Unter dem Namen Characterie („Zeichenkunst“) veröffentlichte der Engländer Timothy Bright 1588 das erste echte Stenografie-System der Neuzeit und das erste für die englische Sprache.

Hintergrund

Mit dem endgültigen Verschwinden der altrömischen Tironischen Noten aus den europäischen Klöstern im 11. Jahrhundert gab es für fünf Jahrhunderte keine richtige Kurzschrift mehr im christlichen Europa. Man behalf sich in dieser Zeit mit Abkürzungen der Langschrift. Zudem waren Geheimschriften in Gebrauch, die aufgrund ihrer meist kürzeren Zeichen auch zum Schnellschreiben empfohlen wurden.

Im 16. Jahrhundert erlebte England unter Königin Elisabeth I. einen politischen und kulturellen Aufschwung. Die Regeln der englische Schriftsprache waren in einer Grammatik formuliert und es gab eine einheitliche Rechtschreibung. Dies bereitete den Boden für die Entstehung einer Kurzschrift. Bright wurde zu seiner Schrift durch die Tironischen Noten sowie durch die mittelalterlichen Geheimschriften angeregt. Auch seine Schrift empfahl Bright nicht nur als Kurzschrift, sondern auch als Geheimschrift.

System

Bei der Characterie handelt es sich um eine Wortschrift, das heißt, die Zeichen stehen für einzelne Wörter. Als Ausgangsmaterial dient ein Alphabet aus 18 Zeichen, die aus am Kopf geformten einfachen Abstrichen bestehen:


a


b


c/k/q


d


e


f


g


h


i/j/y


l


m


n


o


p


r


s


t


u/v/w

Diese Basiszeichen stehen grundsätzlich für den Anfangsbuchstaben des zu schreibenden Wortes. Indem Bright die Alphabetzeichen zusätzlich am Fuß auf zwölf verschiedene Arten formte und die Striche in vier verschiedenen Lagen (neben senkrecht noch waagerecht und in den beiden Diagonalen) benutzte, schuf er auf diese Weise aus jedem Alphabetzeichen Dutzende von Ableitungen, die jeweils für bestimmte Wörter standen. Die folgenden Zeichen für Wörter, die mit dem Buchstaben A beginnen, zeigen die zwölf möglichen Formen des Zeichenfußes:


 abound 


 about 


 accept 


 accuse 


 advance 


 air 


 again 


 age 


 all 


 almost 


 also 


 although 

Dieselben Formen, aber um 90 Grad nach links gedreht, stehen für zwölf weitere Wörter:


 alter 


 am 


 ammend 


 anger 


 anoint 


 apparel 


 appertain 


 appoint 


 arm 


 art 


 ass 


 at 

Insgesamt hat Bright 538 auf diese Weise gebildeten Zeichen eine Wortbedeutung zugeordnet. Vom Mittel der Schrägstellung hat er viel weniger Gebrauch gemacht. Für Wörter mit dem Anfangsbuchstaben B sind es folgende:


 bone 


 book 


 borrow 


 both 


 bottom 


 bread 


 break 


 breed 


 breast 


 bright 


 brittle 


 brother 


 bruise 


 burn 


 busy 


 but 

Wörter, die in diesem Grundstock fehlen, konnten mit zwei Methoden dargestellt werden: Die erste Methode bestand darin, dass ein Zeichen für ein sinnverwandtes Wort geschrieben und das Zeichen für den Anfangsbuchstaben des neuen Wortes links daneben gesetzt wurde. So gab es zum Beispiel für apple (Apfel) kein eigenes Zeichen. Dieses Wort wurde also mit dem Zeichen für fruit (Frucht), das im Grundstock enthalten war und dem Zeichen für a geschrieben:


 fruit 
 (Frucht) 


 apple 
 (Apfel) 

Mit p als Unterscheidungsbuchstaben bedeutete das Schriftbild entsprechend pear (Birne) usw.

