Der Braunschweiger Dom, offiziell Domkirche St. Blasii zu Braunschweig und früher Stiftskirche St. Blasius’ und St. Johannis des Täufers, ist die bedeutendste Kirche in Braunschweig. Er wurde 1173 als Kollegiatstiftskirche von Heinrich dem Löwen, Herzog von Bayern und Sachsen, gegenüber seiner Burg Dankwarderode „zur Ehre St. Blasius’ und St. Johannis des Täufers“ gestiftet und von ihm zu seiner Grablege und der seiner zweiten Gemahlin Mathilde von England bestimmt. 1226 wurde der Dom geweiht.

Geschichte

Nach der Rückkehr Heinrichs des Löwen aus dem Heiligen Land, wohin er eine Pilgerreise unternommen hatte, begann im Jahr 1173 der Kirchenbau. Für die Jahre 1182 bis 1185, die Zeit der ersten Verbannung Heinrichs nach England, wird von einer Bauunterbrechung auszugehen sein. Es ist anzunehmen, dass die Ostseite des Gebäudes um 1188 (Jahr der Weihe des noch heute im Dom befindlichen Marienaltars) fertiggestellt war. Obwohl 1195, im Todesjahr Heinrichs des Löwen, das Dach der Kirche abbrannte, dürften ebenfalls die Arbeiten am Langhaus sowie Teilen der Turmgeschosse abgeschlossen gewesen sein.

Als Heinrich 1195 starb, wurde er neben seiner zweiten Ehefrau Mathilde, die bereits 1189 verstorben war, im noch unfertigen Dom beigesetzt. Das im Dom befindliche gemeinsame Grabmal wurde um 1230 gestiftet und ist an dieser Stelle seit dem Mittelalter bezeugt.

Die Bezeichnung „Dom“ erhielt das Bauwerk höchstwahrscheinlich bereits im 14. oder 15. Jahrhundert. Nach mittelalterlichem Verständnis war damit aber nicht so sehr die Kirche eines Bischofs, als vielmehr die eines Stiftes gemeint. Bis in das 19. Jahrhundert trug der Braunschweiger Dom deshalb die Bezeichnung „Stiftskirche St. Blasii und St. Johannis des Täufer“, kurz „Stiftskirche“, die teilweise auch heute noch verwendet wird.

Am 29. Dezember 1226 wurde der Dom geweiht und Thomas Becket zum dritten Schutzpatron des Domes erkoren. Seit 1543 ist der Braunschweiger Dom ein protestantisches Gotteshaus.

Heute ist die offizielle Bezeichnung Evangelisch-lutherische Domkirche St. Blasii zu Braunschweig.

Architektur

Aufzeichnungen über den Beginn der Arbeiten an dem romanischen Bauwerk und die beauftragten Baumeister existieren heute nicht mehr. Als Anhaltspunkte können lediglich die Weihen der zahlreichen Altäre des Domes herangezogen werden, über die zum Teil noch Unterlagen existieren.

Ursprünglich als dreischiffige romanische Pfeilerbasilika im gebundenen System, mit Querhaus, drei Apsiden, Krypta, Hochchor und sächsischem Westriegel konzipiert (wie zum Beispiel beim Dom von Königslutter zu finden) und aus Kalkstein (Elmkalkstein aus dem Elm und Braunschweiger Rogenstein aus dem Nußberg) errichtet, wurde der Dom über die Jahrhunderte hinweg mehrfach erweitert und umgebaut. Die besondere architektonische Gestaltung ergibt sich aus den Pfeilern und Wandvorlagen mit Kantensäulen, würfelförmigen Kapitellen, überhöhten Kreuzgratgewölben, im Mittelschiff als Tonnengewölbe ohne Gurtbögen durchlaufend. Diese schlichte Wölbungsform, die auf die Einteilung des Gewölbes in Joche verzichtet, ist für eine spätromanische Kirche erstaunlich.

Die Ostseite des Domes wurde über die Jahrhunderte hinweg baulich am wenigsten verändert. Auf der Nordseite, zum Burgplatz hin, befindet sich auch das Hauptportal des Gotteshauses, darüber das Wappen des welfischen Kanzlers und Stiftsherren Ludolf Quirre und die Jahreszahl 1469. Die beiden achteckigen Türme des Domes erhielten um 1300 eine gotische Glockenstube, sind aber bis heute unvollendet geblieben.

Zwischen 1322 und 1346 wurde an der Südseite ein weiteres Seitenschiff angefügt. Nachdem man auf der Nordseite das dortige Seitenschiff abgetragen hatte, wurde an seiner Stelle 1472 unter Herzog Wilhelm „dem Siegreichen“ eine zweischiffige spätgotische Halle erbaut. Ihre Fenster waren mit (1687 entfernten) Glasgemälden von Herzögen und Herzoginnen geschmückt, so dass sie wie eine Ruhmeshalle des Braunschweiger Herrscherhauses wirkte. Ungewöhnlich an diesem Bauteil sind die Fenster mit Tudorbögen, die für den Perpendicular Style, den Stil der englischen Spätgotik, typisch sind, sowie die gedrehten Säulen und figurierten Rippengewölbe.

Größere architektonische Veränderungen fanden unter Herzog Rudolf August um 1687 und seinem Bruder Herzog Anton Ulrich um 1700 statt. Zwischen 1866 und 1910 wurde der Dom unter anderem durch den Kreisbaumeister Ernst Wiehe grundlegend saniert und nach dem Zeitgeschmack im Stil des Historismus umgestaltet.

Ausstattung

Secco-Malereien

Das Kreuzschiff, der hintere Teil des Langhauses und die Apsidien wurden zwischen 1230 und 1250 mit Secco-Malereien ausgestattet, von denen heute noch rund 80 Prozent erhalten sind. Sie wurden 1845 unter einer Übermalung wiederentdeckt, abgepaust und anschließend restauriert, wobei es im Gegensatz zu der heutigen Auffassung von „Restaurierung“ als konservierender Bewahrung im 19. Jahrhundert durchaus üblich war, phantasievolle Ergänzungen im Sinne des Historismus auszuführen, die allerdings nichts mit dem Original zu tun hatten.

Die Restaurierungs- und Ergänzungsarbeiten erstreckten sich über mehrere Jahrzehnte. Namentlich zu nennen sind in diesem Zusammenhang Heinrich Brandes, der Braunschweiger Hofdekorationsmaler Adolf Quensen sowie August Essenwein. Während dieser Zeit wurden auch die Malereien von Johann Georg Loosen auf den Säulen im Langhaus hinzugefügt, die im Mittelalter sehr wahrscheinlich nicht vorhanden waren. Einige der Malereien auf den Säulen tragen unauffällig den Hinweis „Von Essenwein ergänzt 1880“. Nach den mittelalterlichen Traditionen der Ausmalung romanischer Kirchen wurde jedoch nur das Sanktuarium ausgemalt, nie aber das Langhaus.

Unter wohl weitgehender Übernahme des Gegenständlichen wurde 1880/81 eine vollständige Neubemalung des Domes durchgeführt. 1876 waren bereits die Heiligenfiguren an den Mittelschiffpfeilern geschaffen worden. Ältere Aufnahmen zeigen, dass der Dom damals im gesamten Mittelschiff mit ornamentaler und figürlicher Malerei versehen war.

Am nordwestlichsten Langhauspfeiler sowie im Vierungsgewölbe sind noch heute Inschriften mit dem Namen des mittelalterlichen Künstlers zu finden. Darin verweist ein „Johannes Wale“ oder „Johannes Gallicus“ stolz auf sein Werk: „Würden diese Figuren unter den Lebenden weilen, würden sie mit Recht bei den Göttern wohnen.“

Sowohl die Malereien als auch der Name Gallicus deuten auf eine Beeinflussung des Künstlers aus Frankreich hin. Der Stilbefund der Malereien erlaubt eine Datierung in die Zeit um 1230/50. Außerdem bestehen deutliche Bezüge zur Bemalung der Holzdecke in St. Michael in Hildesheim, deren ausführende Werkstatt eng mit der in Braunschweig verbunden gewesen sein dürfte. Kontinuum ist bei den Darstellungen die gleiche eckige Behandlung besonders der unteren Gewandfalten. Diese kantige Darstellungsform wurde als „Zackenstil“ bezeichnet und war in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sehr weit verbreitet.

Den besten Eindruck des Originalzustandes zeigt der südliche Querhausarm, der 1954/56 in mühevoller Kleinarbeit von Restaurator Fritz Herzig wiederhergestellt wurde. Dabei untersuchte dieser auch die von Johannes Gallicus verwendete Secco-Technik.

