Dennis Ole Christensen (* 18. Dezember 1972 in Kopenhagen) ist ein dänischer Staatsbürger, der wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas von Mai 2017 bis zum 24. Mai 2022 in verschiedenen Haftanstalten in Russland inhaftiert war.

Leben

Christensen wuchs in Dänemark als Sohn von Zeugen Jehovas auf und ließ sich 1989 als Zeuge Jehovas taufen. 1995 zog er vorübergehend ins russische St. Petersburg, um dort als Freiwilliger Helfer bei der Errichtung von Gebäuden für die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas mitzuarbeiten. Ihm gefiel es in Russland; 1999 übersiedelte er nach Murmansk. 2002 heiratete er dort Irina, eine russische Staatsbürgerin. 2006 zog das Ehepaar in die zentralrussische Stadt Orjol. Dort arbeitete Christensen selbständig als Tischler und Innendekorateur; in seiner Freizeit engagierte er sich für die örtliche Gemeinde der Zeugen Jehovas.

Inhaftierung und Verurteilung Christensens aufgrund seiner Religionsausübung

Am 25. Mai 2017 stürmten schwerbewaffnete Mitglieder des Russischen Inlandsgeheimdienstes FSB einen Königreichssaal der Zeugen Jehovas in Orjol während eines Gottesdienstes und verhafteten 16 Anwesende, darunter Dennis Christensen. Auf Antrag des FSB ordnete das Bezirksgericht von Orjol an, Christensen zunächst für 60 Tage in Untersuchungshaft zu nehmen; dadurch, dass er am Gottesdienst der Zeugen Jehovas teilnahm, habe er die Aktivität einer illegalen extremistischen Organisation ausgeübt.

Im Juli 2017 verlängerte das Gericht die Untersuchungshaft auf 6 Monate und lehnte einen Antrag des bis dahin unbescholtenen Christensen auf Freilassung gegen Kaution ab. Christensens Antrag, ihn bis zum Abschluss der Ermittlungen unter Hausarrest zu stellen, wurde abgelehnt, obwohl die dänische Botschaft den russischen Behörden – die Christensens dänischen Pass konfisziert hatten – garantierte, dass sie Christensen nicht zu einer Ausreise verhelfen würde. Nach etwa einjährigem Prozess und fast zwei Jahren in Haft wurde er am 6. Februar 2019 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil er sich für die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas betätigt hatte.

Christensen legte Berufung ein. In seinem Abschlussplädoyer vor dem Berufungsgericht im Mai 2019 sagte Christensen:

„[...] Ist es überhaupt möglich, einer Person zu verbieten, an Gott zu glauben, und sie dann dafür einzusperren? Meiner Meinung nach ist das falsch. [...] Während dieses Gerichtsverfahrens habe ich gehört, dass manche denken, es sei extremistisch, seinen Glauben für den wahren Glauben zu halten und dies öffentlich zu bekennen. Allerdings ist das völlig unlogisch, denn alle gläubigen Menschen denken, sie hätten den richtigen Glauben. Warum sollten sie sich sonst weiter zu ihrer Religion bekennen, wenn sie nicht davon überzeugt sind, dass es die wahre Religion ist? Wenn dieses Argument ausreicht, um jemanden für extremistisch zu erklären, dann müsste man auch Jesus als Extremisten bezeichnen. Ich werde nicht aufgeben, weil ich weiß, dass ich in Bezug auf diese Anschuldigungen unschuldig bin und die Wahrheit auf meiner Seite habe. Ich habe keine Angst, ins Gefängnis zu kommen, obwohl das eine völlig ungerechte Entscheidung wäre. [...] Ich bin innerlich ruhig und verspüre Frieden. Gott wird mich nie verlassen. [...]“

Das Berufungsgericht hielt die erstinstanzliche Entscheidung aufrecht, woraufhin Christensen in ein Gefängnis in Lgow verlegt wurde.

