Charles Blondin, eigentlich Jean François Gravelet (* 28. Februar 1824 in Saint-Omer, Pas-de-Calais, Frankreich; † 22. Februar 1897 in London, England) war ein französischer Hochseilartist. Er bereiste die Vereinigten Staaten und überquerte als erster die Niagara-Schlucht auf dem Hochseil.

Blondin war dreimal verheiratet und hatte acht Kinder. Im 19. Jahrhundert wurde sein Name im Englischen zum Synonym für Hochseilakt.

Frühes Leben

Charles Blondin wurde am 28. Februar 1824 in Saint-Omer, Pas-de-Calais, Frankreich, als Jean-François Gravelet geboren. Bekanntheit erlangte er später unter anderen Namen und Spitznamen, darunter Charles Blondin, Jean-François Blondin, Chevalier Blondin und The Great Blondin.

Im Alter von fünf Jahren wurde er an die École de Gymnase in Lyon geschickt und trat nach einer sechsmonatigen Ausbildung zum Akrobaten erstmals als „The Boy Wonder“ auf. Seine außerordentliche Geschicklichkeit, seine Anmut und die originellen Kulissen seiner Vorführungen machten ihn zum Publikumsliebling.

Am 6. August 1846 heiratete er seine erste Frau Marie Blancherie und legitimierte damit ihren Sohn Aimé Leopold. Beide hatten zwei weitere gemeinsame Kinder. Es ist nicht bekannt, was aus seiner französischen Familie wurde, nachdem er in die Vereinigten Staaten ging.

Nordamerika

Seine zunehmende Bekanntheit in Frankreich erregte die Aufmerksamkeit des Managers der Ravel-Familie, einer damals recht bekannten französisch-italienischen Artistengruppe. 1851 nahm Blondin das Angebot an, diese auf einer längeren Tournee durch die Vereinigten Staaten zu begleiten. 1855 trat er mit den Ravels in Niblo’s Garden in New York City auf.

Berühmt wurde Blondin durch die Überquerung der Niagara-Schlucht auf einem Hochseil. Dazu ließ er in der Nähe der heutigen Rainbow Bridge ein 340 m langes, rund 8 cm starkes Seil in 50 m Höhe über die Schlucht spannen. Die Premiere der Überquerung erfolgte am 30. Juni 1859 vor rund 25.000 Zuschauern. Es folgten mehrere weitere Aufführungen, oft ausgeschmückt durch verschiedene theatralische Variationen: mit verbundenen Augen, in einem übergestülpten Sack, eine Schubkarre rollend, auf Stelzen, einen Mann (seinen Manager Harry Colcord) auf dem Rücken tragend, auf halber Strecke sitzend, während er ein Omelett briet und aß, oder auf einem Stuhl stehend, der nur mit einem Bein das Seil berührte.

Während seines Aufenthalts in den USA heiratete er seine zweite Frau Charlotte Lawrence, mit der er fünf Kinder hatte: Adele (* 1854), Edward (* 1855), Iris (* 1861), Henry Coleman (* 1862) und Charlotte (* 1866).

Weltweiter Erfolg

Seine Niagara-Auftritte steigerten Blondins Bekanntheit weltweit. Er trat in China, Japan, Australien und Europa auf. Bei einem Gastauftritt in den Royal Portobello Gardens in Dublin, Irland, ereignete sich am 23. August 1860 ein schwerer Unfall. Während der Vorstellung riss das in 50 m Höhe gespannte Seil, was zum Einsturz des Gerüstes führte. Blondin wurde nicht verletzt, aber zwei Arbeiter, die sich auf dem Gerüst befanden, stürzten in den Tod.

Nach dem Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs zog Charles Blondin im Mai 1861 mit seiner zweiten Frau und den drei bis dahin geborenen Kindern nach London. Dort trat er im selben Jahr erstmals im Crystal Palace auf, wo er auf einem Seil, das vom Boden aus über das zentrale Querschiff gespannt war, Purzelbäume auf Stelzen vollführte. Im September 1861 folgten Auftritte im Royal Botanic Garden Edinburgh in Schottland.

1862 folgten weitere Aufführungen im Crystal Palace und anderswo in England und Europa. In den 1860er Jahren war Blondin ein wahrer Kassenmagnet und wurde entsprechend gut bezahlt. Für zwölf Auftritte im Crystal Palace erhielt er die Summe von 1.200 £.

Von August bis Oktober 1874 gab Blondin mehrere Vorstellungen in Sydney, Australien.

Am 6. September 1873 überquerte Blondin den Edgbaston Reservoir, einen Stausee in Birmingham. Eine 1992 in Ladywood, Birmingham, errichtete Statue erinnert an seine Leistung.

