Bei dem Eisenbahnunfall von Hohenthurm kollidierte am 29. Februar 1984 der Schnellzug D 354 auf der Fahrt von West-Berlin nach Saarbrücken mit dem Personenzug P 7523 von Bitterfeld nach Halle (Saale). 11 Menschen in dem Personenzug starben, 43 wurden verletzt. Der Lokomotivführer des Transitzuges wurde in der Folge zu 5 Jahren Haft verurteilt.
Ausgangslage
Der D 354 war ein Transitzug von Berlin-Friedrichstraße nach Saarbrücken, der das Gebiet der DDR zwischen Berlin (West) und der innerdeutschen Grenze ohne Halt durchfuhr. Kontrollen durch DDR-Behörden beschränkten sich daher auf Prüfungen der Ausweispapiere. Um Aufspringen während der Fahrt zu verhindern, sollte der Zug auf DDR-Territorium eine Mindestgeschwindigkeit einhalten und möglichst keinen außerplanmäßigen Halt einlegen. Notwendige Betriebshalte, z. B. zum Lokomotivwechsel, fanden auf kleinen, unbedeutenden Bahnhöfen statt und wurden von der Transportpolizei streng bewacht. Da die Höchstfahrzeiten auf Grund des schlechten Streckenzustandes kaum einzuhalten waren, trug der Zug unter DDR-Eisenbahnern den Spitznamen „Angst“. Am Tag des Unfalls wurde der Zug von der Lok 250 207-8 gezogen. Er war planmäßig mit 108 Personen an Bord in Berlin abgefahren. Wegen starken Nebels und unter dem Druck, die Höchstfahrzeit von vier Stunden bis zur innerdeutschen Grenze einzuhalten, hatte der Lokführer zwischen Berlin und Hohenthurm insgesamt drei haltgebietende Signale überfahren.
Der P 7523 war ein Nahverkehrszug von Bitterfeld nach Halle (Saale), der von vielen Arbeitern zur Feierabendzeit benutzt wurde und daher als „Schichterzug“ bekannt war. Er wurde von der Schlusslok 250 017-1 geschoben.
Zum Zeitpunkt des Unfalls herrschte dichter Nebel mit Sichtweiten von unter fünf Metern. Der Zugverkehr im Raum Halle war nahezu zum Erliegen gekommen.
Unfallhergang
Der P 7523 hielt gegen 15:00 Uhr in Hohenthurm und sollte auf die Überholung des D 354 warten, als der D 354 mit 40 km/h frontal auf die Schlusslok auffuhr. Diese schob sich unter den letzten Waggon, dessen hinterer Teil dabei völlig zerstört wurde. Der Lokführer des Nahverkehrszuges sowie 10 Reisende kamen ums Leben, mindestens 30 weitere wurden verletzt. Der Lokführer des Transitzuges wurde schwer, 16 Reisende leicht verletzt und konnten nach ambulanter Behandlung ihre Reise fortsetzen.
Bergung
Die Freiwillige Feuerwehr Hohenthurm war zuerst vor Ort; wenig später trafen Berufsfeuerwehr, Kriminalpolizei und Rettungsdienst mit Notarzt ein. Diese durften nur die Reisenden des Nahverkehrszuges versorgen. Auf Grund von Brandgefahr konnten die Helfer keine Schneidbrenner einsetzen, um die eingeklemmten Verletzten aus dem Zug zu befreien, sondern mussten mit Handsägen arbeiten, wodurch sich die Bergung bis in die frühen Morgenstunden hinzog. Der letzte Tote wurde um 4:30 Uhr geborgen.
Der Transitzug wurde von einem Katastrophenstab unter Leitung des Ministeriums für Staatssicherheit betreut. Gegen 19:00 Uhr konnte der Zug seine Fahrt mit einer Ersatzlok fortsetzen.
Folgen
Die MfS-Abteilungen für Spionageabwehr und Sicherung des Verkehrswesens gingen zunächst von einem Anschlag oder Sabotageakt aus und nahmen Ermittlungen auf. Helfern wurde verboten, über Einzelheiten des Unfalls zu sprechen. Die Schuldfrage wurde nie eindeutig geklärt: Der Lokführer des Transitzuges hatte die Anweisung, möglichst nur an den im Fahrplan vorgesehenen Bahnhöfen zu halten. Möglicherweise war er davon ausgegangen, wie für Transitzüge sonst üblich, überall freie Fahrt zu haben. Er wurde dennoch fünf Monate später zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der Streckenabschnitt zwischen Bitterfeld und Halle/Saale war zum Unfallzeitpunkt nicht mit Indusi ausgerüstet, die bei Überfahren eines „Halt“ zeigenden Signals eine Zwangsbremsung des Zuges ausgelöst hätte.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Martin Weltner: Bahn-Katastrophen. Folgenschwere Zugunfälle und ihre Ursachen. München 2008. ISBN 978-3-7654-7096-7, S. 16.
- 1 2 3 4 5 6 7 Zugunglück in Hohenthurm bei Halle. (Nicht mehr online verfügbar.) In: mdr.de. Mitteldeutscher Rundfunk, 18. Februar 2014, archiviert vom am 23. Februar 2015; abgerufen am 23. Februar 2015.
- 1 2 3 Bahnbetriebsunfälle der DR und DB ab 1945. Abgerufen am 1. Dezember 2019.
- ↑ Norman Meissner: Die Eisenacher Eisenbahnkatastrophe vom 23. Juni 1976: Zwei Zeitzeugen berichten. In: Thüringische Landeszeitung. 28. Juni 2014, abgerufen am 9. September 2015.
- ↑ Stasiakten zum Zugunglück im Bahnhof Hohenthurm bei Halle am 29. Februar 1984. In: mdr.de. Mitteldeutscher Rundfunk, abgerufen am 3. Dezember 2019.
- 1 2 3 Antonie Städter: Zugunglück von 1984 bei Halle: Nebelfahrt in die Katastrophe. In: Mitteldeutsche Zeitung. 1. März 2019, abgerufen am 27. August 2021.