Die Arvaniten (griechisch Αρβανίτες Arvanítes; arvanitisch Αρbε̰ρεσ̈ε̰ Arbëreshë) sind eine bilinguale und kulturell eigenständige Bevölkerungsgruppe in Griechenland, deren Angehörige albanischstämmig sind und teilweise noch heute einen archaischen toskischen Dialekt der albanischen Sprache sprechen. Traditionell und historisch sind die Arvaniten orthodoxe Christen und gehören der Kirche von Griechenland an.

Indem sie sich als Teil der griechischen Nation sahen, spielten sie bei der Nationenbildung eine herausragende Rolle. So stellten sie während der Griechischen Revolution von 1821 bis 1829 eine Vielzahl an Soldaten und militärischer Befehlshaber, wie zum Beispiel Andreas Miaoulis (1769–1835), Laskarina Bouboulina (1771–1825) und andere. Auch arvanitische Intellektuelle und Geistliche beteiligten sich aktiv an der Gestaltung und Modernisierung Griechenlands. Heute sind sie deshalb integraler Bestandteil der modernen griechischen Nation. Sie sind sich zwar ihrer Eigenständigkeit bewusst, aber die meisten Arvaniten sehen sich heute als Griechen und sind deswegen oftmals kaum von anderen Griechen zu unterscheiden.

Volksbezeichnung

Die Volksbezeichnung stammt von byzantinischen Chronisten, welche die aus Arvanon stammende Volksgruppe der Arvaniten (altgriechisch Ἀρβανίται Arvanítai) erstmals genannt haben. Der neuzeitliche albanische Name des Staates Albanien und die zugehörige Volksbezeichnung Shqipëri / Shqipëria und Shqiptarë / Shqiptarët (jeweils unbestimmte und bestimmte Form) – waren diesen Siedlern des Mittelalters nicht bekannt.

Von den Arvaniten zu unterscheiden sind die Çamen, die über ein albanisches Nationalbewusstsein verfügen und mehrheitlich muslimisch sind – die Arvaniten bekennen sich hingegen traditionell zum orthodoxen Christentum. Auch von den Arvaniten zu differenzieren sind die ebenfalls christlich-orthodoxen Soulioten, die sich zwar ebenfalls an der griechischen Nationenbildung beteiligten, aber kulturell und geographisch den Çamen näher waren. Eine vierte albanische Gruppe stellen Migranten aus Albanien dar, die ab den 1990er Jahren nach Griechenland einwanderten.

Verbreitung

Nach den Kriterien des Sprachgebrauchs leben in Griechenland schätzungsweise zwischen 25.000 und 200.000 Arvaniten. Heute leben die meisten Arvaniten im südlichen Griechenland, aber auch auf einigen Ägäisinseln, der Peloponnes, im heutigen Dreiländereck in Thrakien, sowie in Epirus.

Eine Volkszählung im damaligen Griechenland soll 1879 ergeben haben, dass etwa 225.000 Arvaniten auf der Peloponnes, in Zentralgriechenland, auf Euböa und auf Andros lebten. Damals besaß Griechenland eine Gesamtbevölkerung von etwa 1,6 Millionen Einwohnern. Hydra und Spetses, die als „traditionell arvanitisch“ galten, waren bei dieser Volkszählung jedoch nicht berücksichtigt.

