Asylie (altgriechisch ἀσυλία, abgeleitet von dem griechischen Wort ἄσυλος „unverletzlich“, „unverletzt“) bezeichnete in der griechischen Antike ein Privileg, das eine Polis, ein Heiligtum, einzelne Personen oder Personenverbände erwerben konnte und den Schutz vor gewaltsamen Überfällen garantieren sollte.
Die griechische Sprache kennt für gewaltsamen Raub von Gütern oder die Plünderung von Heiligtümer das Verb syláô (griech. συλάω). Davon abgeleitet bezeichnen die Substantive to sulon (griech. τὸ σῦλον) bzw. hê sýlê (griech. ἡ σύλη) einen Selbsthilfeakt zur Durchsetzung von schuldrechtlichen Ansprüchen oder zur Vergeltung von erlittenem Unrecht, der sich nicht nur gegen den Verursacher eines Unrechts, sondern gegen eine Institution oder eine Gemeinschaft, die diesen repräsentierte, richten konnte. Verlieh eine Polis das Recht der Asylie, sicherte es dem Empfänger zu, dass dieser durch Überfälle, Zwangsvollstreckungen oder Akten der Selbsthilfe seitens des Verleihers geschützt bleiben soll. Je nach Empfänger kann zwischen personaler (Einzelpersonen und Personenverbände) und territorialer (Heiligtümer, Städte) Asylie unterschieden werden. Die Asylie griechischer Städte in hellenistischer Zeit ist vor allem durch Inschriften und Münzen dokumentiert. Die Inschriften konzentrieren sich dabei auf den ägäischen Raum im Zeitraum zwischen 260 und 180 v. Chr., Münzen berichten vor seit etwa 140 v. Chr. über die Asylie von griechischen Städten im nahöstlichen Raum.
Die Deutung der antiken griechischen Asylie ist umstritten. Die traditionelle Auffassung in der historischen Forschung, dass die Asylie primär dem Schutz vor Piraterie gegolten habe, ist in jüngerer Zeit bestritten worden, da es keine historischen Hinweise darauf gebe, dass das Privileg der Asylie jemals einen Überfall auf eine Stadt oder einen Krieg verhindert habe. Vielmehr sei sie als ein Ehrentitel anzusehen, den man durch geschickte diplomatische Verhandlungen erwarb und der die eigene Reputation steigern sollte.
Literatur
- Martin Dreher: Das Asyl in der Antike von seinen griechischen Ursprüngen bis zur christlichen Spätantike. In: Tyche. Band 11, 1996, S. 79–96.
- Martin Dreher (Hrsg.): Das antike Asyl. Kultische Grundlage, rechtliche Ausgestaltung und politische Funktion. Köln 2003.
- Katharina Knäpper: Hieros kai asylos. Territoriale Asylie im Hellenismus in ihrem historischen Kontext (= Historia Einzelschriften. Band 250). Franz Steiner, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-515-11992-4.
- Kent J. Rigsby: Asylia. Territorial Inviolability in the Hellenistic World. Berkeley u. a. 1996.
- Paul Stengel: Asylon. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band II,2, Stuttgart 1896, Sp. 1881–1886.
- Emil Szanto: Ἀσυλία. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band II,2, Stuttgart 1896, Sp. 1879–1881.
Einzelnachweise
- ↑ H. Pohl: Die römische Politik und die Piraterie im östlichen Mittelmeer vom 3. bis zum 1. Jh. v. Chr. Berlin/New York 1993, S. 106.