Generell folgen solche mittelalterlichen Ausmalungen einem thematisch festgelegten Bildprogramm. Ein Teil der Bilder wendet sich biblischen Themen zu, meist einem ausgeprägt christologischen Bilderzyklus; ein weiterer Teil beschäftigt sich mit der Genealogie des oder der Stifter, ein anderer beschäftigt sich mit der Geschichte der Patrone.

Es sei hier kurz auf die Szenenfolgen eingegangen (vom Chor über die Vierung ins südliche Querhaus): Wurzel Jesse (Stammbaum Jesu), Himmlisches Jerusalem (Weisung), Zyklen von der Auffindung des wahren Kreuzes Jesu durch die Heilige Helena, die Märtyrerlegenden des Heiligen Blasius, Johannes des Täufers und Thomas Becket von Canterbury, das nördliche Querhaus wurde im Anschluss an die Aufdeckung im 19. Jahrhundert mit Szenen aus dem Leben Christi versehen, im Mittelalter waren diese Wände offenbar unbemalt.

In der mittleren Apsis thront der wiederkehrende Christus Pantokrator auf einem Regenbogen, um die Welt zu richten. In den Toren des gemalten Mauerkranzes wachen die zwölf Apostel. Vom Lamm Gottes im Zentrum ausgehend sind Szenen dargestellt, die von der Hoffnung auf neues Leben geprägt sind: die Geburt Christi, die Frauen am leeren Grab des Auferstandenen, das Brotbrechen des Auferstandenen mit zwei Jüngern in Emmaus und die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten.

In der Wölbung des Chorraumes ist die irdische Abstammung Jesu von König David zu Maria dargestellt, unter vielfachen Verästelungen zu anderen undefinierbaren Königen, die das gesamte Gewölbe füllen.

Gegenüber der einstigen Kaiserempore im Südquerhaus, also bei jedem Gottesdienst im Angesicht Kaiser Otto IV., ist die Legende von der Auffindung des Heiligen Kreuzes durch die Heilige Helena dargestellt. Sie verweist auf die Pilgerreise Heinrichs des Löwen nach Jerusalem. Da Helena die Mutter Konstantins war, des ersten christlichen Kaisers in Rom, und auf einem Schild der streitenden Truppen der Reichsadler zu sehen ist, manifestiert der Fries aber auch das welfische Selbstverständnis als direkte Erben des römischen Kaisertums, wie es Kaiser Otto IV. verkörperte. Bei der Darstellung des Reichsadlers soll es sich um dessen älteste Wiedergabe handeln. Hier zeigt sich auch der Initiator der Ausmalung des Braunschweiger Doms und seine Intention: Otto IV. kümmerte sich bereits zu Lebzeiten um die Gestaltung seiner Grablege. Die thematische Gliederung der Ausmalung ist also im Zusammenhang mit der weiteren Ausgestaltung des Domes als Gesamtausstattung einer kaiserlichen Grablege zu verstehen.

Es gibt ein zusammenhängend erhaltenes Kontinuum der Wandmalerei. Dieses zeigt – wenn auch teilweise durch die Überarbeitung des 19. Jahrhunderts etwas verfremdet – die Bedeutung von Wandmalereien für den mittelalterlichen Kirchenbau und deren Erzählfreude. Noch mehr als der heutige Besucher war der damalige Betrachter beeindruckt von der bunten Bilderfolge und den prachtvollen, teilweise vergoldeten Szenen, die in ihrer Gesamtheit zu den umfangreichsten Zyklen auf deutschem Boden zählen.

Vor dem Hintergrund der geplanten grundlegenden Bestandssicherung wurde in den letzten Jahren eine weitreichende Bestandsaufnahme zur Vorbereitung einer groß angelegten Restaurierung der Malereien durchgeführt, wobei die mittelalterlichen Malereien von späteren Übermalungen wieder freizulegen sind.

Im Südquerhaus sind noch etwa 40 Prozent der Originalausmalung erhalten, wobei es sich bei diesen um die farbintensiveren Flächen handelt. Die Nachmalungen der verschiedenen Restaurierungen sind hingegen eher verblasst. Die gotische Idee, durch große Fenster möglichst viel Licht in den Kirchenraum zu lassen, hat den romanischen Malereien geschadet.

Imervard-Kreuz

Innerhalb und außerhalb des Domes befinden sich zahlreiche historische Kunstwerke. Im nördlichen Seitenschiff ist das sogenannte „Imervard-Kreuz“. Es ist belegt, dass dieses romanische Kreuz älter als der Braunschweiger Dom ist – es stammt vermutlich aus dem Jahre 1150.

Es handelt sich um ein romanisches Viernagelkreuz, das dem Volto-Santo-Typus zugeordnet wird. In der Wissenschaft werden stilistische Bezüge zu dem Kreuz des Domes von Lucca hergestellt. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um ein Prozessionskreuz, das einer Prozession (vielleicht auch einem Kreuzzug oder einer Pilgerreise?) voran getragen wurde. Im Hinterkopf verbirgt sich eine kleine Lade, in der Reliquien aufbewahrt wurden. Auf dem Gürtel des Gekreuzigten ist die lateinische Inschrift „IMERVARD ME FECIT“ (Imervard hat mich geschaffen) zu lesen.

Stilistisch gesehen wird hier, wie in romanischer Zeit üblich, kein leidender Christus dargestellt, sondern ein triumphierender Christus, ohne Dornenkrone, mit königlichem Gewand (Christus König).

Aus stilistischen Gründen handelt es sich mit Sicherheit nicht um ein Triumphkreuz, das auf einem Balken an der Vierung angebracht war.

Marienaltar

Einer der vielen Altäre, die den Dom im Laufe der Jahrhunderte schmückten, ist der von Heinrich dem Löwen und seiner Frau Mathilde gestiftete Marienaltar. Bischof Adelog von Hildesheim weihte ihn am 8. September 1188, dem Tag der Geburt Mariens. Er besteht aus einer polierten Steinplatte (168 cm × 89 cm), die auf fünf Bronzesäulen (Höhe 95 cm) ruht. Die mittlere Säule enthält einen bleiernen Reliquienbehälter und eine lateinische Aufschrift, deren Übersetzung lautet:

„Im Jahre des Herrn 1188 ist dieser Altar zur Ehre der seligen Gottesmutter Maria geweiht worden von Adelog, dem ehrwürdigen Bischof von Hildesheim auf Veranlassung des berühmten Herzogs Heinrich, dem Sohn der Tochter des Kaisers Lothar II., und seiner frommen Gemahlin Mathilde, Tochter des englischen Königs Heinrich II., des Sohnes Mathildes, der Kaiserin der Römer.“

Der Marienaltar ist der einzige, der die über 800-jährige Geschichte des Domes „überlebt“ hat. Alle anderen Altäre sind verschwunden.

Siebenarmiger Leuchter

Ein weiteres, berühmtes Objekt ist der Siebenarmige Leuchter, der vermutlich um 1190 entstand. Im Braunschweiger Dom befindet er sich auf jeden Fall bereits seit vor 1196, da sich Ludolf von Volkmarode in einer Stiftungsurkunde jenes Jahres verpflichtet hatte, für die Wachskerzen dieses Leuchters zu sorgen.

Der Leuchter besteht aus 77 bronzenen Einzelteilen, hat eine Höhe von fast fünf Metern, eine Spannweite von vier Metern und wiegt über 400 Kilogramm.

In Ausgestaltung und religiöser Symbolik ähnelt der Braunschweiger Leuchter stark der Menora sowie dem Lebensbaum. Ähnliche Leuchter sind nur noch im Essener Münster, im Mailänder Dom und in Kołobrzeg (Kolberg) im Kolberger Dom zu finden.

Der Leuchter hat trotz seiner Ähnlichkeit mit der Menora mit dieser wenig gemein. Als gesichert kann angenommen werden, dass der Stifter den Dom als Abbild des salomonischen Tempels verstanden wissen wollte. Jedoch ist in diesem Leuchter wohl eher ein Grableuchter (Bezug zum Baum des Lebens) zu sehen, den Heinrich der Löwe wahrscheinlich für das Grab seiner kurz zuvor verstorbenen Frau Mathilde stiftete. Bezeichnend ist ebenfalls die himmelwärtige, auf einen Punkt zielende Ausrichtung der lilienförmigen Kerzenschalen, was wiederum auf eine Auferstehungssymbolik hinweist.