Geschichte

Im 13. Jahrhundert kamen die ersten Albaner auf Einladung lokaler Machthaber nach Griechenland. Sie waren als Bauern ebenso gefragt wie als Söldner für die Truppen des Herzogs von Athen, des Despoten von Morea und anderer Fürsten. Aber auch in eigener Regie ließen sich albanische Stämme in den durch die ständigen Kriege nur noch dünn besiedelten Regionen Thessalien, Böotien, Attika, Süd-Euböa, Korinth, Argolis, West-Lakonien (beide auf der Peloponnes) und auf vielen Inseln der Saronen und Kykladen in der Ägäis nieder. Sie siedelten dort in eigenen Dörfern. Der Zustrom hielt bis ins 15. Jahrhundert hinein an. Um das Jahr 1400 schätzte man so die Zahl der Albaner (Arvaniten) in Morea auf etwa 10.000. 1450 stieg diese Zahl auf 30.000 an. Die orthodoxen Tosken, die sich in Mittel- und Südgriechenland angesiedelt hatten, verloren schon bald den Kontakt zu ihren Ursprungsgebieten. Sie lebten inmitten der Griechen. In ihren Dörfern sprachen sie bis ins 20. Jahrhundert hinein albanische Dialekte, die allerdings im Laufe der Zeit immer mehr griechische Elemente aufnahmen. Ein Teil der Arvaniten floh Ende des 15. Jahrhunderts vor den auf dem Balkan vorrückenden Osmanen nach Süditalien und Sizilien und verstärkte die dort entstandenen albanischen Emigrantengemeinden der sogenannten Arbëresh.

Die Arvaniten nahmen seit dem 18. Jahrhundert an der Herausbildung der modernen griechischen Nation und am Befreiungskampf gegen die Osmanen aktiv Anteil. Ihre christlich-orthodoxe Identität ging wie auch bei den Griechen in ein modernes Nationalbewusstsein über. Seit der Gründung des griechischen Staats und infolge innenpolitischer wie auch außenpolitischer Konflikte (auch mit Albanien) waren die arvanitischen Dialekte wenig angesehen, und im Laufe der Zeit wechselten die meisten Arvaniten zur griechischen Sprache. Dieser Prozess beschleunigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg durch Landflucht und Urbanisierung. Heute sind nur noch Reste des Arvanitika erhalten. Vor allem in der Folklore werden noch alte Traditionen und Bräuche gepflegt.

Medien

Am 29. September 1879 veröffentlichte Anastas Kullurioti (1822–1887) die erste Ausgabe der Wochenzeitung I foni tis Alvanias (Zëri i Shqipërisë) in Athen. Sie erschien hauptsächlich auf Griechisch und teilweise auf Albanisch und sympathisierte mit der albanischen Nationalbewegung Rilindja. Am 23. August 1880 wurde Kullurioti von der griechischen Regierung zur Schließung der Wochenzeitung gezwungen. 1884 folgten aus seiner Feder verschiedene publizistische Texte und die einmalige Broschüre Polemika shqiptare. Am 4. Juni desselben Jahres gründete Kullurioti den albanisch-patriotischen Verein Oi Alvanio Vllamidhes (Shqiptarët vëllezër).

Sprache

Arvanitika (griechisch αρβανίτικα arvanítika) heißt der in Griechenland heute nur noch begrenzt gesprochene albanische Dialekt. Er gehört zum toskischen Subdialekt des Albanischen und hat auf sämtlichen Sprachebenen beträchtliche Einflüsse von verschiedenen griechischen Dialekten bekommen. Arvanitika ist die griechische Bezeichnung der Sprache, die mittlerweile auch von den Sprechern selbst übernommen wurde. Die eigene Sprachbezeichnung arbërisht wird kaum mehr gebraucht.

Heute gilt das Arvanitika als eine der bedrohten Sprachen Europas. Der rasante Rückgang der Sprecher nach dem Zweiten Weltkrieg und noch stärker nach den 1970er Jahren ist auf verschiedene sozioökonomische Gründe und nicht zuletzt auf den negativen Status in der griechischen Gesellschaft einschließlich der Sprachgemeinschaften selbst zurückzuführen.

