rauere Konturen als bei anderen Aquatinta-Techniken.
Carborundum
Auch als Kunstharz-Aquatinta oder Malermanier bezeichnet. Dabei wird Siliziumkarbid (Carborundum) oder Sand mit Kunstharz vermischt und auf die Platte aufgetragen (gemalt). Damit entsteht ein Punktraster ohne Ätzung. Die Farbe wird auf die Platte aufgetragen und haftet an allen Stellen, an denen die Carborundumschicht vorhanden ist. An den blanken Stellen der Druckplatte lässt sich die Farbe wieder abwischen. Carborundum-Drucke zeichnen sich durch satte Farbigkeit aus, weil in den Flächen viel Farbe anhaften kann.
Weichgrundätzung
Für die Vernis-mou-Radierung wird nach dem Auftrag des Aquatintakorns ein „weicher“ Abdecklack aufgetragen, der sich durch Papier oder andere Stoffe wieder von der Platte abheben lässt. Dafür sind Stoffe, Papier, Gegenstände usw. geeignet. Die Stellen, an denen der Abdecklack „abgehoben“ wurde, liegen für die Ätzung frei.
- Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, Aquatinta aus der Serie Los Caprichos von Goya
- Wilhelm von Kobell, La caravanne en repos, 1801, Aquatinta, eine Reproduktionsgrafik nach einem Gemälde von Thomas Wijck
- Wolfram Gothe, Landschaft, 1988, Aquatinta
- Wolfgang Autenrieth, Mond 1, 1982, Aquatinta mit Vernis mou
Literatur
- Wolfgang Autenrieth: Neue und alte Techniken der Radierung und Edeldruckverfahren – Ein alchemistisches Werkstattbuch für Radierer: Vom 'Hexenmehl und Drachenblut' zur Fotopolymerschicht. Tipps, Tricks, Anleitungen und Rezepte aus fünf Jahrhunderten. Ein alchemistisches Werkstattbuch für Radierer. 7. Auflage, Selbstverlag, Krauchenwies 2020, ISBN 978-3-9821765-0-5 (Auszüge und Inhaltsverzeichnis online).
- Felix Brunner: Handbuch der Druckgraphik. Arthur Niggli, Teufen 1972, ISBN 3-7212-0020-9.
- Walter Koschatzky: Die Kunst der Graphik. dtv Verlagsgesellschaft, München 1985, ISBN 3-423-02868-8.
- Aleš Krejča: Die Techniken der graphischen Kunst.Handbuch der Arbeitsvorgänge und der Geschichte der Druckgrafik (Übersetzung aus dem Tschechischen von Brigitta Rokytová), Artia, Prag 1980; 3. Auflage, Dausien, Hanau 1991, ISBN 3-7684-1071-4.
- Lothar Lang: Aquatinta. In: Der Graphiksammler. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin, 1983. Insbes. S. 132–135
- Volker Steinbacher: Workshop Radierung – gravieren, drucken, kolorieren. Englisch, Wiesbaden 2006, ISBN 3-8241-1337-6.
- Hermann Struck: Die Kunst des Radierens: Ein Handbuch. 4. Auflage, P. Cassierer, Berlin 1920.
- Christiane Wiebel: Aquatinta, oder die Kunst mit dem Pinsel in Kupfer zu stechen. Deutscher Kunstverlag, München / Berlin 2007, ISBN 978-3-422-06693-9.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Walter Koschatzky: Die Kunst der Graphik. München 1975, S. 131.