Das Akronym DISG (engl. DISC) bezeichnet einen unwissenschaftlichen Persönlichkeitstest, der auf Selbstbeschreibung beruht. Er behauptet, vier "Grundtypen" der Persönlichkeit zu erheben, was in der Psychologie etwa seit den 1920er-Jahren als überholt gilt und im Zuge der dimensionalen Persönlichkeitsstruktur abgelehnt wird. Unabhängige Studien wie durch die Deutschen Gesellschaft für Psychologie und durch den Berufsverband Deutscher Psychologen sehen wissenschaftliche Gütekriterien als nicht erfüllt, auch wenn die Anbieter dies behaupten. Rechteinhaber und Lizenzgeber von DISG bzw. DiSC ist der Verlag John Wiley & Sons Inc. (vormals Inscape Publishing Inc.). Die kommerziell vertriebenen Varianten sind zumeist unter nichtwissenschaftlichen Anwendern verbreitet. Die Akzeptanz wird durch den Barnum-Effekt erklärt, nach dem vage und allgemeingültige Aussagen für gültig gehalten werden.

Geschichte

Historisch gesehen handelt es sich um eine der zahlreichen Typologien oder Psychographien. Die dem DISG-Modell zugrunde liegende Typologie beruht auf der Arbeit von William Moulton Marston. John G. Geier entwickelte aus den Überlegungen Marstons 1979 diesen selbstbeschreibenden Persönlichkeitstest. Das Grundmodell von William Marston aus dem Jahr 1928 wurde bis heute nicht wesentlich verändert (siehe Abschnitt Kritik). Marston entwickelte seine Typologie durch die Theorie des „Motor Self“ und „Motor Stimuli“ aus dem Bereich der Physiologie. Dieses Konzept, das sich allerdings in der Wissenschaft nicht durchgesetzt hat, war der Ausgangspunkt. Als zweite Quelle kamen Beobachtungen von etwa 250 verhaltensauffälligen Kindern durch die Ärztin Edith Spaulding, die Marston ausgewertet hat. Die dritte Quelle der Typologie waren Persönlichkeitsstudien von Insassen eines Texanischen Gefängnisses. Das beobachtete Verhalten dieser Personen hat Marston in vier Gruppen eingeteilt: „dominance“, „submission“, „acquisitiveness“ und „creation“. Die beiden letzten Begriffe ersetzte er dann durch „Inducement“ und „Compliance“. Daraus resultiert das Acronym DISC (deutsch DISG). Jeder dieser Persönlichkeitstypen wurde im Laufe der Jahre je nach Autor oder Anbieter modifiziert. Die Ausgangsbegriffe von Marston findet man auf den Seiten 272 (Inducement), 243 (Submission), 140 (Dominance) und 182 (Compliance).

2008 publizierte Inscape Publishing die erste Version des aktuellen Online-Testsystems Everything DiSC. Die Konstruktion und Validierung (im Vergleich zu den anerkannten psychologischen Testverfahren NEO-PI und 16PF) wurde 2015 von Scullard & Baum im Verlag John Wiley & Sons publiziert.

Modell

Die Abkürzung DISG steht für die vier Grundverhaltenstendenzen:

  • D = Dominant (engl.: Dominance)
  • I = Initiativ (engl.: Influence)
  • S = Stetig (engl.: Steadiness)
  • G = Gewissenhaft (engl.: Conscientiousness)

In einer der verschiedenen Versionen heißen die vier Typen dominance, influence, steadiness und conscientiousness. Nach dem DISG-Modell ist die Persönlichkeit eine Funktion einer Wahrnehmung und Reaktion einer Person auf die jeweilige Lebenssituation. Das DISG-Modell beschreibt nach dem Prinzip der Selbstbeschreibung bestimmte Ausprägungen eines Typus. Aus den vier grundlegenden Dimensionen ergeben sich unter der Berücksichtigung der unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten je nach Version und Zählweise 15 bis 20 verschiedene Mischformen (ausgeprägte primäre und sekundäre Verhaltenstendenzen). So sind es zum Beispiel zwölf Mischtypen in der englischsprachigen Version von Julie Straw.

Das Modell soll zur Verbesserung der Kommunikation dienen, indem man sich selbst besser kennenlernt und mit den postulierten Eigenschaften der vier Persönlichkeitstypen die Verhaltenstendenz seines Gegenübers besser einschätzen und verstehen kann.

