Der Traum der heiligen Ursula
Vittore Carpaccio, 1495
Öl auf Leinwand
267× 274cm
Accademia, Venedig

Der Traum der heiligen Ursula (italienisch Sogno di Sant’Orsola) ist ein Gemälde von Vittore Carpaccio aus dem späten 15. Jahrhundert. Es ist Teil des Ursula-Zyklus über das Leben der Heiligen Ursula, der als Hauptwerk Carpaccios gilt. Die neun Gemälde befinden sich heute in der Accademia in Venedig in einem eigenen Raum (Saal XXI).

Auftraggeber und Entstehung

Der Auftrag für die insgesamt neun großen Tafelgemälde wurde am 16. November 1488 von der seit 1300 bestehenden Bruderschaft „Scuola di Sant’Orsola“ erteilt, ohne dass der Name Carpaccios in dem Vertrag erwähnt wurde. Carpaccio begann die Arbeiten am Zyklus 1490 oder 1491 und es sollte, mit einigen Unterbrechungen, bis 1496 zu ihrer Vollendung dauern; nach einer anderen Quelle dauerten die Arbeiten bis 1500. In einer Unterbrechung 1494 schuf er das Gemälde Heilung des Besessenen für die Scuola di San Giovanni Evangelista. Das Gemälde über den Traum der Hl. Ursula wird auf 1495 datiert.

Carpaccio dürfte, wie zu dieser Zeit üblich, selbst die Motive und Kompositionen vorgegeben und sich auch an der eigentlichen Ausführung beteiligt oder aber die von den Gehilfen zu erledigende Arbeit koordiniert haben, denn er verfügte, wie z. B. auch Gentile Bellini, über eine große Zahl an Gehilfen.

Das Bild, wie der ganze Zyklus, gehören zum Genre der teleri, so benannt nach der einem Webstuhl (im venezianischen Dialekt telero) ähnlichen Holzkonstruktion, mit der die Bilder an den Wänden der Scuole angebracht wurden. Es gilt auch als das ruhigste der ansonsten doch recht dramatischen Darstellungen des Zyklus. In der Abfolge des Zyklus ist es das sechste Gemälde. Der Zyklus war für die Kapelle der Scuola in den umgebauten Räumen neben der Dominikanerkirche San Zanipolo in Venedig bestimmt.

Das Motiv

Der Legenda aurea des Jacobus de Voragine nach war die Heilige Ursula eine Prinzessin aus königlich bretonischem Haus. Nach einem Verlöbnis mit einem englischen Prinzen wollte sie zunächst eine Wallfahrt nach Rom unternehmen, bevor die eigentliche Hochzeit stattfinden sollte. Nach dem Empfang und der Segnung durch den Papst erschien ihr dann ein Engel im Traum, der ihr das bevorstehende Martyrium verkündete. Es ist diese Stelle der Überlieferung, die das Gemälde darstellt. Die Heilige und die sie angeblich begleitenden 11.000 Jungfrauen erlitten ihr Martyrium der Legende nach letztlich auf der Rückreise in Köln.

Die Darstellung

Das Bild ist zentralperspektivisch angelegt, der Fluchtpunkt liegt etwas rechts der mittleren Bildachse. Es ist unklar, an welchem Ort die Szene spielen soll. Einer Quelle nach erscheint der Heiligen der Engel bereits in Rom selbst, nach einer anderen ereignet sich die Vorhersage erst in Köln. Die Szene soll am frühen Morgen spielen, entsprechend streng ist der Lichteinfall von rechts hinter dem Engel gestaltet. Das Interieur des Raumes selbst ist ein typisches Schlafgemach im Venedig des 15. Jahrhunderts. Der Raum ist nur wenig möbliert, außer dem Himmelbett finden sich nur noch ein Hocker, ein kleiner Tisch und ein Bücherregal. An der Wand befindet sich hinter der schlafenden Heiligen ein kleiner Altar, dem eine Kerze in einer Halterung und ein kleines Gefäß für das Weihwasser beigefügt sind. Oberhalb der Türsturze sind jeweils antik anmutende Statuetten aufgestellt. Die Wände werden durch rundbogige Zwillingsfenster jeweils unterhalb von Rundfenstern durchbrochen. Die Heilige selbst schläft ruhig, das Gesicht ist entspannt und friedlich dargestellt.

Besondere Sorgfalt, im Detailreichtum und der natürlichen Darstellungsweise typisch für Carpaccio, legte er auf kleine Details, so in diesem Bild auf die Schuhe der Heiligen vor dem Bett oder die Krone als Attribut ihrer königlichen Herkunft am unteren Ende des Bettes. Der kleine Hund am unteren Bildrand ist ein von Carpaccio nicht selten verwendetes Motiv, um eine Form von Alltag in ein heiliges Geschehen zu bringen. Die beiden Pflanzen in der Vase bzw. dem Kübel auf der Fensterbank stellen Myrte und Nelke dar, die erste eine symbolische Darstellung der Liebe, die andere die der Ehre.

