Die Sinologie, auch als Chinawissenschaften oder Chinakunde (chinesisch 漢學 / 汉学, Pinyin hànxué  „Han-Kunde“) bekannt, ist ein Fachgebiet der Sprach- und Kulturwissenschaften, das im 16. Jahrhundert entstand, und sich mit den Sprachen, Schrift, Politik, Gesellschaft, Philosophie, Literatur, Wirtschaft und Geschichte der Han (漢人 / 汉人, hànrén  „Han-Volk“) befasst.

Geschichte der Sinologie

Den Beginn der Sinologie machten christliche Missionare, die für ihre Aktivität in China die chinesische Sprache und Kultur studierten. Die ersten Übersetzungen chinesischer Klassiker erschienen demnach auch auf Latein, woher auch der Name Sinologie stammt, da „Sina“, wahrscheinlich abgeleitet von der Qín-Dynastie 221 v. Chr., das lateinische Wort für China ist. Umgekehrt übersetzten die Missionare dieser Zeit die Bibel ins Chinesische und schrieben Berichte über das bis dahin kaum bekannte China, die in Europa mit großem Interesse aufgenommen wurden.

Der erste Lehrstuhl für Sinologie wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Paris eingerichtet. Im deutschsprachigen Raum existieren heute etwa 30 Hochschulen mit Einrichtungen zur Sinologie.

Sinologie in Deutschland

Die Sinologie ist in Deutschland eine noch recht junge Disziplin. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts begann man überhaupt, sich wissenschaftlich mit China zu beschäftigen. In den Jahren 1829–1831 erwarb der Orientalist Carl Friedrich Neumann in Guangzhou 12.000 chinesische Bände, die er nach München verschiffte und die die Grundlage der Ostasiatischen Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek sowie der Staatsbibliothek zu Berlin bildeten. Ab 1833 lehrte Wilhelm Schott in Berlin Chinesisch und chinesische Philosophie. Bahnbrechend in der Chinaforschung waren die geologisch-geografischen Forschungsreisen Ferdinand von Richthofens ab den frühen 1860er Jahren. 1887 wurden das u. a. dem chinesischen Sprachunterricht dienende Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin und die ersten sinologischen Seminare eingerichtet. 1889 wurde der erste deutsche Lehrstuhl für Sinologie an der Universität Leipzig eingerichtet, erster ordentlicher Professor war Hans Georg Conon von der Gabelentz, erst 1912 folgte ein Lehrstuhl in Berlin unter J. J. M. de Groot und 1914 am Kolonialinstitut in Hamburg unter Otto Franke.

Während der Kolonialzeit, in der das deutsche Kaiserreich auch die chinesische Kolonie Kiautschou besaß, wuchs das Interesse an der chinesischen Kultur. Das Exil vieler Chinawissenschaftler in der Zeit des Nationalsozialismus schadete der deutschen Sinologie nachhaltig. Seit der Öffnungspolitik der Volksrepublik China in den 1980er Jahren zählt die Sinologie in Deutschland nicht mehr zu den Orchideenfächern und Sinologie-Studienanfängern dieser Zeit wurden gute Berufsaussichten prophezeit. Heute schließen jährlich etwas weniger als 200 Personen (davon mehr als 70 Prozent Frauen) das Studium ab. Sinologen sind weder Dolmetscher noch Wirtschaftsfachleute, allerdings gibt es mit beiden Fächern kombinierte Studiengänge.

2002 waren in Deutschland etwa 1900 deutsche und 440 ausländische Studierende im Fach Sinologie (inkl. Koreanistik) immatrikuliert. Weniger als 500 Studienanfänger nehmen jährlich das Studium neu auf, während es z. B. in der Anglistik mit jährlich 10.000 Studienanfängern deutlich mehr sind. Die aktuelle Bedeutung Chinas und die häufige Erwähnung des Landes in den deutschen Medien tragen einen Teil dazu bei, dass die Studentenzahlen in den letzten Jahren, vor allem in Bachelorstudiengängen lange gestiegen sind, aber seit Mitte der 2010er Jahre wieder fallen. Nach einem anfänglichen Boom sinken die Zahlen der an Schulen Chinesisch Lernenden und auch die der in Deutschland eingeschriebenen Sinologie-Studenten wieder.

Für das Studium der Sinologie werden in Deutschland in der Regel keine Vorkenntnisse erwartet, allerdings sind viele Lehrbücher nur auf Englisch verfügbar, was Kenntnisse darin empfehlenswert macht. Heute ist es gängig, einen Teil des Studiums in China oder Taiwan zu verbringen.

Durch die Einführung des Bachelor-Studiengangs an mehreren deutschen Universitäten konnte die Regelstudienzeit zwar auf drei Jahre deutlich gesenkt werden, allerdings geht diese Verkürzung mit einer Eingrenzung der Studieninhalte einher, daher ist in Bachelorstudiengängen eine Spezialisierung auf bestimmte Teilbereiche der Sinologie nötig. Für Studierende, die sich umfassend mit China auseinandersetzen wollen, bietet sich im Anschluss ein Masterstudium an.