Aufbau

Der DISG Fragebogen ist als Papier- oder Onlineversionen in verschiedenen Sprachen verfügbar. Der Test besteht je nach Anbieter aus einem Antwortbogen mit jeweils 12 bis 28 Wortgruppen (für „am ehesten“ und für „am wenigsten“). Die Person entscheidet anhand einer ipsativen Skalierung für einen Kurzsatz bzw. einen Begriff. Die Auswertung der Ergebnisse geschieht grafisch in drei Diagrammen („Äußeres Selbstbild“, „Inneres Selbstbild“, „Integriertes Selbstbild“). Die Verteilung der erzielten Punktzahlen in den drei Diagrammen spiegelt die unterschiedliche Ausprägung persönlichen Verhaltens wider. Anhand des nachfolgenden Beispiels kann man die Logik und den Aufbau des DISG veranschaulichen (die Begriffe stammen aus der Version von Gay bzw. Seiwert und der Inscape Publishing Inc. mit den gleichen Englischen Begriffen).

Anleitung für den Fragebogen: Bewerten Sie die jeweils waagrechte Reihe mit 1, 2, 3 oder 4 Punkten. Entscheiden Sie sich für die Eigenschaft, die auf Sie am ehesten zutrifft = 4 Punkte, dann für das Merkmal, das am wenigsten auf Sie zutrifft = 1, anschließend für die beiden dazwischen liegenden.

DominantInitiativStetigGewissenhaft
egozentrisch ____enthusiastisch ____passiv ____Perfektionist ____
direkt ____gesellig ____geduldig ____genau ____
kühn ____beredsam ____loyal ____Erkunder ____
herrisch ____impulsiv ____voraussagbar ____diplomatisch ____
anspruchsvoll ____emotional ____teamfähig ____systematisch ____
usw.usw.usw.usw.
Summe ____Summe ____Summe ____Summe ____

Je nachdem, wie viel Punkte der Kandidat in jeder Spalte als Summe erzielt, ist er ein vorwiegend dominanter, initiativer, stetiger oder gewissenhafter Typ. Für die Beschreibung der Typen werden dann Synonyme oder Umschreibungen für die Begriffe verwendet und in Prosa formuliert. Beispiel von Seiwert: „Initiative versuchen, andere zu Allianzen zusammenzubringen, um ihre Ziele zu erreichen. Sie versuchen eher, andere zu überzeugen, als sie zu zwingen. Menschen mit hohem 'I' fühlen sich wohl, wenn sie soziale Kontakte pflegen können … sie arbeiten effektiv, wenn sie keiner Kontrolle … unterworfen sind … sie handeln spontan … sind voller Energie und Tatendrang…“ und verzetteln sich gelegentlich (Hervorhebung im Original). In der englischsprachigen Version von Julie Straw sind die Merkmale dominanter Typen: getting immediate results, taking action, accepting challenges, making decisions quickly, questionning the status quo, solving problems, die dann ebenfalls in Prosa ausformuliert sind.

In dem obigen Beispiel sind es jeweils fünf Begriffe pro Dimension und in der Original-Version des US-Lizengebers (Inscape Publishing Inc.) sind es jeweils 28 Synonyme. In der ursprünglichen Version von Marston aus dem Jahr 1928 sind es jeweils etwa 40 bis 50.

Kritik

Ein praktischer Nutzen dieser Art ist nach David Myers oder Hermann-Josef Fisseni nur möglich, wenn das zugrunde liegende Modell validiert wurde. Dies ist im Falle des DISG-Modells nicht gegeben. Die Angaben zur Normierung (Eichung), Zuverlässigkeit (Reliabilität) und Gültigkeit (Validität) des DISG haben sich nach Cornelius König und Bernd Marcus als nicht stichhaltig erwiesen. Die Autoren kommen zu dem Schluss: „Validierungen hinsichtlich berufsrelevanter Kriterien werden für keine der Versionen berichtet – empirische Belege für die Praxistauglichkeit fehlen also.“

Die weite Verbreitung und Beliebtheit des DISG-Modells und seiner Varianten, obwohl es als veraltet gilt und Erkenntnisse der Persönlichkeitsforschung seit den 1920er Jahren ignoriert, erklärt Viktor Lau mit dem Barnum-Effekt, den auch die Astrologie nutzt. Die nebenstehende Grafik soll diesen Aspekt veranschaulichen.