Wie bei vielen Bildern Carpaccios, so ist auch in diesem Gemälde die Grundfarbgebung eine bernsteinfarben-rötliche, was als typisch für die Lichtverhältnisse Venedigs gilt.

Hugh Honour bemerkte zu diesem Bild: Manch venezianisches Schlafzimmer dürfte so ausgesehen haben wie das der Heiligen, wenn auch ohne die Krone am Fußende des Bettes. Aber hier spüren wir noch etwas mehr als nur realistische Naturtreue. Dies ist weniger das Bild eines Zimmers, als vielmehr ein Bild von Licht und Luft, die in ein Zimmer fluten. Carpaccio war fasziniert vom Problem der malerischen Wiedergabe von Licht und Farbtönung. Und in der Wiedergabe der besonderen Eigentümlichkeit des venezianischen Lichtes hat er nur einen Rivalen – Canaletto.

Literatur

  • Will Durant: Glanz und Zerfall der italienischen Renaissance. Band 8 aus Will und Ariel Durant: Kulturgeschichte der Menschheit. 1. Aufl., Südwest Verlag, München 1978, ISBN 3-517-00562-2.
  • Hugh Honour: Venedig – Ein Führer. 2. Aufl., Prestel Verlag, München 1973.
  • Ines Kehl: Vittore Carpaccios Ursulalegendezyklus der „Scuola di Sant’Orsola“ in Venedig. Eine venezianische Illusion. Worms 1992. (= Manuskripte der Kunstwissenschaft 36.)
  • Pompeo Molmenti: The Life and Works of Vittore Carpaccio. London 1907. Kapitel 4.: The History of the Scuola di Sant’Orsola. Kapitel V. Carpaccios Paintings. Volltext
  • Corrado Ricci: Geschichte der Kunst in Norditalien. 2. Aufl., Julius Hoffmann Verlag, Stuttgart 1924.
  • Max Semrau: Die Kunst der Renaissance in Italien und im Norden. 3. Aufl., Bd. III aus Wilhelm Lübke: Grundriss der Kunstgeschichte. 14. Aufl., Paul Neff Verlag, Esslingen 1912.
  • Herbert Alexander Stützer: Malerei der italienischen Renaissance. DuMont’s Bibliothek grosser Maler, DuMont Buchverlag, Köln 1979, ISBN 3-7701-1118-4.
  • Rolf Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung. Tandem Verlag, Köln 2007, ISBN 978-3-8331-4582-7.
  • Felix Thürlemann: Der Ursula-Zyklus von Vittore Carpaccio. Konstanz 2002. (online)
  • Robert E. Wolf und Ronald Millen: Geburt der Neuzeit. Reihe Kunst im Bild, Naturalis Verlag, München 1987, ISBN 3-88703-705-7.
  • Stefano Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke. DuMont Buchverlag, 2008, ISBN 978-3-8321-9113-9.
Commons: Der Traum der Hl. Ursula – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung. S. 362
  2. Felix Thürlemann: Der Ursula-Zyklus von Vittore Carpaccio
  3. Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung. S. 362
  4. Honour: Venedig – Ein Führer. S. 190.
  5. Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung. S. 362
  6. Durant: Glanz und Zerfall der italienischen Renaissance. S. 71
  7. Semrau: Die Kunst der Renaissance in Italien und im Norden. S. 242.
  8. Stützer: Malerei der italienischen Renaissance. S. 138; Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung. S. 362.
  9. Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke. S. 198
  10. Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke. S. 198
  11. Stützer: Malerei der italienischen Renaissance. S. 138
  12. Honour: Venedig – Ein Führer. S. 190.
  13. Lage der Scuola und Anordnung des Zyklus (Memento des Originals vom 21. April 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (litwiss.uni-konstanz.de) abgerufen am 20. Januar 2013
  14. Durant: Glanz und Zerfall der italienischen Renaissance. S. 70
  15. Stützer: Malerei der italienischen Renaissance. S. 138
  16. Stützer: Malerei der italienischen Renaissance. S. 138
  17. Stützer: Malerei der italienischen Renaissance. S. 138.
  18. Stützer: Malerei der italienischen Renaissance. S. 138.
  19. Durant: Glanz und Zerfall der italienischen Renaissance. S. 70/71
  20. Zuffi: Die Renaissance – Kunst, Architektur, Geschichte, Meisterwerke. S. 201/202.
  21. Stützer: Malerei der italienischen Renaissance. S. 138
  22. Wolf/Millen: Geburt der Neuzeit. S. 56
  23. Honour: Venedig - Ein Führer, S. 191
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