Grabmal Heinrichs des Löwen und Mathildes von England

Vor dem Marienaltar befindet sich das Grabmal Heinrichs des Löwen und seiner zweiten Ehefrau Mathilde, das beide Stifter überlebensgroß darstellt.

Es ist nicht direkt mit der Lebenszeit des Herzogspaares verbunden, sondern einige Jahrzehnte nach deren Tod entstanden. Bei den Grabfiguren handelt es sich um idealisierte Gestalten, die aber aufgrund der hervorragenden künstlerischen Qualität die Lebensnähe von Abbildern zu gewinnen vermögen.

Das Herzogspaar ist nicht im Alter der jeweiligen Todeszeit dargestellt, sondern als gleichaltrige Personen in der Blüte ihres Lebens. Die gesellschaftliche Stellung und Bedeutung der Persönlichkeiten werden durch Gesten und Attribute betont.

Der in Blickrichtung der Grabfiguren auf der rechten Seite ruhende Heinrich hält ein Modell des Braunschweiger Doms in seiner rechten Hand, in der linken ein mit dem Schwertgurt umwickeltes Schwert als Zeichen der Gerichtsbarkeit.

Mathilde umfasst mit ihren vor der Brust gefalteten Händen eine Schlaufe ihres Mantels. So werden der Herzog als herrschaftlicher Initiator des Kirchenbaus und die Herzogin als fromme Frau dargestellt, deren Gebetshaltung durchaus ihrer zeitgenössischen Bezeichnung als religiosissima femina entspricht.

Die Lebendigkeit des Ausdrucks äußert sich vor allem in den souverän geführten Gewändern der Dargestellten. Sie fungieren primär nicht als Verhüllung, sondern deuten die Körperpartien naturnah an und sind sogar in das Handeln der Figuren eingebunden, so bei Heinrich, der einen Mantelzipfel greift, um nicht das Sanktuarium des Modells zu berühren.

Zuvor war bei den früheren Grabplatten, etwa der des Rudolf von Schwaben aus dem 11. Jahrhundert im Dom zu Merseburg, ein Konflikt zwischen dem scheinbaren Stehen und dem tatsächlichen Liegen der Figuren sichtbar geworden.

Eine neue naturalistische Auffassung, die sich zeitlich eng verbunden mit den Grabplatten der Plantagenêts in der Abtei Fontevraud, in dieser Gegend jedoch erstmals in diesen Figuren manifestiert, überwindet diese Unentschiedenheit. Die Gewänder sinken zwischen den Beinen ein oder umhüllen geschmeidig fließend die Körper, an denen sie eigentlich herabhängen müssten, wenn Standfiguren gemeint wären. Auch das Kirchenmodell scheint mehr auf Heinrichs Brust zu liegen denn auf seiner Hand zu stehen. Diese neuartige Gestaltungsweise als künstlerische Errungenschaft hält sich bis in die jüngste Zeit im Mittelpunkt des Interesses der kunsthistorischen Forschung zum Braunschweiger Grabmal.

Die Entstehungszeit des Grabmals ist einigermaßen genau datierbar, da an dem Kirchenmodell, welches die Figur Heinrichs hält, bereits die ersten gotischen Veränderungen am Dom abzulesen sind (Durchbruch gotischer Fenster in der oberen Wand des Langhauses, wahrscheinlich zur besseren Beleuchtung oder Inszenierung des Grabmals selbst oder das Kaiser Ottos IV. zusammen mit dem dort stehenden siebenarmigen Grableuchter geschaffen). Dennoch schwanken die Datierungen zwischen 1200 und 1260. Am wahrscheinlichsten ist die Zeit kurz nach 1227, dem Todesjahr Pfalzgraf Heinrichs, in der die Lage Braunschweigs unsicher war und der Bruch von Besitzrechten auch durch die Gemahnung des Gedächtnisses an den großen Stifter vermieden werden sollte. Eine wichtige historische Quelle zur Datierung des Grabmals sind die Annalen des welfischen Hauschronisten Arnold von Lübeck von 1210, die ein sehr bemerkenswertes Grabmal (satis memorabilis sepultura) Heinrichs und seiner Frau Mathilde in St. Blasius erwähnen. Diese Quelle kann bei der Datierung des Grabmals eigentlich nicht außer Acht gelassen werden.

Welfentumba

Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel ließ 1707 die im Langhaus bestatteten Gebeine seiner Vorfahren exhumieren und in einer monumentalen Kalkstein-Tumba gemeinsam beisetzen. Diese ist mit einer bronzenen Inschriftplatte bedeckt, auf der u. a. Kaiser Otto IV. und dessen erste Ehefrau Beatrix von Schwaben genannt sind. Das Grabmal des Kaiserpaars befand sich ursprünglich vor dem Grabmal von Ottos Eltern Heinrich der Löwe und dessen Ehefrau Mathilde, woran eine 2009 dort angebrachte Platte im Boden erinnert.

Über der Welfentumba erinnert eine Messingtafel an die um 1700 im nördlichen Querhausarm eingerichtete Gruft für Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel und seine Gemahlinnen, die jedoch 1934 beseitigt wurde.

Sonnenuhren

Am Dom befinden sich vier Sonnenuhren, die aus den Jahren 1334, 1346, 1518 und 1723 stammen.

Die beiden ältesten Uhren sind der Zeit entsprechend lediglich als Halbkreis geformt. Die Uhr aus dem Jahre 1518 zeigt bereits verschiedene Entwicklungsstufen dieses Uhrentyps. Die große Sonnenuhr am südlichen Turm wurde ursprünglich von dem Augsburger Kunsttischler Georg Hertel für die Städtische Münze am Kohlmarkt geschaffen und wurde erst 1723 (eventuell auch bereits 1716) am Dom angebracht. An ihr kann man nicht nur die Tageszeit und einige astronomische Daten ablesen, sie kann auch als Kalender genutzt werden.

Orgeln

Die älteste bekannt gewordene Orgel des Domes wurde im Jahre 1499 von dem Orgelbauer Heinrich Kranz erbaut. Näheres ist über das Instrument nicht bekannt. Es wurde Anfang des 17. Jahrhunderts zu einer Barockorgel umgebaut und im Laufe der Zeit erweitert. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts muss die Orgel auf einer Empore in einer Höhe von etwa 4,50 Metern gestanden haben und hatte einen Prospekt, der ca. 12,50 Meter hoch und 8,70 Meter breit war. Im Zuge der Restaurierung des Domes in den Jahren 1877 bis 1895 wurde eine massive Orgelempore in neo-romanischem Stil errichtet, auf der eine neue Orgel mit 85 Registern (5863 Pfeifen) aufgestellt wurde. Dieses von Furtwängler & Hammer erbaute Instrument war mit einem Fernwerk im Chor verbunden und wurde 1960 für 14.000 D-Mark an die St.-Marien-Kirche in Hannover verkauft.

Domorgel

Die heutige Orgel geht zurück auf ein Instrument, das im Jahre 1962 von der Firma Karl Schuke Berliner Orgelbauwerkstatt mit 55 Registern auf vier Manualen und Pedal erbaut wurde. 1992 baute dieselbe Firma das Schleifladen-Instrument um: Das Positiv erhielt eine Schwellvorrichtung, außerdem wurden eine 64-fache Setzeranlage installiert und ein Crescendotritt eingebaut. 2002/2003 intonierte die Firma Freiburger Orgelbau Hartwig Späth Orgelbaumeister die Orgel komplett neu. Darüber hinaus wurde der Winddruck erhöht, einige bestehende Register gegen neue ausgetauscht, das Schwellwerk mit Bleiplatten und Isoliermaterial klanglich abgedichtet, der Crescendotritt gegen eine Walze ausgetauscht und eine neue Setzeranlage mit unbegrenzter Speicherzahl hinzugefügt. Das Instrument hat heute 57 Register auf vier Manualwerken und Pedal. Eine Besonderheit sind die beiden Brustwerke, die jeweils schwellbar sind. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertraktur ist elektrisch. Die Orgel hat folgende Disposition:

I Schwellwerk C–g3
1.Prinzipal8′
2.Gedackt8′
3.Spitzgambe8′
4.Schwebung8′(N)
5.Oktave4′
6.Koppelflöte4′
7.Waldflöte2′
8.Quinte113
9.Sesquialtera II
10.Mixtur V
11.Fagott16′(N)
12.Englische Trompete8′(N)
13.Oboe8′
Tremulant
II Hauptwerk C–g3
14.Prinzipal16′
15.Oktave8′
16.Rohrflöte8′
17.Oktave4′
18.Nachthorn4′
19.Quinte223
20.Oktave2′
21.Flachflöte2′
22.Mixtur VI
23.Scharff IV
24.Trompete16′
25.Trompete8′
26.Trompete4′
Morgenstern (N)
Abendstern(N)
III Brustwerk C–g3
27.Holzgedackt8′
28.Holzprinzipal4′
29.Prinzipal2′
30.Sifflöte1′
31.Terzian II
32.Scharff III–V
33.Trichterregal8′
34.Singend Regal4′
Tremulant
IV Brustwerk C–g3
35.Quintadena 8′
36.Blockflöte4′
37.Rohrpfeife2′
38.Dezime II
39.Septade II
40.Cymbel III
41.Rankett16′
42.Krummhorn8′
Tremulant
Pedal C–f1
43.Untersatz32′(N)
44.Prinzipal16′
45.Subbass16′
46.Zartbass16′(N)
47.Oktavbass8′
48.Gemshorn8′
49.Choralbass4′
50.Nachthorn2′
51.Rauschpfeife III
52.Mixtur VI
53.Fagott32′
54.Posaune16′
55.Trompete8′
56.Trompete4′
57.Cornett2′
  • Koppeln: I/P; II/Pedal; III/Pedal; IV/Pedal; III/I (2003); IV/I (2003); Sub I/I(2003); I/II; Sub I/II(2003); III/II; IV/II; IV/III.
  • Spielhilfen: Walze; Setzeranlage (unbegrenzte Speicherzahl).
  • Anmerkungen
(N) = 2003 neu erbaut.
  1. Linkes Brustwerk
  2. 1 2 Schwellbar.
  3. Rechtes Brustwerk.

Chororgel (2023)

Voraussichtlich im Sommer 2023 erhält der Dom den ersten Teil einer Chor-Orgel, die als dreiteiliges Instrument durch die Orgelbau-Werkstatt Freiburger Orgelbau Hartwig und Tilmann Späth gebaut wird. Die Register der Chororgel werden in zwei einander gegenüberliegenden, spiegelsymmetrischen Zwillingsgehäuse verteilt; in der „Nordorgel“ wird das Hauptwerk untergebracht, in die „Südorgel“ kommen das Schwellwerk und das Solowerk. Die beiden Orgelgehäuse sind den Flügeln eines Engels nachempfunden und flankieren den Siebenarmigen Leuchter. Beide werden jeweils schwellbar angelegt. Die Bassregister werden außerhalb der beiden Flügel an der Südwand des Querhauses untergebracht.

Insgesamt wird die Chororgelanlage 31 klingende Register (2260 Pfeifen) auf drei Manualwerken und Pedal haben, zuzüglich 6 extendierten Registern und 17 Transmissionen. Das Pedal selbst erhält nur 2 reale Register mit 5 Transmissionen aus diesen sowie 17 Transmissionen aus den einzelnen Orgelwerken. Im Solowerk befinden sich zwei digitale Effektregister. Die Chororgel soll zusammen mit der Hauptorgel von einem frei fahrbaren Spieltisch aus angesteuert werden können.

Für die Finanzierung der Orgel wurde ein Orgelbauverein gegründet. Die Denkmalschutzbehörde stimmte dem Bau zu, obwohl damit ein Teil der Wandmalereien im Chor verdeckt wird.

Glocken

Der Dom besitzt zwölf Glocken, darunter zehn mittelalterliche Glocken, eine Glocke aus dem Jahr 1700 und eine Glocke aus dem Jahr 1990. Das Geläut gehört zu den bedeutendsten Geläuten Deutschlands.

Die älteste Glocke ist das sog. Adämchen resp. Blasius minimus. Aufgrund ihrer Form wird angenommen, dass diese Glocke aus dem 15. Jahrhundert stammt; der Gießer ist unbekannt.

Die drei größten Glocken des Geläuts (Salvator, Maria und Johannes) wurden im Jahre 1502 von einem der renommiertesten Glockengießer seiner Zeit, dem niederländischen Meister Gerhard van Wou, gegossen. Van Wou goss damals möglicherweise auch eine vierte Glocke, die Thomasglocke, die allerdings im Jahre 1660 abstürzte. An ihrer Stelle als viert-größter Klangkörper befindet sich seit 1990 eine Glocke, die 1989 von der Glockengießerei Rincker aus Sinn nachgegossen und unter dem Namen Thomas von Canterbury wieder in das Domgeläut eingefügt wurde.

Sechs weitere mittelalterliche Glocken (Glocken fünf bis zehn) wurden im Jahre 1506 von van Wous Gehilfen Heinrich von Kampen gegossen. Es wird vermutet, dass von Kampen noch eine oder zwei Glocken aus dem vorherigen Domgeläut dem neuen Domgeläut hinzufügte – unter anderem das Adämchen. Die kleine Gabrielsglocke wurde im Jahre 1700 von dem Braunschweiger Glockengießer Arnold Grete gegossen, und zwar aus dem Material einer ebenfalls im Jahre 1506 von Hinrik van Campen geschaffenen Glocke.

Während des Zweiten Weltkriegs sollten sämtliche Glocken des Domes abgeliefert und eingeschmolzen werden. Tatsächlich blieben die drei größten aber in der Glockenstube. Die anderen wurden nach Kriegsende unversehrt vom „Glockenfriedhof“ geborgen und an ihren angestammten Platz zurückgebracht.

Am 23. April 2006 verließen die drei größten Glocken des Domes (Blasius major, Maria und Johannes) zum ersten Mal seit über 500 Jahren ihren angestammten Platz im Glockenstuhl, um sich Restaurierungsarbeiten im Glockenschweißwerk Lachenmeyer in Nördlingen zu unterziehen. Nach vollendeter Arbeit kamen sie zwei Monate später, am 23. Juni, wieder nach Braunschweig zurück.

Schweißungen an Glocken wurden vorgenommen, um Risse wieder zu verfüllen, die infolge Materialermüdung entstanden waren. Dabei wurden die Risse zunächst ausgesägt, sodann wurde die Glocke auf Hochtemperatur gebracht, die jedoch noch weit unter dem Schmelzpunkt liegt. Anschließend wurden die Risse mit Bronze der exakt gleichen Legierung ausgegossen. Durch die Hochtemperatur wurden die Atome auch an den nicht geschweißten Teilen der Glocke neu ausgerichtet, eventuell ermüdete Stellen sind dann ebenfalls „wie neu gegossen“.

Im Zusammenhang mit den Schäden an den drei größten Glocken des Doms wurde in der letzten Zeit deutliche Kritik an der Läutepraxis geübt, die bislang darin besteht, diese Glocken täglich mindestens zehn Minuten zu läuten. Ein schonenderer Umgang mit den rund 500 Jahre alten Denkmalglocken wurde mehrfach vergeblich angemahnt.

Nr.
 
Name
 
Gussjahr
 
Gießer, Gussort
 
Durchmesser
(mm) 
Masse
(kg)
Nominal
(HT-1/16)
Glockenstuhl
 
1Salvator oder Blasius major1502Gerhard van Wou19354800a0 +1unten
2Maria17263300h0 −1
3Johannes der Täufer15482400des'
4Thomas von Canterbury1990Glockengießerei Rincker, Sinn13741578d'Mitte
5Anna oder Dominikal1506Hinrick van Campen1053690eis'
6Blasius medius et minor oder Bergglocke941550as'
7Maria oder Wolfglocke843380b'
8Thomas796320h'
9Kaspar, Vesper- oder Opfermannsglocke697220des''
10Katharina643180es''
11Gabriel, Stimm- oder Bimmelglocke1700Arnold Grete, Braunschweig51090eis''oben
12Adämchen oder Blasius minimus~15. Jh.unbekannt39036dis'''

Krypta

Im Dom befindet sich eine große Krypta, die Grablege der welfischen Fürsten der braunschweigischen Linie vom 17. Jahrhundert bis in das 19. Jahrhundert.

In ihr sind unter anderem folgende Personen bestattet (in chronologischer und familiärer Reihenfolge):

Zeit des Nationalsozialismus

1942 wurde die 5-Reichsmark-Banknote mit einer Abbildung des Dom mit dem Braunschweiger Löwen herausgegeben.

Die Nationalsozialisten versuchten mehrfach, Heinrich den Löwen und den Dom ideologisch-propagandistisch im Sinne der nationalsozialistischen Rassen- und Lebensraum-Ideologie zu instrumentalisieren. Besonderes Interesse hieran zeigte der braunschweigische Ministerpräsident, NSDAP-Mitglied Dietrich Klagges, der für Braunschweig den Titel der „deutschesten Stadt“ erringen wollte, einen Titel, den Hitler später Nürnberg zuerkannte.