Spätere Jahre und Tod

Nach einer mehrjährigen Auszeit trat Blondin 1880 wieder auf und spielte in der Saison 1893–94 die Hauptrolle in der Pantomime Jack and the Beanstalk im Crystal Palace, organisiert von Oscar Barrett.

1888 starb seine Frau Charlotte. 1895 heiratete Blondin seine dritte Frau, Katherine James, nachdem diese ihn früher im selben Jahr während einer Rückenverletzung gepflegt hatte. Seinen letzten Auftritt absolvierte Blondin 1896 in Belfast, Irland.

Charles Blondin starb am 22. Februar 1897 in seinem „Niagara House“ in Ealing, London, an Diabetes. Er wurde auf dem Kensal Green Cemetery begraben. Auch wenn seine Witwe viel jünger war, überlebte sie ihn nur um vier Jahre und starb 1901 im Alter von 36 Jahren an Krebs.

Nachwirkung

Zu Lebzeiten wurde der Name Blondin so sehr mit Seiltanz verbunden, dass „Blondin“ oft als Titel für andere Hochseilartisten verwendet wurde. Zum Beispiel gab es in den 1880er Jahren in Sydney mindestens fünf Personen, die mit Variationen des Namens Blondin arbeiteten. Der berühmteste von ihnen war Henri L'Estrange – „der australische Blondin“.

Seiltanz war so populär geworden, dass ein Leser sich beim Sydney Morning Herald über „das Blondin-Business“ beschwerte, bei dem die Leute bei jeder Gelegenheit auf Hochseilen balancierten. Er erwähnte jemanden, der in der Liverpool Street mit einem auf den Rücken geschnallten Kind über ein Hochseil ging.

Die Illustrated London News bezeichnete die Hochseilartistin Madame Caroline als „weiblichen Blondin“, nachdem diese 1869 während einer Aufführung von Pablo Fanques Zirkus vom Seil gestürzt war.

Im Vorfeld der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1864 verglich sich Abraham Lincoln mit „Blondin auf dem Drahtseil, der alles, was für Amerika wertvoll war, in der Schubkarre vor sich her schob“. Frank Leslies Budget of Fun vom 1. September 1864 griff diese Aussage in einer Karikatur auf: Lincoln mit einer Schubkarre auf dem Drahtseil und zwei Männern auf seinem Rücken – Marineminister Gideon Welles und Kriegsminister Edwin Stanton – während „John Bull“, Napoleon III., Jefferson Davis (als Vertreter Englands, Frankreichs bzw. der Konföderierten Staaten von Amerika) und die Generäle Grant, Lee und Sherman (als Vertreter des Militärs) neben anderen zusahen.

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 4 5 Blondin. In: Encyclopædia Britannica. 11. Auflage. Band 4: Bishārīn – Calgary. London 1910, S. 77 (englisch, Volltext [Wikisource]).
  2. Gordon Donaldson: GRAVELET, JEAN-FRANÇOIS, known as Charles Blondin In: Dictionary of Canadian Biography, online
  3. Der Geburtstag wird abweichend auch als 24. Februar angegeben in: George Linnaeus Banks: Blondin – His Life and Performances. Routledge, Warne and Routledge, London 1862, Seite 20, Google Books
  4. Karen Abbott: The Daredevil of Niagara Falls. In: Smithsonian Magazine, 18. Oktober 2011. Abgerufen am 14. Januar 2020.
  5. Niagara Falls Library: Auftrittsankündigung
  6. The Irish Times. 24. August 1860. Seite 3
  7. Victoria and Albert Museum: Circus performers: Blondin (Memento vom 9. Januar 2011 im Internet Archive)
  8. Blondin am Reservoir. In: Birmingham Daily Post, Montag, 8. September 1873
  9. Justine Halifax: Ever wondered what the Ladywood Middleway statue is? Abgerufen am 15. Januar 2020
  10. Register of Marriages for Brentford registration district, Oct–Dec 1895, volume 3a, p. 235: Gravelet, Jean Francois, & James, Katherine
  11. 1 2 Ken Wilson: Everybody’s Heard of Blondin. Forward Press, 1990, S. 92, ISBN 9781871044355
  12. Niagara Falls Library: Grave of Jean François Gravelet – Blondin
  13. Mark Dunn: L'Estrange, Henri. In: The Dictionary of Sydney. Abgerufen am 15. Januar 2020
  14. Dangerous Sports. In: The Sydney Morning Herald. 19. Februar 1880. Abgerufen am 15. Januar 2020
  15. Thrilling Accident. In: The Illustrated London News. Bolton 1869. Abgerufen am 15. Januar 2020
  16. The Political Blondin. Abgerufen am 15. Januar 2020
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