Weitere Beispiele:


 desire 
 (begehren) 


 wish 
 (wünschen) 


 beast 
 (Tier) 


 horse 
 (Pferd) 

Bei der zweiten Methode wurde ein Wort mit entgegengesetzter Bedeutung geschrieben und das Alphabetzeichen für den Anfangsbuchstaben des neuen Wortes wurde rechts daneben gesetzt. Aus dem Zeichen für good (gut) entstand mit dem Zeichen für e somit evil (schlecht):


 good 
 (gut) 


 evil 
 (schlecht) 

Weitere Beispiele:


 up 
 (hinauf) 


 down 
 (hinunter) 


 begin 
 (beginnen) 


 define 
 (beenden) 


 winter 
 (Winter) 


 summer 
 (Sommer) 

Das Finden geeigneter Wörter für diese Methoden konnte natürlich nicht erst im Moment des Schreibens erfolgen, sondern musste vorbereitet und eingeübt werden. Zu diesem Zweck lieferte Bright in seinem Lehrbuch eine lange Liste mit geeigneten Wortpaaren mit. Allerdings war dieses System nicht eindeutig und erlaubte oft nur eine ungefähre Wiedergabe. So konnte (Das Zeichen für bird „Vogel“ mit links hinzugefügtem Zeichen für s) swan (Schwan), snipe (Schnepfe), sparrow (Spatz), stork (Storch), swallow (Schwalbe) usw. bedeuten.

Für 32 häufige Wörter (vor allem Partikel) und Phrasen hat Bright besondere Zeichen aufgestellt, die teilweise aus einer Vorstufe der Characterie stammen. Die Schreibrichtung verlief von oben nach unten.

Trotz ihres Schwierigkeitsgrades wurde die Characterie erfolgreich zum Nachschreiben von Predigten und Reden verwendet. Auch Theateraufführungen (zum Beispiel von Shakespeare-Dramen) wurden mit diesem System heimlich mitstenografiert, um die Stücke dann gegen den Willen der Verfasser zu veröffentlichen, die aufgrund eines fehlenden Urheberrechts selbst kein Interesse an einer Veröffentlichung hatten.

Brights Schrift wurde ab 1602 vom System nach John Willis verdrängt, der seine Schrift als Buchstabenschrift konzipiert hatte.

Literatur

  • Johnen, Christian: Allgemeine Geschichte der Kurzschrift. 4. Auflage. H. Apitz, Verlagsbuchhandlung Kommanditgesellschaft. Berlin 1940.
  • Faulmann, Karl: Historische Grammatik der Stenographie. Verlag von A. Pichlers Witwe & Sohn. Wien 1887
  • Melin, Olof Werling: Stenografiens historia 1. Teil. Nordiska bokhandeln. Stockholm 1927
  • Mentz, Arthur / Haeger, Fritz: Geschichte der Kurzschrift. 3. Auflage. Heckners Verlag. Wolfenbüttel 1981
  • Moser, Franz / Erbach, Karl: Lebendige Kurzschriftgeschichte. 5. Auflage. Winklers Verlag. Darmstadt 1957
  • Friedrich, Paul: Studien zur englischen Stenographie im Zeitalter Shakespeares. Timothe Brights Characterie entwichlungsgeschichtlich und kritisch betrachtet. Leipzig 1914 (auf Archive.org)
  • Bright, Timothy: Characterie. Neudruck von 1888 (PDF-Datei; 3,47 MB)

Fußnoten

  1. Vollständiger Titel: Characterie – An Arte of shorte, swifte, and secrete writing by Character („Die Kunst des kurzen, schnellen und geheimen Schreibens mittels Zeichen“)
  2. 1 2 3 Johnen, S. 36 ff.
  3. 1 2 3 Mentz/Haeger, S. 18 ff.
  4. 1 2 Faulmann, S. 41
  5. Melin, S. 63
  6. Moser/Erbach, S. 34 f.
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