Im Hinblick auf Heinrichs 1147 unternommenen Kreuzzug gegen die slawischen Völker nordöstlich Braunschweigs (bis zur Ostseeküste), deren daraus resultierende Unterwerfung sowie die danach verstärkte Ostkolonisation versuchten nationalsozialistische Ideologen wie z. B. Alfred Rosenberg, Heinrich den Löwen als Vorreiter ihrer Ideologie erscheinen zu lassen.

Zwischen 1935 und 1940 wurde die aus dem 19. Jahrhundert stammende Inneneinrichtung des Domes vollständig entfernt und das Gebäude in Sinne des Regimes teilweise baulich und gestalterisch verändert.

Öffnung des Grabes Heinrichs des Löwen

Hintergründe

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler setzten umgehend weit reichende Aktivitäten ein, den neuen NS-Staat zu zentralisieren und die Macht allein in Berlin zu konzentrieren.

Der Freistaat Braunschweig hatte zwar mit NSDAP-Mitglied Dietrich Klagges seinen eigenen Ministerpräsidenten, jedoch war dieser dem Reichsstatthalter von Braunschweig und Anhalt Wilhelm Friedrich Loeper unterstellt, der in Dessau residierte.

Klagges wollte jedoch aus Eigeninteresse (geplante NSDAP-Karriere) das Land Braunschweig weitestgehend vom Berliner Dirigismus unabhängig halten. Aus diesem Grunde schwebte ihm ein noch ins Leben zu rufender „Gau Ostfalen“ mit Braunschweig als Gauhauptstadt und ihm selbst als Gauleiter vor. Braunschweig sollte nach Klagges’ Vorstellungen NS-Muster- und Vorzeigestadt werden, so wurden unter anderem neue Mustersiedlungen in Mascherode und Lehndorf gebaut.

Heinrich der Löwe als Mittel zum politischen Zweck

Um seine Vorstellungen verwirklichen zu können, versuchte Klagges, Heinrich den Löwen für seine Zwecke politisch zu instrumentalisieren, indem er ihn dafür nutzte, die Aufmerksamkeit des Reiches und des „Führers“ auf Braunschweig – und damit auch auf sich selbst – zu lenken. So wurde Heinrich nach und nach zum „Vehikel“ für Klagges’ Pläne und so von ihm zum „Kolonisator des Ostens“ hochstilisiert; 1934 fand der Niedersachsentag in Braunschweig unter massiver „Präsenz“ Heinrichs des Löwen statt.

Am 5. Mai 1935, anlässlich eines offiziellen Staatsbesuchs von Hermann Göring und Hanns Kerrl, Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, in Braunschweig, eröffnete Klagges diesen seine Absicht, den Braunschweiger Dom in eine „nationale Gedenkstätte“ umzuwandeln, und erhoffte sich von der NS-Prominenz entsprechende Rückendeckung im Reich und bei Hitler. Um den „Führer“ vollends für sich zu gewinnen, versuchte Klagges sogar, Hitler in eine Linie mit Heinrich dem Löwen zu stellen. In einer Ansprache am 20. Juni 1935 sagte er in Braunschweig: „Wir gehen nicht fehl, wenn wir die Politik Adolf Hitlers als gradlinige Fortsetzung jener Volks- und Bauernpolitik ansehen, die einst Heinrich der Löwe von Braunschweig aus betrieben und durchgeführt hat.“ Dabei handelte es sich um ziemlich leicht durchschaubares politisches Kalkül. Hitler ließ sich dadurch nicht beeindrucken – im Gegenteil, wie sich für Klagges bald herausstellte.

Die Graböffnung

Am 18. Juni 1935 teilte Klagges dem Braunschweigischen Landesbischof Helmuth Johnsen mit, dass er, Klagges, Hausherr des Braunschweiger Domes sei und deshalb beschlossen habe, die Grabstätte Heinrichs des Löwen in wenigen Tagen für archäologische Untersuchungen öffnen zu lassen.

Zuvor war die Grabstätte bereits mehrfach geöffnet worden, so 1640, 1814, 1880 und schließlich 1935. Letztmals wurde die Grabstätte 1946 in der 1938 neu angelegten Gruft geöffnet, um die 1936 entnommenen Haarlocken wieder beizulegen.

Am 24. Juni 1935 wurde sozusagen „privatissime“ mit der Aufdeckung der Grabstätte Heinrichs des Löwen und seiner zweiten Gemahlin Mathilde begonnen. Das Grab wurde zunächst von Eißfeldt sondiert (von Beruf Oberforstmeister), den Klagges selbst für die Aufgabe ausgewählt hatte. Des Weiteren bestand das „Grabungsteam“ aus Baurat Hartwig, Ernst August Roloff, den Fachschülern Birker und Rieger (als Fotografen) sowie dem (erst nachträglich hinzugezogenen) Landesarchäologen Hermann Hofmeister (welcher dann die fachmännische Leitung der weiteren Grabungen übernahm).

Viele Jahrzehnte später schrieb ein Augenzeuge der Grabungen: „Die Arbeiten wurden ohne Benachrichtigung des Pfarramtes oder des Dompfarrers sowie des Landeskirchenamtes begonnen …“ und „Ich hatte nicht den Eindruck, daß alle Beteiligten in großer Ehrfurcht bei der Sache waren; ich hatte vielmehr in genauer Erinnerung, daß der beteiligte Archäologe am Rande der Gruft saß und ratlos hinab sah …“.

Zunächst waren für die Grabungsarbeiten lediglich sieben Tage angesetzt worden, doch nachdem die Leitung in Expertenhände (Hofmeister) wechselte, verlängerte sich dieser Zeitraum.

Ein Steinsarkophag

Am 27. Juni 1935 wurde ein in der Gruft vorgefundener Sarkophag geöffnet. Zutage kam ein weitestgehend verwester Leichnam, von dem hauptsächlich noch Knochen der unteren Extremitäten (inkl. Becken) vorhanden waren. Der Kopf war als solcher auf den ersten Blick kaum noch erkennbar. Der Körper war in die Überreste einer Lederhülle eingenäht. Die Vermessung der Skelettreste ergab eine Körpergröße von lediglich 1,62 m. Der Körperbau wurde als stämmig und gedrungen beschrieben. Bei der weiteren Untersuchung konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Leichnam handelte.

Schwere Verletzung

Die Knochenfunde ergaben sehr schnell, dass die betreffende Person unter einer schweren Behinderung gelitten haben musste, denn das linke Bein war um 10 cm verkürzt.

Man deutete dieses Merkmal als einen wesentlichen Hinweis auf Geschlecht und Identität des Leichnams, denn es ist belegt, dass Heinrich der Löwe im Februar 1194 (im Alter von 65 Jahren) auf dem Weg nach Saalfeld einen schweren Unfall hatte. Auf einem vereisten Weg bei Bodfeld im Harz stürzte er vom Pferd und wurde dabei so schwer am Bein verletzt, dass er die Reise nicht fortsetzen konnte.

In den Annales Stederburgenses ist dazu vermerkt:

„Ad quam (curiem Salefelde) cum … dux esset in itinere, in arduo nemoris, cum appropimquaret, qui Botfelde dicitur, dux de equo corruit et ex cotritione tibiae an itinere, quod coeperat, impetitus est …“
(„Als der Herzog auf dem Marsch nach dem Königshofe Saalfeld war und sich einem Orte namens Bodfeld näherte, stürzte er vom Pferd und wurde infolge einer Verletzung der Tibia [Schienbein] am Weitermarsch gehindert.“)

Bei gründlicher Untersuchung des Skelettes trat das tatsächliche Ausmaß der „Verletzung“ zutage: Die linke Gelenkkapsel des Beckens schien gerissen, das linke Oberschenkelgelenk anscheinend dadurch aus der Gelenkpfanne gerutscht. Die linksseitig gefundene Vernarbung der angenommenen Fraktur und die teilverheilte, aber missgestaltete Gelenkpfanne wurden als Indizien dafür betrachtet, dass die Person (Heinrich der Löwe – wie angenommen wurde) noch längere Zeit nach dem Unfall gelebt haben musste, dabei aber in ihrer Bewegungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen war.

Die Frage, ob dies als Beleg für die Identität des Leichnams ausreichend ist, ist mehrfach kritisch erhoben worden. Infolge einer neueren Funddeutung von 1974 gehörten die Gebeine in dem Sarkophag einer dunkelhaarigen Frau von kleinerer Gestalt, die unter einer angeborenen Hüftanomalie litt.

