Die Kammer der Abgeordneten war von 1819 bis 1919 neben der Kammer der Reichsräte die zweite Kammer der bayerischen Ständeversammlung (des Landtags des Königreichs Bayern) und damit Vorläufer des heutigen Bayerischen Landtages. König Maximilian I. Joseph eröffnete die Ständeversammlung am 4. Februar 1819 in einer gemeinsamen Sitzung beider Kammern feierlich mit einer Thronrede. Zuvor hatten sich die Kammern konstituiert, die Kammer der Abgeordneten in einer ersten allgemeinen Sitzung am 1. Februar 1819.

Anfänge

Nach der Gründung des Deutschen Bundes kam es in den meisten Staaten Deutschlands zu ersten Verfassungen. § 13 der Deutschen Bundesakte verpflichtete die Staaten, in diesen Verfassungen die Einrichtung von Landtagen vorzusehen. Die Verfassung des Königreichs Bayern von 1818, die die seit 1808 geltende Konstitution ablöste, setzte diese Vorgabe (wie in den anderen Ländern) dahingehend um, dass eine bikamerale Bayerische Ständeversammlung eingerichtet wurde. Die Kammer der Abgeordneten war darin die zweite der beiden Kammern.

Einberufung und Wahlperiode

Der bayerische König berief die Ständeversammlung ein. Er war verpflichtet sie zumindest alle drei Jahre einzuberufen. Soweit die Ständeversammlung zusammentrat erfolgte die Einberufung, Eröffnung und Schließung beider Kammern gleichzeitig. Die Dauer der Sitzung durfte in der Regel nicht länger als zwei Monate sein. Der König hatte das Recht, die Versammlung zu verlängern, zu vertagen oder aufzulösen.

Die Verfassung gab vor, dass alle sechs Jahre Neuwahlen zur Kammer der Abgeordneten stattfinden sollten. Löste der König die Ständeversammlung auf, musste innerhalb von drei Monaten eine Neuwahl der Kammer der Abgeordneten vorgenommen werden.

Das Wahlrecht wurde mehrmals geändert. 1848 wurde die Wahl nach Klassen abgeschafft, 1881 die geheime und 1906 die direkte Wahl der Abgeordneten eingeführt.

Rechte der Zweiten Kammer

Die Kompetenzen der Kammer wurden sukzessive erweitert. Jedoch blieb die Regierungsbildung bis zur Novemberrevolution alleinige Aufgabe des Königs, ohne dass das Parlament Einfluss auf die Ernennung hatte. Allerdings wurde 1912 mit Georg von Hertling erstmals ein Vertreter der Mehrheitsfraktion, des Zentrums, zum Ministerpräsidenten berufen.

Gegenüber den Landständen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hatten die Abgeordneten an Freiheit gewonnen. Sie waren dem Gemeinwohl bzw. ihrem Gewissen verpflichtet und nicht mehr an Aufträge und Weisungen ihrer Wähler gebunden. Die Rechte des Parlamentes waren jedoch verglichen mit heutigen Parlamenten gering. Die Ständeversammlung hatte kein Gesetzesinitiativrecht und konnte nur die königlichen Gesetzesvorlagen und Steuerforderungen annehmen oder ablehnen. Beide Kammern der Ständeversammlung waren dabei gleichberechtigt. Sie konnten jedoch zu den königlichen Ministern und ihrer Tätigkeit Stellung beziehen.

Zusammensetzung der Zweiten Kammer

1818 bis 1848

Die Wahl war keine allgemeine und keine gleiche Wahl: Frauen und Besitzlose waren grundsätzlich ausgeschlossen. Die Wahl in die Kammer der Abgeordneten erfolgte getrennt nach Wählergruppen. Die einzelnen Klassenstärken verteilten sich nach den vorgegebenen Anteilen. Die Kammer setzte sich folgendermaßen zusammen:

  1. Klasse – die adeligen Grundbesitzer mit gutsherrlicher Gerichtsbarkeit (ein Achtel der Abgeordneten)
  2. Klasse – Abgeordnete der Universitäten
  3. Klasse – die Geistlichen (ein Achtel)
  4. Klasse – die Städte und Märkte mit mehr als 500 Familien (ein Viertel)
  5. Klasse – die übrigen Grundbesitzer, unabhängig davon, ob sie adelig waren oder nicht (die Hälfte)

Die Zahl der Abgeordneten wurde nach der Zahl der Familien im Königreich gerechnet, und ein Abgeordneter auf 7.000 Familien bestimmt. Hinzu kamen die Vertreter der Universitäten, auf eine Universität entfiel ein Abgeordneter.