Berühmte Arvaniten

Siehe auch

Literatur

  • Jakob Philipp Fallmerayer: Die albanische Besiedlung des Peloponnes im Mittelalter. In: Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters. Ein historischer Versuch, Zweiter Theil. Verlag der J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart 1836, S. 240–263 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Eric P. Hamp: On the Arvanitika Dialects of Attica and the Megarid. In: Balkansko ezikoznanie Балканско езикознание. Band 3, Nr. 2, 1961, ISSN 0324-1653, S. 101–106.
  • Claus Haebler: Grammatik der albanischen Mundart von Salamis. In: Albanische Forschungen. Band 3. Harrassowitz, 1965, ISSN 0568-8957 (Zugleich: Saarbrücken, Universität, Habilitations-Schrift, 1962).
  • Georg Stadtmüller: Forschungen zur albanischen Frühgeschichte. In: Albanische Forschungen. 2., erweiterte Auflage. Band 2. Harrassowitz, Wiesbaden 1966 (Zugleich: Breslau, Universität, Habilitations-Schrift, 1936).
  • Alain Ducellier: L'Arbanon et les Albanais au XIe siècle. In: Travaux et Mémoires. Band 3, 1968, ISSN 0577-1471, S. 353–368.
  • Titos P. Jochalas: Über die Einwanderung der Albaner in Griechenland. Eine zusammenfassende Betrachtung. In: Peter Bartl und andere (Redaktion): Dissertationes Albanicae. In honorem Josephi Valentini et Ernesti Koliqi septuagenariorum (= Beiträge zur Kenntnis Südosteuropas und des Nahen Orients). Band 13. Trofenik, 1971, ZDB-ID 1072151-4, S. 80–106 (Auch als Sonderdruck. Trofenik, München 1971).
  • Lukas D. Tsitsipis: Language change and language death in albanian speech communities in Greece. A sociolinguistic study. Madison (Wisconsin) 1981 (phil. Dissertation).
  • Walter Breu: Sprachliche Minderheiten in Italien und Griechenland. In: Bernd Spillner (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Kongreßbeiträge zur 20. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. (= Forum angewandte Linguistik). Band 21. Lang, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-631-42888-X, S. 169–170.
  • Hans-Jürgen Sasse: Arvanitika. Die albanischen Sprachreste in Griechenland. Band 1. Harrassowitz, Wiesbaden 1991, ISBN 3-447-02758-4.
  • Jana Willer-Gold, Tena Gnjatović, Daniela Katunar, Ranko Matasović: Multilingualism and structural borrowing in ArbanasiAlbanian. University of Zagreb, 2016 (englisch, hawaii.edu [PDF; abgerufen am 26. Februar 2017]).
Commons: Arvaniten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. David Sutton: Resistance, Misrecognition, or Identity? Images of Rural and Urban in Three Recent Greek Ethnographies. In: Anthropological Quarterly. Band 71, Nr. 4, 1998, ISSN 0003-5491, S. 203–211.
  2. Michaelis Attaliotae Historia, hrsg. v. August Immanuel Bekker (= Corpus scriptorum historiae Byzantinae. 47). Bonn 1853. Anna Comnena: Alexias, übersetzt u. hrsg. v. Diether Roderich Reinsch. Berlin 2001, ISBN 3-11-017195-3.
  3. Jan Markusse: Territoriality in national minority arrangements: European-wide legal standards and practices. In: Gertjan Dijkink, Hans Knippenberg (Hrsg.): The Territorial Factor. Vossiuspers UvA, Amsterdam, 2001, S. 260, Tabelle 12.1.
  4. Gesellschaft für bedrohte Völker
  5. 1 2 Theodore G. Zervas: Learning Arvanitic in Late 19th and Early 20th Century Greece. Linguistic Maintenance and Cultural Idiosyncrasies in Greece’s Arvanitic Speaking Communities. In: Zeitschrift für Balkanologie. Band 50, Nr. 2, 2014, S. 269 (zeitschrift-fuer-balkanologie.de [abgerufen am 9. September 2017]).
  6. Miranda Vickers: Shqiptarët. Një histori moderne. Bota Shqiptare, s. l. 2008, ISBN 978-99956-11-68-2, Hyrje, S. 16–17 (englisch: The Albanians. A Modern History. Übersetzt von Xhevdet Shehu).
  7. Hamit Boriçi: Anastas Kullurioti dhe gazeta “Zëri i Shqipërisë”. In: www.gazetadita.al. Dita, 31. Januar 2023, abgerufen am 25. Februar 2023 (albanisch).
  8. Bulletin Nr. 9. (PDF) Gesellschaft für bedrohte Sprachen e.V. (Universität zu Köln), August 2003, abgerufen am 4. Januar 2013 (PDF-Datei; 194 KB, S. 9).
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