Über Mathilde ist überliefert, dass sie stets in einer Sänfte getragen wurde – unter Umständen ein Hinweis auf eine Körperbehinderung, die das Gehen beeinträchtigte.

Der Kindersarg

Bei den weiteren Untersuchungen der Gruft kam überraschenderweise ein weiterer, aber viel kleinerer Steinsarkophag zum Vorschein – offensichtlich ein Kindersarg.

Auch hier gelang es anscheinend, die Identität schnell zu klären. Heinrich der Löwe und seine erste Ehefrau Clementia hatten einen Sohn namens Heinrich. Der Überlieferung nach soll ihn seine Amme im Kleinkindalter vom Tisch fallen lassen haben, wobei das Kind verstarb. Aufgrund der Skelettgröße von 70 cm dürfte das Kind zwei bis drei Jahre alt gewesen sein.

Ein dritter Sarg

Zwischen dem Kindersarkophag und dem großen Sarkophag wurden anschließend Reste eines fast vollständig vermoderten Holzsarges entdeckt. In ihm wurde eine mit einer dicken Kordel vernähte sackförmige Lederhülle von 2,05 m Länge gefunden, die ein Skelett umschloss.

Der große, 1935 „eindeutig“ als weiblich identifizierte Leichnam wurde als der Mathildes, Heinrichs zweiter Frau, gedeutet, die bereits 1189 im Alter von nur 32 Jahren gestorben und als erste in dieser Gruft bestattet worden war. 1974 wurde dieses Ergebnis bei einer Neudeutung revidiert und der Holzsarg mit dem dort befindlichen Skelett als das Grab Heinrichs des Löwen identifiziert. Nach Fundbegutachtung wurden die sterblichen Überreste der zwei Erwachsenen in Zinksärge umgebettet und diese wiederum in den alten und in einen neuen Steinsarkophag gebettet.

Den festgestellten Größenunterschied von 1,62 m zu 2,05 m führt man nach heutigem Wissensstand darauf zurück, dass der Holzsarg von der schweren Steinabdeckung des Grabes über die Jahrhunderte hinweg zerquetscht und damit in die Länge gepresst wurde. Es gibt keinen einfachen Rückschluss von der Körperlänge auf das Geschlecht der gefundenen Personen.

Die Grabungsarbeiten fanden schließlich am 6. Juli 1935 ihren offiziellen Abschluss.

Besuch Hitlers

Nachdem es Klagges gelungen war, Heinrich den Löwen, den Braunschweiger Dom, die Ausgrabungen und damit sich selbst dermaßen ins Rampenlicht der (politischen) Öffentlichkeit zu rücken, kam es am 17. Juli 1935 zu einem Blitzbesuch Hitlers an der Ausgrabungsstelle.

Der Besuch verlief allerdings nicht im Sinne des Braunschweigischen Ministerpräsidenten, denn Hitler erklärte nach der Besichtigung, dass ab sofort nur noch er selbst über Art und Umfang der Baumaßnahmen für die Umgestaltung des Braunschweiger Domes zur nationalsozialistischen „Weihestätte“ entscheide. Daraufhin wurden sämtliche bis dahin schon von Klagges erteilten Arbeitsaufträge storniert. Zu Hitlers großem Ärger verbreitete sich aber die Nachricht seiner eigentlich geheimen Anwesenheit in der Stadt blitzschnell in der Bevölkerung, so dass er Braunschweig bereits nach wenigen Stunden wieder verließ und nie wieder betrat.

Hanns Kerrl erhielt später von Hitler alleinige Entscheidungsbefugnis bezüglich aller Maßnahmen in Verbindung mit dem Dom – de facto eine Entmachtung Klagges’, denn dieser musste nun alles von Kerrl oder Hitler genehmigen lassen. Das Reich beteiligte sich an den Kosten und „der Führer werde als Stifter“ in der Öffentlichkeit auftreten.

Kritik und Fazit

Die „archäologischen“ Arbeiten des Sommers 1935, wenn man sie denn als solche bezeichnen will, gelten unter Experten bis heute als umstritten, da ihnen zum einen jeglicher wissenschaftlicher Unterbau fehlte bzw. vorenthalten wurde (so gab es zum Beispiel bis Ende des Zweiten Weltkrieges keinerlei Diskussion der Grabungsbefunde unter Fachleuten), zum anderen die Grabungen mehr neue Fragen aufwarfen, als sie alte lösten.

Nach Beendigung der Arbeiten wurde es seitens der NSDAP sehr schnell erstaunlich ruhig um Heinrich den Löwen. So wurde zum Beispiel der offizielle Grabungsbericht (elf Seiten Text mit 56 Fotos) des Landesarchäologen und Grabungsleiters Hermann Hofmeister, den dieser 1936 kurz vor seinem Tode verfasste, während der Zeit des Nationalsozialismus nicht veröffentlicht. Erst 1978 erschien eine geringfügig gekürzte Fassung mit erheblich weniger Fotos (siehe unten unter „Literatur“).

Nach Kriegsende entstand um die tatsächliche Identität der Gebeine eine teilweise heftig geführte wissenschaftliche Debatte, die die korrekte Zuordnung der sterblichen Überreste anzweifelte bzw. als ideologisch motiviertes Wunschdenken zurückwies. Somit ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt, wessen Gebeine seinerzeit im Braunschweiger Dom gefunden wurden.

Als Hinweis auf die Zuordnung der sterblichen Überreste kann die ursprüngliche Anordnung der Figuren auf dem Grabmal herangezogen werden, die durch die (absichtliche) Missdeutung der Nationalsozialisten 1936/38 verändert wurde und erst nach der Wiederherstellung der Tumba rückgängig gemacht wurde.

Zudem steht diese Anordnung der Gräber (Mathilde im Steinsarkophag, Heinrich im Holzsarg) im Einklang mit den Steterburger Annalen, dass Heinrich der Löwe in dextero latere uxoris suae („zur Rechten seiner Gemahlin“) begraben sei. Hier dürfte also durch direkt nach dem Ableben des Herrscherpaares gefertigte Grabplatten eine Identifizierungsmöglichkeit bestanden haben.

Umgestaltung des Domes im Inneren

Eine neue Gruft für Heinrich den Löwen

Bereits am 14. August 1935 erhielten die von Hitler ausgewählten Architekten Walter und Johannes Krüger (die Erbauer des Ehrenmals und der Hindenburg-Gruft bei Tannenberg) den Auftrag, eine Gruft für Heinrich den Löwen zu entwerfen, die seiner politisch-historischen Bedeutung angemessen sei. Am 25. November 1935 wurden die Entwürfe fertiggestellt und am 11. Dezember 1935 Hitler zur Begutachtung und Genehmigung vorgelegt.

Landesbischof Johnsen protestierte bei Klagges und Kerrl gegen die Umbaumaßnahmen – vergeblich, denn Klagges verwies auf seine Hausherrenrolle und erklärte, es gebe im rechtlichen Sinne gar keine „Dom-Gemeinde“; insofern liege kein Eingriff in die freie Religionsausübung oder innerkirchliche Belange vor.

Da der Braunschweiger Dom im Eigentum des Landes Braunschweig und nicht der Landeskirche stand, benötigten die Nationalsozialisten für die Durchführung ihrer ideologisch begründeten Umbaumaßnahmen nicht einmal eine Enteignung. Die Bauarbeiten begannen 1936 und wurden 1938 abgeschlossen.

Der Entwurf der Gebrüder Krüger sah eine wuchtige, nahezu quadratische Gruft aus Odenwälder Granit vor. Über dem Eingang zur Gruft befindet sich als Schlussstein des Gewölbes ein stilisierter Löwenkopf des von den Nationalsozialisten bevorzugten Bildhauers Arno Breker. An den vier Seiten der neuen Grablege befinden sich je paarweise angeordnet die Wappen der von Heinrich dem Löwen gegründeten Städte München, Lübeck und Lüneburg sowie seiner Residenz Braunschweig. Die Westwand zeigte ein stilisiertes Hakenkreuz, das nach Kriegsende entfernt wurde.

In einer Art „Reliquiennische“ waren bis 1945 unter anderem zwei Schaufassungen mit einer vermeintlichen Haarlocke Heinrichs und einem im angeblichen Grab Mathildes vorgefundenen Gewebeband ausgestellt.

