Das Beamtenwohnhaus Habitat Stockenbruch wurde im Sinne der modernen Städteplaner der 1950er Jahre in Saarbrücken als kleine vertikale Gartenstadt errichtet. Zeitgleich mit der Unité d’Habitation von Le Corbusier in Marseille entwarf der Architekt Jean Schoffit das halbrunde Hochhaus für Saarbrücken. Dabei ist das Habitat Stockenbruch in seinen Dimensionen kleiner als die großen Vorbilder von Le Corbusier, aber basiert auf denselben städtebaulichen Leitbildern.

Baubeschreibung

Mit dem Bau des Beamtenhauses 1949–1953, im Volksmund auch “Beamtensilo” genannt, versuchte der Architekt Jean Schoffit nicht nur die große Wohnungsnot in Saarbrücken zu lindern, sondern berücksichtigte die modernen, städtebaulichen Leitbilder, welche in der Charta von Athen von 1933 festgehalten wurden. Das Beamtenwohnhaus ist nicht nur Wohnraum für Regierungsangestellte, sondern ein Gebäude mit höchster technischer Ausstattung. Es weist einen für diese Zeit unvergleichlichen Luxus für die Bewohner auf und ist in seiner architektonischen Ausgestaltung ein besonderes Gebäude.

Das Habitat Stockenbruch, ein acht-geschossiger Stahlbeton-Skelettbau, ist mit Ziegelsteinen ausgefacht und hell verputzt. Es hat einen bogenförmigen Grundriss, wobei die Aufenthaltsräume nach Süden ausgerichtet sind und sich an der Nordseite nur Funktionsräume und Verkehrsflächen befinden. Die halbrunden Treppenhäuser und die beiden Aufzüge teilen das Gebäude in einen Mittelflügel und zwei Seitenflügel auf. Den Abschluss bildet ein Flachdach mit Dachaufbau und Dachterrasse.

Das Stahlbetonskelett tritt an jeder Achse deutlich erkennbar hervor. Horizontal gegliedert wird das Gebäude durch seine hervorstehenden Fensterbänke, die lediglich von den Stahlbetonpfeilern unterbrochen werden. Über dem Kranzgesims befindet sich die Dachterrasse bzw. ein niedriges Dachzwischengeschoss. Abgeschlossen wird das Gebäude mit dem Dachaufbau, bestehend aus einer offenen Halle, einer Wohnung und einem Kindergarten-Bereich. Die Basis bildet ein zweigeschossiger Keller. Im untersten Keller befinden sich die Kellerräume der Bewohner. Im Hochkeller sind die Heizanlage, Werkräume sowie Wasch-, Trocken- und Bügelräume untergebracht. Zwischen jeweils drei Geschossen ist ein Verbindungsgang angeordnet, welcher die beiden Seitenflügel über den Mittelflügel horizontal verbindet.

Es gibt drei Wohnungstypen von zwei bis vier-ZKB-Wohnungen. Alle Wohnungen waren ursprünglich weiß getüncht. Der Estrichboden war dunkelbraun gehalten. Im Wohnungsflur waren im Eingangsbereich Glasbausteine zur Belichtung vorgesehen. Diese wurde noch während des Baus durch Flaschen ersetzt, welche wahrscheinlich preisgünstiger zu beschaffen waren.

Baugeschichte

Architekt und stellvertretender Leiter der Abteilung Wiederaufbau Jean Schoffit entwirft in den 1940er Jahren ein Hochhaus in Form eines halb runden Bogens. Dieses soll 48 Wohnungen auf acht Etagen beinhalten. Es ist vorgesehen dort Angestellte der Regierung unterzubringen, weswegen das Gebäude fortan auch oft als Beamtenwohnhaus bezeichnet wird. Das Gebäude ist unabhängig vom Bauplatz entworfen worden, nun wird nach einem geeigneten Baugrundstück gesucht. Jean Schoffit bevorzugt das Gelände zwischen Saargemünder Straße und Alleestraße, weil dieses sich in Regierungseigentum befindet und sofort verfügbar ist. Mit dem Bau soll unverzüglich begonnen werden, da die Wohnungen dringend gebraucht werden.