Nach Anträgen Christensens auf vorzeitige Haftentlassung ordnete ein russisches Gericht im Juni 2020 an, Christensen freizulassen, falls er bereit wäre, eine Geldstrafe von 400.000 Rubel anstelle seiner verbleibenden Haftstrafe zu leisten, doch die Staatsanwaltschaft legte dagegen Berufung ein. Zu diesem Zeitpunkt waren 34 weitere Zeugen Jehovas ihres Glaubens wegen in russischen Gefängnissen, 24 standen unter Hausarrest, gegen über 300 liefen Strafverfahren.

Hintergrund seiner Verurteilung

Im Juli 2002 wurde in Russland das Gesetz zur Bekämpfung extremistischer Aktivitäten verabschiedet. Das Gesetz sollte offiziell dem Kampf gegen Terrorismus dienen. Als extremistische Betätigung im Sinne des Gesetzes gelten jedoch nicht nur terroristische und gegen den Staat gerichtete Aktivitäten und deren Unterstützung, sondern auch „Propaganda“ dafür, dass eine Ethnie oder Religion überlegen sei. Die Venedig-Kommission des Europarates zeigte sich besorgt darüber, dass das Gesetz aufgrund seiner vagen Formulierungen so ausgelegt werden könnte, dass dadurch Menschenrechte beschnitten würden. Auf Grundlage dieses Gesetzes und der Lobbyarbeit der Russisch-Orthodoxen Kirche sowie der Anti-Sekten-Bewegung kam es zunächst zu lokalen Beschränkungen der Aktivitäten der Zeugen Jehovas. So wurde von den Behörden am 14. Juni 2016 die örtliche Vereinigung der Zeugen Jehovas auch in Christensens Wohnort Orjol aufgelöst.

2017 stufte das Oberste Gericht der Russischen Föderation Jehovas Zeugen als extremistische Organisation ein, woraufhin die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas verboten wurde, knapp 400 lokale Vereinigungen von Zeugen Jehovas in Russland aufgelöst wurden und deren Eigentum zur staatlichen Konfiszierung freigegeben wurde. Das Verbot erfolgte auf der Grundlage des Gesetzes zur Bekämpfung extremistischer Aktivitäten: Dass Jehovas Zeugen behaupten, sie würden die wahre Religion und den einzigen Weg zur Rettung lehren, mache sie zu einer extremistischen Vereinigung. Dasselbe rechtliche Argument hätte man theoretisch auch gegen viele andere Kirchen verwenden können. Der russische Staat hatte im Zuge dieses Verfahrens zugesagt, das Verbot der Rechtskörperschaften von Jehovas Zeugen werde die freie Glaubensausübung einzelner Zeugen Jehovas nicht beeinträchtigen. Dennoch wurden in der Folge einzelne Zeugen Jehovas festgenommen und „extremistischer“ Aktivitäten beschuldigt; Christensens Verurteilung war die erste, zu der es nach der Höchstgerichtsentscheidung von 2017 kam.

Im Dezember 2018 wurde bei einem Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten über die Situation von Zeugen Jehovas in Russland gesprochen. Putin äußerte sich dabei dahingehend, dass man Menschen nicht wegen ihres Glaubens als Mitglieder destruktiver oder terroristischer Vereinigungen betrachten sollte. Das weckte vorübergehend Erwartungen, dass sich die Situation der Zeugen Jehovas in Russland verbessern könnte. Diese Hoffnungen zerschlugen sich, als nicht einmal zwei Monate danach Christensen verurteilt wurde. Christensens Verurteilung wurde als Signal Russlands verstanden, dass sich die Lage der Zeugen Jehovas trotz der Aussagen Putins vom Dezember 2018 nicht verbessern würde, und dass auch ausländische Staatsbürger damit rechnen müssten, von der Verfolgung der Zeugen Jehovas in Russland betroffen zu sein.

Reaktionen auf das Verfahren gegen Christensen

Das Urteil gegen Christensen rief zahlreiche internationale Reaktionen hervor:

Der dänische Außenminister Anders Samuelsen forderte Russland zur Achtung der Religionsfreiheit auf und sagte Christensen die Unterstützung Dänemarks zu.

Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte Michelle Bachelet äußerte sich besorgt über die Verurteilung Christensens. Sie sagte, dass das hohe Strafmaß „einen gefährlichen Präzedenzfall“ darstelle und „die freie Religions- oder Glaubensausübung von Zeugen Jehovas in Russland unter Strafe“ stelle. Sie forderte die russische Regierung nachdrücklich auf, „das Gesetz zur Bekämpfung extremistischer Aktivitäten zu überarbeiten und besonders die unklare und offene Definition von ‚extremistischen Aktivitäten‘ klarzustellen“, und rief dazu auf, „die Anklagen gegen alle Personen fallen zu lassen, die wegen Ausübung ihres Rechts auf Religions-, Glaubens-, Meinungs- oder Versammlungsfreiheit inhaftiert sind, und sie aus der Haft zu entlassen.“ Auch der Europarat, die EU und die United States Commission on International Religious Freedom forderten Christensens Freilassung.

Die Menschenrechtsorganisationen Memorial International, Amnesty International, Human Rights Watch und Forum 18 betrachteten Christensen als Gefangenen aus Gewissensgründen und forderten seine Freilassung.

Der Demokrat Eliot Engel und der Republikaner Michael McCaul brachten im Mai 2020 einen Resolutionsentwurf im US-Repräsentantenhaus ein, wonach das Repräsentantenhaus beschließen sollte, von Russland die Freilassung Christensens und anderer politischer Gefangener zu fordern.

Einzelnachweise

  1. Jacob Gronholt-Pedersen, Felix Light: Russia releases Jehovah's Witness follower from prison. Reuters, 24. Mai 2022, abgerufen am 30. Mai 2022 (englisch).
  2. Interview mit Dennis und Irina Christensen (vollständige Version). JW.ORG, 20. September 2023 .
  3. 1 2 3 4 Dennis Christensen, United States Commission on International Religious Freedom.
  4. Video von der Erstürmung des Königreichssaals, veröffentlicht zunächst von glavny.tv, nun abrufbar auf jw.org
  5. 1 2 Wolfram Slupina: Religious Freedom and Jehovah’s Witnesses in Putin’s Russia, Georgia, and CIS. in: Religious Freedom: Its Confirmation and Violation During the 20th and 21st centuries. (= Religion – Staat – Gesellschaft 18 (1+2-2017)). S. 189.
  6. Wiedergabe des Letzten Wortes von Dennis Christensen vor dem Regionalgericht Orjol am 16. Mai 2019, auf jw.org.
  7. Imprisoned Jehovah’s Witness Gets Early Release in Russia. The New York Times, 23. Juni 2020.
  8. European Commission for Democracy through Law (Venice Commission) Draft Opinion on The Federal Law On Combatting Extremist Activity of The Russion Federation. 7. März 2012.
  9. Mikhail Antonov: Religion, Sexual Minorities, and the Rule of Law in Russia. in: Journal of Law, Religion and State. 7 (2019). S. 254.
  10. Elizabeth A. Clark, Dmytro Vovk: Religion During the Russian-Ukrainian Conflict. Routledge, USA, 2020.
  11. 1 2 Danish Jehovah’s Witness sentenced to six years in prison in Russia. The Washington Post, 6. Februar 2019.
  12. Comment by UN High Commissioner for Human Rights Michelle Bachelet on criminalising the right to freedom of religion for Jehovah’s Witnesses in Russia. OHCHR (Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte), 7. Februar 2019.
  13. Les corapporteurs pour le suivi de la Russie, préoccupés par la condamnation d’un Témoin de Jéhovah pour ‘extrémisme’. Parlamentarische Versammlung des Europarates. 7. Februar 2019.
  14. Statement by the Spokesperson on the sentencing of Dennis Christensen in Russia. 13. Februar 2019.
  15. In Russland ist die Gewissensfreiheit eine Fiktion. Memorial Deutschland, 8. Februar 2019.
  16. Keine Gerechtigkeit für dänischen Zeugen Jehovas. Amnesty International, 14. August 2019.
  17. Russia: Jehovah’s Witness Convicted. 6. Februar 2019.
  18. Russia: "6-year jail sentence for believing in God". Forum 18, 6. Februar 2019.
  19. H.Res.958 - Condemning the practice of politically motivated imprisonment and calling for the immediate release of political prisoners in the Russian Federation and urging action by the United States Government to impose sanctions with respect to persons responsible for that form of human rights abuse.
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