Die fehlende Validierung stellt auch das Hauptanwendungsfeld des DISG-Modells in der Personalentwicklung in Frage: „Weder werden Evaluationen der vielfältigen Trainings berichtet, in denen der Test eingesetzt werden soll (von der Persönlichkeitsentwicklung über Coaching bis zu Führungs- und Verkaufserfolg), noch existiert belastbare Evidenz für die weitreichende Interpretation […] hinsichtlich des Selbstkonzepts. Auch zum Einsatz als Reflexionshilfe fehlen empirische Belege. Solange solche Evidenz nicht vorliegt, kann der Test weder für Entwicklungs- noch für Auswahlzwecke empfohlen werden“.

Eine Typologie ist aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage, praktische Handlungsempfehlungen zu liefern. Der National Research Council der USA kam bereits im Jahr 1936 zu dem Ergebnis, dass der praktische Nutzen derartiger Typologien in keinem Verhältnis zur Popularität steht – oder wörtlich „the popularity of this instrument in the absence of proven scientific worth is troublesome.“ Aus diesem Grund entstand der Trend zur Kompetenzorientierung in der Personalentwicklung.

Literatur

Einzelnachweise

  1. siehe zum Beispiel (1.) Cornelius König und Bernd Marcus: Persolog-Persönlichkeits-Profil, in: Psychologische Rundschau (herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie), Hogrefe Verlag, Nr. 3/13 und (2.) Gutachten des Bundesverbandes Deutscher Psychologen zitiert in: Steffen Strzygowski: Personalauswahl im Vertrieb. Springer Gabler: Wiesbaden 2014, S. 171
  2. W. M. Marston, Emotions Of Normal People, London u. a., 1928
  3. W. M. Marston, Emotions Of Normal People, London u. a., 1928, S. 93 f.
  4. W. M. Marston, Emotions Of Normal People, London u. a., 1928, S. 114.
  5. W. M. Marston, Emotions Of Normal People, London u. a., 1928, S. 115.
  6. J. Straw: The 4-Dimansional Manager, DisC Strategies for Managing Different People in the Best Ways. San Francisco 2001
  7. Prof. Dr. Hans Jung Persönlichkeitstypologie, 2009: Persönlichkeitstypologie - Instrument der Mitarbeiterführung. 3. Auflage. Oldenbourg, München 2009, S. 31 ff.
  8. F. Gay (Hrsg.): DISG-Persönlichkeitsprofil.27. Auflage. Offenbach 2002, S. 136 f.
  9. L J. Seiwert & F. Gay: Das 1x1 der Persönlichkeit. 10. Auflage. Offenbach 2003, S. 18.
  10. DiSC Classic, Inscape Publishing Inc., kostenpflichtiger Online-Test. Die ersten fünf Begriffe lauten D = egocentric, direct, daring, domineering, demanding; I = enthusiastic, gregarious, persuasive, impulsive; S = passive, patient, loyal, predictable und C = perfectionist, accurate, fact-finder, diplomatic, systematic usw.
  11. L J. Seiwert & F. Gay: Das 1x1 der Persönlichkeit. 10. Auflage. Offenbach 2003, S. 24.
  12. J. Straw, The 4-Dimensional Manager, DiSC Strategies for Managing Different People in the Best Ways, San Francisco, 2002, S. 21.
  13. Myers, D.: Psychology. New York: Worth Publishers 2013, S. 24 ff. und Hermann-Josef Fisseni: Lehrbuch der psychologischen Diagnostik. 3. Auflage, Göttingen u. a. 2004, S. 20 ff.
  14. Cornelius König und Bernd Marcus: Persolog-Persönlichkeits-Profil, in: Psychologische Rundschau Nr. 3/13, S. 190.
  15. Viktor Lau: Schwarzbuch Personalentwicklung. Stuttgart 2015, S. 217 f.
  16. König und Marcus, ebenda, S. 191
  17. Dazu David Myers (S. 444): "It was like 'explaining' a bright child's low grades by labeling the child an 'underachiever'. To name (or classify, d. V.) a behavior is not to explain it."
  18. zitiert nach, D. Myers: Psychology. New York 2013, S. 527.
  19. Waldemar Pelz: Das 360-Grad-Feedback zur Erkennung und Entwicklung von Potentialträgern, in: Sauer, J./Cisik, A. (Hrsg.): In Deutschland führen die Falschen, wie sich Unternehmen ändern müssen. Berlin: Helios Media 2014, S. 266 ff. Artikel online verfügbar
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