Die Wahl erfolgte teils direkt (bei den ersten beiden Gruppen), teils indirekt durch Wahlmänner. Voraussetzung für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts war Grundbesitz.

Wahltermine und Wahlverfahren 1818 bis 1848

Die erste Wahl wurde am 2. Dezember 1818 ausgeschrieben, nachdem die Wahlordnung ausgearbeitet und die Gemeindewahlen vollzogen waren.

Die Klassen I und III konnten die Abstimmung zu Hause vornehmen mit nicht festgelegtem Zeitpunkt der Stimmauszählung. Die Wahlen der Klassen IV und V Wahlen fanden in den Städten eines Regierungsbezirks als Urwahlen ebenso nicht an einem festen Zeitpunkt statt. Durch den relativ großen zeitlichen Unterschied zwischen den Einzelabstimmungen eines Regierungsbezirks und zwischen den Regierungsbezirken an sich gab es keinen festen Wahltermin. Die Wahlen vollzogen sich in einem Zeitrahmen der vierwöchigen Vollzugsfrist.

Wahltermine und Frist
Wahltermin Beginn Ende Auflösung
 2. Dezember 181825. Dezember 1818
17. Dezember 182420. Januar 1825
13. Dezember 183015. Januar 1831
 7. Dezember 183625. Dezember 183624. August 1839
10. Oktober 183920. November 1839
 1. Oktober 184510. November 184512. November 1848
  1. Durch Umbildung der Wahlbezirke im Rahmen der Gebietsordnung 1837/38 veranlasste Neuwahlen In: Josef Leeb: Wahlrecht und Wahlen zur Zweiten Kammer der bayerischen Ständeversammlung im Vormärz (1818–1848)., Teilband I in Schriftenreihe der historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaft, Band 55, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1996, S. 153.
  2. Auflösung aufgrund der Änderungen in der Zusammensetzung durch das neue Wahlgesetz vom 4. Juni 1848. Regierungsblatt für das Königreich Bayern 1848 S. 1097 in der Google-Buchsuche

1849 bis 1919

Die Zahl der Abgeordneten berechnete sich nach der Bevölkerung des Königreiches. Das Gesetz von 4. Juni 1848 bestimmte einen Abgeordneten auf 31.500 Einwohner. 1906 wurde die Zahl der Einwohner pro Abgeordneten auf 38.000 erhöht.

Die Abgeordneten wurden nicht mehr nach Klassen gewählt, sondern in gleicher Wahl von allen männlichen Staatsangehörigen, welche eine direkte Steuer zahlten. Die Wahl erfolgte indirekt durch Wahlmänner. Ab 1906 wurden sie in direkter Wahl gewählt.

Die Kammer wurde am 7. Dezember 1848 zum ersten Mal nach dem neuen Wahlrecht gewählt und trat am 15. Januar 1849 zusammen.

Präsidenten und Vizepräsidenten

1818–1848

Erste Präsidenten

NameGruppeAmtszeit
Sebastian von SchrenckKlasse I1819–1837
Karl von SeinsheimKlasse I1840–1843
Hermann von RotenhanKlasse I1845–1847
Carl Friedrich HeintzKlasse V1848
Karl KirchgessnerKlasse IV1848