Umwandlung des Kircheninneren

Die nationalsozialistischen Rassen- und Lebensraum-Ideologen beabsichtigten, aus dem Braunschweiger Dom ein Objekt ihrer Propaganda zu machen. Dazu war geplant, den Dom seiner Funktion als Ort der christlichen Religionsausübung zu berauben und ihn zu instrumentalisieren, indem er zum einen profaniert und zum anderen mit NS-Symbolik und -Gepräge neu „besetzt“ wurde. Das Ziel war die Schaffung einer „nationalen Kultstätte“ bzw. einer „völkischen Weihestätte“ zur „Andacht des gesamten deutschen Volkes“.

Zur Erreichung dieses Zieles wurde das Kircheninnere auf seinen mittelalterlichen „Urzustand“ (so wie ihn die NS-Propagandisten verstanden) zurückgeführt, indem alles, was nicht aus der Zeit Heinrichs des Löwen stammte, das heißt sämtliche über Jahrhunderte angesammelte Ausstattungsstücke wie Kreuze, Epitaphien und sonstige Einrichtungsgegenstände wie das Gestühl und Ähnliches, aber auch Malereien aus dem 19. Jahrhundert vollständig entfernt wurde. Der Dom wurde sozusagen „ausgeweidet“.

Anschließend wurden neue, große Feuerschalen zur Beleuchtung des Raumes aufgestellt und das Grabmal des Herzogs und seiner Gemahlin erhielt eine Umfassung aus Granit.

Der Braunschweiger Volkskundler Werner Flechsig, von 1950 bis zu seiner Pensionierung 1973 Leiter der Volkskunde-Abteilung des Braunschweigischen Landesmuseums, begrüßte 1940 die NS-Umgestaltung des Domes überschwänglich:

„… Wir empfinden daher erst seine Zutaten des 19. Jahrhunderts in unseren alten Domen als unkünstlerischen Mißklang, die aus dem Unvermögen eigener Stilgestaltung heraus zu schwächlichen Nachahmungen älterer Formen griffen, […] Hier war nicht mehr wirkliches Leben, sondern Erstarrung. […] Wir dürfen dem Dome Heinrichs des Löwen Bildwerke unseres Stiles und unseres Geistes einfügen, wie das 13. Jahrhundert ihm das Grabmal des Herzogspaares und die Fresken, das 14. und 15. Jahrhundert die gotischen Seitenschiffe, das 16., 17. und 18. Jahrhundert weitere Grabmäler und Epitaphien einfügte…

… Die hohe Bestimmung des Braunschweiger Domes als völkische Weihestätte verlangt einen entsprechenden Bildinhalt. In einem Raum, der nach dem Willen des Führers der Andacht des gesamten deutschen Volkes dienen soll, konnte die künstlerische Ausschmückung unmöglich durch eine ganz anderen Zwecken dienende Tradition bestimmt werden. […] Die Weihestätte Heinrichs des Löwen mußte mit Darstellungen jenes Werkes geschmückt werden, durch das dieser Mann unsterblich ist, der Ostkolonisation. Diese Darstellungen sollen den Besucher des Domes bereits bei seinem Eintritt in den Raum innerlich ganz gefangennehmen […] Dank und Verehrung für einen Mann, der unserem Volke vor drei viertel Jahrtausenden Wegbereiter war in eine große Gegenwart und noch größere Zukunft. […] Was vordem nur Ausdruck unerfüllter Sehnsucht war, heute wird es unter der Führung Adolf Hitlers Wirklichkeit. […]“

Neue Ausmalung des Langhauses

Für die Ausmalung des Langhauses wählten die Nationalsozialisten im Jahr 1937 den jungen Berliner Maler Wilhelm Dohme aus, der alsbald mit seiner Arbeit begann und den Dom in Sgraffito-Technik ausmalte. Unterbrochen von Dohmes Einsatz als Soldat im Zweiten Weltkrieg entstanden acht Monumentalbilder, die sich, an der Ostung des Domes ausgerichtet, über das gesamte Mittelschiff erstreckten und die „Eroberung des Ostens“ durch Heinrich den Löwen thematisierten.

Ohne Hintergrundmalereien auf grobem Rauputz zeigten diese Gemälde Szenen im Zusammenhang mit dem Leben Heinrichs des Löwen. Die Ausrichtung aller dargestellten Figuren ist gen Osten. Inhaltlich spiegelten die Wandbilder eindeutig nationalsozialistisches Gedankengut wider, jedoch entsprach die Formensprache eher der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre. Ziel war es, Heinrich den Löwen als „Ahnen“ Hitlers und „Vorreiter“ der völkischen Bewegung darzustellen. Die Arbeiten fanden nach mehreren Unterbrechungen 1940 ihren Abschluss.

Dohmes Sgraffiti trugen, wie auch die anderen baulichen und gestalterischen Veränderungen im und am Dom, in ihrer Gesamtheit dazu bei, dass der Dom die von den nationalsozialistischen Machthabern beabsichtigte neue Bedeutung als nationale Wallfahrts- und Weihestätte erhielt. Der Braunschweiger Dom war nun „Staatsdom“.

Bei einem Festakt am 23. November 1940, anlässlich der kulturpolitischen Konferenz des Deutschen Gemeindetages, bei der der Dom zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder für die Öffentlichkeit zugänglich war, „weihte“ Rosenberg ihn als „nationale Kultstätte“ und „Halle Heinrichs des Löwen“, wie der Dom in der Folge ebenfalls bezeichnet wurde.

Krieg und Nachkriegszeit

Der Braunschweiger Dom wurde durch die über 40 schweren und schwersten Luftangriffe auf Braunschweig in den Jahren zwischen 1940 und 1945 im Vergleich zur bis zu 90 Prozent zerstörten Innenstadt, in der er sich befindet, nur unwesentlich beschädigt. Lediglich Gewölbe der nördlichen Vorhalle, Dach und Fenster wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Nach Kriegsende wurden, wo möglich, die baulichen und gestalterischen Veränderungen aus nationalsozialistischer Zeit weitestgehend rückgängig gemacht, und der Braunschweiger Dom konnte wieder als protestantisches Gotteshaus dienen.

Durch einen im Jahr 1954 zwischen dem Land Niedersachsen und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig geschlossenen Staatskirchenvertrag wurde der Dom mitsamt allen Kunstschätzen in das Eigentum der vom Landeskirchenamt verwalteten Stiftung Domkirche St. Blasius zu Braunschweig überführt. Seither obliegt die rechtliche Vertretung des Doms der Stiftung, die auch den Domfriedhof und die weiteren Gebäude (Domkantorenhaus, Haus der Domsingschule, Domfriedhofsgärtnerhaus) in ihrer Obhut hat.

In den 1960er Jahren wurde der Dom grundlegend saniert. Bei dieser Gelegenheit wurden die schweren Schäden am Fundament, die durch den Bau der Krypta für Heinrich den Löwen 1936 entstanden waren, beseitigt. 2005 wurde innen das gesamte Sichtmauerwerk aus Elmkalkstein mit einer glänzenden, acrylartigen Farbe übermalt.

Heute besuchen jedes Jahr durchschnittlich 350.000 Menschen den Braunschweiger Dom. Er gehört damit zu den zehn meistbesuchten protestantischen Gotteshäusern in Deutschland und der Schweiz. Die Domsingschule ist heute die größte Einrichtung für evangelische Kirchenmusik in Deutschland.

Legenden

Kratzspuren am Löwenportal

Auf der Nordostseite des Domes befindet sich das sogenannte „Löwenportal“. Es ist das einzige erhaltene Domportal aus romanischer Zeit und bekannt für die dort in den steinernen Türlaibungen befindlichen „Kratzspuren“. Der Sage nach sollen sie vom Löwen Heinrichs des Löwen stammen. Als der tote Herzog aufgebahrt im Dom lag, versuchte der Löwe zu seinem Herrn zu gelangen, indem er am Portal kratzte.

Die tatsächliche Ursache dieser „Kratzspuren“ dürfte allerdings darin liegen, dass Soldaten dort ihre Waffen, wie Schwerter und Lanzen, zum Schärfen wetzten, was im Laufe der Jahrhunderte die tiefen Einkerbungen hinterließ. Eine andere Erklärung ist, dass dieses Portal als einziges aus der Erbauungszeit des Domes stammt und somit wahrscheinlich das Portal ist, „dessen Steine Heinrich den Löwen gesehen“ haben. Im Mittelalter und Spätmittelalter maß man daher den Steinen eine besondere (Heil-)Kraft zu und versuchte aus ihnen Pulver zu gewinnen. Durch die Einnahme dieses Pulvers versprach man sich Teilhabe an der legendären Kraft Heinrichs des Löwen. Ein weiterer Grund für die Bevölkerung, sich Teile des Steines abzukratzen, könnte mündlicher Überlieferung zufolge auch darin zu sehen sein, dass Sankt Blasius, dem der Dom geweiht ist, der Schutzpatron der Halskranken ist. Die Einnahme des Pulvers sollte Heilung bringen.

