Carl Grünberg (geboren 10. Februar 1861 in Focșani, Rumänien; gestorben 2. Februar 1940 in Frankfurt am Main) war ein deutsch-österreichischer Staatsrechtswissenschaftler und Soziologe. Er war Gründungsdirektor des Instituts für Sozialforschung und Begründer des von 1911 bis 1930 erschienenen Archivs für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Er war erklärter Marxist und gilt als „Vater des Austromarxismus“.

Leben

Grünberg entstammt einer deutsch-jüdischen Familie in Bessarabien. Die Matura machte er im österreichisch-ungarischen Czernowitz. Nach dem Studium in Straßburg bei Georg Friedrich Knapp und Gustav Schmoller wurde er 1890 in Wien zum Dr. iur. promoviert. Dort studierte er bei Carl Menger und Lorenz von Stein. Zunächst arbeitete er als praktischer Jurist.

1893 gründete er gemeinsam mit Stephan Bauer, Ludo Moritz Hartmann und Emil Szanto die Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte. Ab 1905 gab er die Schriftenreihe „Studien zur Sozial-, Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte“ heraus, die nach dreizehn Veröffentlichungen 1925 endete. 1894 habilitierte er sich an der Universität Wien für Politische Ökonomie und lehrte als Privatdozent an dieser Universität. 1912 erhielt er gegen massiven Widerstand den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte, 1919 den für Nationalökonomie. Zu seinen Schülern gehörten Max Adler, Friedrich Adler, Otto Bauer, Rudolf Hilferding und Karl Renner.

1923 wurde Grünberg auf den von der Gesellschaft für Sozialforschung gestifteten Lehrstuhl für wirtschaftliche Staatswissenschaften berufen. 1924 wurde er auf Betrieben des Stifters Felix Weil zum ersten Direktor des am 3. Februar 1923 gegründeten Institutes für Sozialforschung an der Universität Frankfurt ernannt. Unter Grünbergs Leitung hatte das Institut enge Verbindungen zum Marx-Engels-Institut in Moskau, seine damalige Ausrichtung wird von Hermann Korte als „orthodox-marxistisch“ bezeichnet. Grünberg brachte sein Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung in das neue Institut mit ein. Im Januar 1928 erlitt Grünberg einen schweren Schlaganfall, der ihn arbeitsunfähig machte, und trat 1929 von der Leitung des Institutes zurück; sein Nachfolger wurde Max Horkheimer. 1931 wurde er Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR.

Anlässlich des 100. Geburtstag der Goethe-Universität wurden am 17. Oktober 2014 zum Gedenken an Carl Grünberg und seine Frau Hilde (1875–1960) Stolpersteine in der Gutleutstraße 85 verlegt.

Schriften (Auswahl)

  • 1894: Die Bauernbefreiung und die Aufhebung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in Böhmen, Mähren und Schlesien. 2 Bde. Duncker & Humblot, Leipzig (Digitalisat [abgerufen am 6. April 2016]).
  • 1897: Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus. Gustav Fischer, Jena (Digitalisat [abgerufen am 6. April 2016]).
  • 1901: Studien zur österreichischen Agrargeschichte. Duncker & Humblot, Leipzig (Digitalisat [abgerufen am 6. April 2016]).
  • 1921: Die Londoner kommunistische Zeitschrift und andere Urkunden aus den Jahren 1847/1848. Mit einer einleitenden Abhandlung über „Die Entstehungsgeschichte des Kommunistischen Manifests“ und Anmerkungen (= Hauptwerke des Sozialismus und der Sozialpolitik. Band V). Neue Folge, C. L. Hirschfeld, Leipzig.
  • 1924: Anfänge der kritischen Theorie; Festrede gehalten zur Einweihung des Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt am Main.

Literatur

  • Grünberg Karl, Rechts- und Wirtschaftshistoriker. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 2, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1959, S. 88.
  • Günther Nenning: Biographie Carl Grünberg. In: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der sozialen Bewegung. Indexband. Graz 1973, S. 1–224.
  • Christoph Stamm: Carl Grünberg (1861–1940). In: Günter Benser, Michael Schneider (Hrsg.): Bewahren Verbreiten Aufklären. Bonn-Bad Godesberg 2009, ISBN 978-3-86872-105-8, S. 92–98 (online; PDF-Datei).
  • Gerhard J. Mauch: Grünberg, Carl. In: Harald Hagemann, Claus-Dieter Krohn (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933. Band 1: Adler–Lehmann. Saur, München 1999, ISBN 3-598-11284-X, S. 202–206.
  • Theophil Gerber: Persönlichkeiten aus Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau und Veterinärmedizin – Biographisches Lexikon, 4. erweiterte Auflage, Verlag NoRa Berlin, 2014, S. 256.
Commons: Carl Grünberg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 Hermann Korte: Einführung in die Geschichte der Soziologie. VS-Verlag 2006, ISBN 3-531-14774-9, S. 137 f.
  2. Harald Martin Binder: Relevante wissenschaftliche Strömungen zur Zeit Wilhelm Ostwalds in Wilhelm Oswalds Energetik, Magisterarbeit Universität Stuttgart
  3. Grünberg Karl, Rechts- und Wirtschaftshistoriker. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 2, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1959, S. 88.
  4. Detlev Garz: Biographische Erziehungswissenschaften. VS-Verlag 2000, ISBN 3-8100-2955-6, S. 39.
  5. Felix Weil, Carl-Erich Vollgraf: Erfolgreiche Kooperation: Das Frankfurter Institut für Sozialforschung und das Moskauer Marx-Engels-Institut: (1924–1928). Argument-Verlag Hamburg 2000, ISBN 3-88619-684-4.
  6. Geschichte des Instituts für Sozialforschung – Die Vorkriegszeit in Frankfurt (Memento vom 24. Mai 2012 im Internet Archive)
  7. Ehrenmitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften seit 1724: Грюнберг, Карл (Grünberg, Carl). Russische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 18. Februar 2021 (russisch).
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