Zweite Präsidenten

NameGruppeAmtszeit
Johann Michael von SeuffertKlasse IV1819–1822
Joseph von ArmanspergKlasse I1825
Karl von LeonrodKlasse I1827–1828
Franz Joseph HäckerKlasse V1828
Johann Adam von SeuffertKlasse II1831
Karl von KorbKlasse I1834
Karl von SeinsheimKlasse I1837
Karl von KorbKlasse I1840
Hieronymus von BayerKlasse II1842–1843
Leonhard FriedrichKlasse III1845–1846
Friedrich von Hegnenberg-DuxKlasse I1847
Karl KirchgessnerKlasse IV1848

1848–1918

Präsidenten

Bis 1873 Erste Präsidenten

NameParteiAmtszeit
Gustav von Lerchenfeld-1849–1849
Friedrich von Hegnenberg-Dux-1849–1865
Joseph von Pözlliberal1865–1869
Ludwig von WeisPatrioten1870–1871
Karl von OwPatrioten1871–1872
Franz von Stauffenbergfreisinnig1873–1875
Karl von OwPatrioten1875–1892
Johann Baptist von WalterZentrum1893–1897
August von ClemmNLP1897–1899
Georg von OrtererZentrum1899–1916
Theobald von FuchsZentrum1917–1918

1. Vizepräsidenten

Bis 1873 Zweite Präsidenten, 1873 – 1907 Vizepräsidenten

NameParteiAmtszeit
Friedrich von Hegnenberg-Dux-1849
Gottfried von Feder-1849
Gustav von Lerchenfeld-1849
Ludwig von Weis-1849–1855
Adolph Xaver Paur-1855–1858
Ludwig von Weis-1858–1861
Joseph von Pözlliberal1863–1865
Gustav von Schlörliberal1866
Maximilian von Pfetten-1866–1869
Maximilian von SeinsheimPatrioten1870–1872
Gustav von Schlörliberal1873–1875
Karl Heinrich von KurzPatrioten1875–1886
Karl von Alwensliberal1886–1892
August von ClemmNLP1893–1897
Ludwig von KellerLV1897–1904
Theobald von FuchsZentrum1904–1917
Leopold von CasselmannLV1917–1918

2. Vizepräsidenten

Amt wurde erst 1907 eingeführt

NameParteiAmtszeit
Karl HammerschmidtLV1907–1911
Alois FrankZentrum1912–1918

Literatur

  • Josef Leeb: Wahlrecht und Wahlen zur Zweiten Kammer der bayerischen Ständeversammlung im Vormärz (1818–1848) Band=in 2 Teilbänden. In: Schriftenreihe der historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaft Band 55. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, ISBN 3-525-36048-7 (online auf digitale-sammlungen.de Teilband I; Teilband II).
Commons: Kammer der Abgeordneten (Bavaria) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1 2 Verfassungs-Urkunde des Königreich Baiern vom 26. Mai 1818. Titel VII § 22, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, 1818 S. 132.
  2. Verfassungs-Urkunde des Königreich Baiern vom 26. Mai 1818. Titel VI § 16, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, 1818 S. 126.
  3. 1 2 Verfassungs-Urkunde des Königreich Baiern vom 26. Mai 1818. Titel VII § 23, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, 1818 S. 132.
  4. Verfassungs-Urkunde des Königreich Baiern vom 26. Mai 1818. Titel VI § 13, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, 1818 S. 125.
  5. Josef Leeb: Wahlrecht und Wahlen zur Zweiten Kammer der bayerischen Ständeversammlung im Vormärz (1818–1848). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 S. 54.
  6. Josef Leeb: Wahlrecht und Wahlen zur Zweiten Kammer der bayerischen Ständeversammlung im Vormärz (1818–1848). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 S. 153.
  7. 1 2 Josef Leeb: Wahlrecht und Wahlen zur Zweiten Kammer der bayerischen Ständeversammlung im Vormärz (1818–1848). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 S. 156.
  8. Josef Leeb: Wahlrecht und Wahlen zur Zweiten Kammer der bayerischen Ständeversammlung im Vormärz (1818–1848). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 S. 155.
  9. Josef Leeb: Wahlrecht und Wahlen zur Zweiten Kammer der bayerischen Ständeversammlung im Vormärz (1818–1848). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996 S. 153 f.
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