In den meisten Sinologie-Studiengängen ist das Lehrangebot in chinesischer Sprache nicht ausreichend, dass auch ein Masterstudium im chinesischen Sprachraum angeschlossen werden könnte (laut Fachverband Chinesisch wären dies 1200–1600 Kontaktstunden). Häufig konzentriert sich die Sprachausbildung mangels Personal daher immer noch primär auf passive Lesekompetenz im Chinesischen. Ein Chinaaufenthalt ist zwar selten fest im Studienplan vorgeschrieben, wird aber schon aus Gründen der Vertiefung der Sprachkompetenz empfohlen. Viele MA-Studiengänge werden nun in Englisch unterrichtet.

Besonders sozialwissenschaftlich arbeitende Sinologen sind sich bewusst, dass ihre Veröffentlichungen ihre Arbeitsbedingungen in der Volksrepublik China auch existentiell beeinflussen können, da in der Volksrepublik hinsichtlich der Freiheit der Forschung andere Voraussetzungen herrschen, als sie beispielsweise in Deutschland anzutreffen sind. Dieser Umstand ist einerseits eine besondere Herausforderung für die betroffenen Forscher, bietet aber andererseits immer noch die Möglichkeit, in einer Meta-Sinologie durch die „Beobachtung der Beobachter“ (Niklas Luhmann) Kenntnisse über China zu gewinnen.

Wissenschaftliche Einrichtungen der Sinologie

Wissenschaftliche Gesellschaften der Sinologie

  • Deutsche Morgenländische Gesellschaft (DMG)
  • Deutsche Vereinigung für Chinastudien e.V. (DVCS)
  • Deutsche China-Gesellschaft e.V.
  • Deutsche Gesellschaft für Asienkunde e.V. (DGA)
  • European Association for Chinese Studies (EACS)
  • European Association of Taiwan Studies (EATS)
  • Fachverband Chinesisch e.V. (FaCh)

Wissenschaftliche Publikationsorgane der Sinologie

  • Berliner China-Studien
  • Berliner China-Hefte
  • The Journal of the European Association for Chinese Studies, Open Access- und online-Zeitschrift
  • Monumenta Serica
  • T'oung Pao (通報), gegr. 1890, erste internationale Zeitschrift für Sinologie.
  • Oriens Extremus, seit 1954 kontinuierlich von Hamburger Sinologen im Verlag Harrassowitz herausgegeben; Archiv online frei zugänglich.

Forschungsinstitute

Hochschulen mit Sinologie-Studiengängen im deutschsprachigen Raum

Siehe auch

  • Sinologisches Seminar – individuelle Beschreibungen sinologischer Institute in Deutschland
  • Liste von Sinologen – Kurzbeschreibungen des Werdegangs und der Forschungsschwerpunkte bedeutender Chinawissenschaftler
  • Liu Xiaobo – zur öffentlichen Kritik an deutschen Sinologen 2010

Literatur

  • René Etiemble: L’Europe chinoise, Paris: Gallimard, Bibliothèques des Idées:
    • Tome I. De l’Empire romain à Leibniz, 1988, 438 p.
    • Tome II. De la sinophilie à la sinophobie, 1989, 402 p.
  • Etiembl: Les Jésuites en Chine. La querelle des rites (1552–1773), Paris: Julliard: Archives 25, 1966, 301 p.
  • Bernhard Führer: Vergessen und verloren. Die Geschichte der österreichischen Chinastudien. edition cathay 42, Projekt-Verlag, Bochum 2001, ISBN 3-89733-017-2.Open access verfügbar über https://e-book.fwf.ac.at/o:200
  • Jacques Gernet: Chine et christianisme La première confrontation. Paris: Gallimard, coll.: Bibliothèque des Histoires, 1991, 342 p.
  • David B. Honey: Incense at the Altar: Pioneering Sinologists and the Development of Classical Chinese Philology, New Haven: American Oriental Society, 2001. (Siehe auch die Rezension dieses Werks durch E.G. Pulley im Journal of the American Oriental Society, Vol. 122, No. 3 (Juli–September 2002), pp. 620–624, verfügbar über JSTOR).
  • Stefan Kramer: Sinologie und Chinastudien. Eine Einführung (= Narr-Studienbücher). Narr, Tübingen 2013, ISBN 978-3-8233-6773-4.
  • Louis Lecomte: Un Jésuite à Pékin, Nouveaux mémoires sur l’état présent de la Chine, 1684-1692, Paris: Phébus, 1990, 554 p.
  • Christina Leibfried: Sinologie an der Universität Leipzig : Entstehung und Wirken des Ostasiatischen Seminars 1878 – 1947, Leipzig: Evang. Verl.-Anst., 2003
  • David E. Mungello: Curious Land: Jesuit Accommodation and the Origins of Sinology, University of Hawai'i Press, 1989, ISBN 0-8248-1219-0
  • Jonathan D. Spence: The Chan’s Great Continent, China in Western Minds, Norton & Co., 1998

Einzelnachweise

  1. Statistisches Bundesamt, 2002
  2. Georg Blume: Warum deutsche Schüler und Studenten kein Chinesisch mehr lernen. spiegel.de, 27. Oktober 2018, abgerufen am 12. September 2021.
  3. Carsten A. Holz: Wie Chinaexperten korrumpiert werden. In: Merkur, Heft 7, Juli 2007; Original: „Have China Scholars All Been Bought? (Memento vom 8. April 2007 im Internet Archive)“, Far Eastern Economic Review, April 2007
  4. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Bachelor of Arts: Ostasienwissenschaften/Sinologie. Abgerufen am 6. Dezember 2018.
  5. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Master of Arts: Sinologie (Chinese Studies). Abgerufen am 6. Dezember 2018.
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