Stadtplaner Georges-Henri Pingusson und das Ministerium für Finanzen und Forsten plädieren für ein Baugelände in den Bruchwiesen. Der französische Stadtplaner Georges-Henri Pingusson (1894–1978) plante in der Zeit von 1945 bis 1950 für Saarbrücken und andere französische Besatzungszonen. In Saarbrücken hatte er unter Bezugnahme auf die Ideen von Le Corbusier hinsichtlich der Neustrukturierung eine Planung zur Idealstadt Saarbrücken gemacht. Diese sah vor, dass zu beiden Seiten der Saar vertikale Gartenstädte, in Form paralleler Hochhaus-Scheiben und dazwischen liegender großer Grünflächen entstehen sollten. In dieser Stadtlandschaft sollten die joies essentielles, die wesentlichen Freuden nach Le Corbusier aufblühen. Das bedeutet einen freien Blick, Vogelgesänge und Erholung in den Grünflächen und eine Stille hoch über dem brausenden Leben.

Der Rundbau von Jean Schoffit passte also nicht recht in die Stadtplanung von Pingusson, außerdem überging Jean Schoffit mit seinem Entwurf den technischen Leiter der Abteilung Wiederaufbau Friedrich Rheinstädter, welcher selbst gerne einen Entwurf zum Beamtenwohnhaus eingereicht hätte. Neben der Präsentation seiner eigenen Vorstellungen kritisiert Rheinstädter beim Ministerpräsidenten auch die Wahl des Bauplatzes. Es entsteht bezüglich des Bauplatzes eine längere Diskussion, welche schließlich in der 77. Kabinett-Sitzung der Regierung des Saarlandes am 9. August 1949 beendet wird. Der Ministerrat beschließt darin, dass der Bau des Hochhauses sofort in Angriff zu nehmen sei und dass das Ministerium für Finanzen und Forsten zusätzlich erforderliche Mittel bereitstellen solle.

Am 24. Oktober 1949 stellt die Abteilung Wiederaufbau das Baugesuch für besagtes Beamtenwohnhaus und im November wird schon mit den ersten Arbeiten begonnen. Am 14. Mai 1950 findet das Richtfest auf der Dachterrasse des Habitat Stockenbruch statt. Aufgrund der für das Saarland neuartigen Gestaltung und technischen Ausstattung des Gebäudes, wird Ministerpräsident Hoffmann eingeladen, das Protektorat für das Habitat Stockenbruch zu übernehmen.

Die moderne technische Ausstattung des Habitat Stockenbruch besteht in zwei Personenaufzügen (Otis-Pifre, Paris), einem Müllabwurfschacht, einer Zentralheizung (3 Niederdruckkessel), sowie 6 Waschmaschinen und einer Heißmangel, eine Klingelanlage mit Gegensprechvorrichtung, dazu eine aussichtsreiche Dachterrasse und mit einem Kindergarten. Dieser Kindergarten wurde allerdings nie als solcher genutzt und schon im Juni 1953 wird das Dachgeschoss als Wohnraum von der Abteilung für Wiederaufbau freigegeben. Am 22. Juni 1950 wird dem Architekten Jean Schoffit zum 30. September 1950 gekündigt. Wer die Leitung der Bauarbeiten zum Habitat Stockenbruch weitergeführt hat, ist nicht bekannt.

Literatur

  • Wolfgang Pehnt, Deutsche Architektur seit 1900, Deutsche Verlagsanstalt München, ISBN 3-421-03438-9
  • Beyme, Durth, Gutschow, Nerdinger, Topfstedt (Hg.), Neue Städte aus Ruinen, Deutscher Städtebau der Nachkriegszeit, München 1992
  • Otto Renner Architekt (Hg.), Bauzeitschrift, Jahrgang 1, Heft 1
  • Urbanisme en Sarre 1947
  • Baulig, Mildenberger, Scherer, Architekturführer Saarbrücken, Historischer Verein für die Saargegend e.V. Saarbrücken 1998
  • Teildenkmalliste der Landeshauptstadt Saarbrücken, Stadtteil St. Arnual, Gemarkung St. Arnual, Stockenbruch 10 (Einzeldenkmal)
  • Bilke-Perkams, Miriam, Habitat Stockenbruch, Saarbrücken, St. Arnual, Saarbrücken 2014

Einzelnachweise

  1. Landesarchiv Saarbrücken, StK891
  2. Brief des Ministers für Finanzen und Forsten Grommes an die Abteilung für Wiederaufbau, 2 Dezernat 60, 20. Mai 1949, Stadtarchiv Saarbrücken
  3. Landesarchiv Saarbrücken, Bestand 2750, Brief des Regierungsbaurates Rheinstätter an den Ministerpräsidenten Hoffmann vom 10. Okt. 1950
  4. Rathausarchiv Stadt Saarbrücken, Hausakte Stockenbruch
  5. Landesarchiv Saarbrücken, StK 2750
  6. Landesarchiv Saarbrücken, StK 1452

Koordinaten: 49° 13′ 18,2″ N,  0′ 31,3″ O

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