Kanonenkugel in der Ostwand

In der Ostseite des Domes befindet sich eine Kanonenkugel in der Mauer. Sie soll von einer der zahlreichen Belagerungen der Stadt im 17. Jahrhundert stammen. Unter der Kugel ist in römischen Ziffern „20. August 1615“ eingemeißelt. Dies weist auf die Belagerung durch die Truppen Herzog Friedrich Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel im Sommer 1615 hin.

Literatur

  • Elmar Arnhold: Stiftskirche St. Blasii (Dom). In: Mittelalterliche Metropole Braunschweig. Architektur und Stadtbaukunst vom 11. bis 15. Jahrhundert. Appelhans Verlag, Braunschweig 2018, ISBN 978-3-944939-36-0, S. 84–103.
  • Reinhard Dorn: Mittelalterliche Kirchen in Braunschweig. Niemeyer, Hameln 1978, ISBN 3-87585-043-2.
  • Hermann Hofmeister: Bericht über die Aufdeckung der Gruft Heinrichs des Löwen im Dom zu Braunschweig im Sommer 1935. Gekürzte Fassung. Archiv-Verlag, Braunschweig 1978.
  • Horst-Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt (Hrsg.): Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region. 2. Auflage. Appelhans Verlag, Braunschweig 2001, ISBN 3-930292-28-9.
  • Wolfgang Kimpflinger: Baudenkmale in Niedersachsen. Band 1.1.: Stadt Braunschweig. Teil 1 (= Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland). Hameln 1993, ISBN 3-87585-252-4, S. 54–60.
  • Jochen Luckhardt, Franz Niehoff (Hrsg.): Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125 bis 1235 (3 Bände). Hirmer, München 1995, ISBN 3-7774-6690-5 (Katalog der Ausstellung in Braunschweig 1995).
  • Cord Meckseper (Hrsg.): Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150–1650 (4 Bände). Ed. Cantz, Stuttgart-Bad Cannstatt 1985, ISBN 3-922608-37-X (Katalog zur Landesausstellung Niedersachsen in Braunschweig, 24. August bis 24. November 1985).
  • Martin Neumann: Sonnenuhren an alten Gebäuden in Braunschweig. Friedrich Borek, Evangelisches Dompfarramt, Braunschweig 1991.
  • Adolf Quast: Der Sankt-Blasius-Dom zu Braunschweig. Seine Geschichte und seine Kunstwerke. Selbstverlag, Braunschweig 1975, DNB 1191707199.
  • Tilmann Schmidt: Die Grablege Heinrichs des Löwen im Dom zu Braunschweig. In: Braunschweigisches Jahrbuch. 55. 1974, S. 9–45.
  • Monika Soffner-Loibl, Joachim Hempel: Der Braunschweiger Dom. 2., veränderte Auflage. Kunstverlag Peda, Passau 1999, ISBN 3-89643-499-3.
  • Gerd Spies (Hrsg.): Brunswiek 1031 – Braunschweig 1981. Die Stadt Heinrichs des Löwen von den Anfängen bis zur Gegenwart (2 Bände). Städtisches Museum Braunschweig, Braunschweig 1982 (Katalog zur historischen Ausstellung vom 25. April 1981 bis 11. Oktober 1981).
  • Gerd Spies (Hrsg.): Braunschweig – Das Bild der Stadt in 900 Jahren. Geschichte und Ansichten (2 Bände). Städtisches Museum Braunschweig, Braunschweig 1985 (Katalog zur stadtgeschichtlichen Ausstellung im Altstadtrathaus vom 24. August bis 24. November 1985, Städtisches Museum Braunschweig).
  • Frank Neidhart Steigerwald: Das Grabmal Heinrichs des Löwen und Mathildes im Dom zu Braunschweig. Eine Studie zur figürlichen Kunst des frühen 13. Jahrhunderts, insbesondere der bildhauerischen (= Braunschweiger Werkstücke, Band 47). Waisenhaus-Buchdruckerei und Verlag, Braunschweig 1969, DNB 482625376 1971 (Dissertation Technische Universität Braunschweig 1972, 134 [32] Seiten, 89 Illustrationen, DNB 730097064).
  • Mechthild Wiswe: In der Gruft des Braunschweiger Domes. Die letzte Ruhestätte der Welfenfürsten. Hrsg. Evangelisches Dompfarramt. Waisenhaus Druckerei, Braunschweig 1990.
  • Harald Wolter-von dem Knesebeck, Joachim Hempel (Hrsg.): Die Wandmalereien im Braunschweiger Dom St. Blasii. Schnell & Steiner, Regensburg 2014, ISBN 978-3-7954-2548-7.
  • Martin Zeiller: Fürstliches Stifft S. Blasii in Braunschweig. In: Matthäus Merian (Hrsg.): Topographia Ducatus Brunswick et Lüneburg (= Topographia Germaniae. Band 15). 1. Auflage. Matthaeus Merians Erben, Frankfurt am Main 1654, S. 51–55 (Volltext [Wikisource]).
Commons: Braunschweiger Dom – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Sebastian Wamsiedler: Die Glocken der Stiftskirche St. Blasius und St. Johannis d. Täufers (Braunschweiger Dom). (PDF) 19. März 2013, abgerufen am 13. Juli 2018.
  2. Der Braunschweiger Dom. Abgerufen am 13. Juli 2018.
  3. Hans Josef Böker: Die spätgotische Nordhalle des Braunschweiger Domes. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte. Band 26, 1987, S. 51–62.
  4. Friedrich Berndt: Die Gestalt der Orgeln im Dom St. Blasii. In: Braunschweigerdom.de, ursprünglich als Beitrag in der Festschrift zur Orgelweihe, 1962 (PDF).
  5. Winfried Gburek: Wie gemacht für diese Kirche. In: KirchenZeitung – Die Woche im Bistum Hildesheim, Ausgabe 1/2021 vom 10. Januar 2021, S. 10.
  6. Die Orgel im Braunschweiger Dom: Daten. In: Braunschweigerdom.de (PDF; 389 kB).
  7. Der Braunschweiger Dom erhält seine zweite Orgel. In: Braunschweiger Zeitung. 28. Januar 2020, abgerufen am 30. Januar 2020.
  8. Orgelbauverein am Braunschweiger Dom e.V. – Disposition der neuen Chororgel. (PDF) (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 30. Januar 2020; abgerufen am 30. Januar 2020.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  9. Informationen zur Orgel auf der Website der Orgelbaufirma
  10. Orgelbauverein am Braunschweiger Dom e.V. Abgerufen am 30. Januar 2020.
  11. Audiodatei des Vollgeläuts des Braunschweiger Doms auf wamsiedler.de (Plenum)
  12. Ernst-August Roloff: Hitlers Blitzbesuch besiegelt Zerwürfnis mit Klagges. In: Braunschweiger Zeitung-Spezial (Hrsg.) Nr. 3: Wie braun war Braunschweig? Hitler und der Freistaat Braunschweig. 2. Auflage. Braunschweig 2003, S. 33.
  13. Werner Flechsig: Sinnbilder der Geschichte, Zu Wilhelm Dohmes Wandbildern im Braunschweiger Dom. In: Die Kunst im Deutschen Reich. 4. Jahrgang, Folge 3, März 1940, hrsg. vom Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, München 1940, S. 86–93.
  14. Die Titel der acht Wandgemälde waren: Auseinandersetzung zwischen Kaiser Barbarossa und Heinrich dem Löwen über die Ostpolitik, Zug der Soldaten nach dem Osten, Zug der Bauern nach dem Osten, Heinrich der Löwe als Führer und Sieger, Kampf um Neuland, Roden und Pflügen im östlichen Siedlungsland, Ernte und Dank der Siedler an Heinrich den Löwen und Grenzschutz gen Osten.
  15. Ansprache Rosenbergs im Dom. In: Die kulturpolitische Tagung des Deutschen Gemeindetages im Rahmen der 7. Reichsarbeitstagung der Dienststelle des Reichsleiters Rosenberg in Braunschweig am 23. und 24. November 1940. Wilhelm Hesse (Hrsg.), Verlag Appelhans, Braunschweig 1941, S. 19–25.
  16. Ev.-luth. Dompfarramt: Domstiftung. In: Braunschweigerdom.de.
  17. Kennen Sie die Braunschweiger Domsingschule? In: Braunschweigerdom.de.

Koordinaten: 52° 15′ 51″ N, 10° 31′ 27″ O

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