|
Beim Eisenbahnunfall von Würzburg stießen am 1. Juli 1886 aufgrund unzureichender Verständigung zwischen dem Fahrdienstleiter und einem Weichensteller zwei Züge frontal zusammen. 18 Menschen starben.
Ausgangslage
Infrastruktur
Östlich von Würzburg verliefen – heute zur Bahnstrecke Fürth–Würzburg zählend – die zwei eingleisigen Bahnstrecken von und nach Bamberg, eine Teilstrecke der Ludwigs-Westbahn, und von und nach Fürth auf etwa neun Kilometern bis zum Bahnhof Rottendorf parallel, wo sie sich trennen. Jedes Gleis wurde im Regelfall für sich alleine in beide Richtungen befahren, jedoch war in besonderen Betriebssituationen in Würzburg oder Rottendorf ein Abzweigen auf die parallel verlaufende anderen Strecke möglich.
Der Abschnitt von Würzburg nach Rottendorf verläuft nördlich entlang des Faulenbergs und wies östlich des Haltepunkts Artilleriekaserne eine Steigung bis zu 2 % auf.
Betrieb
Seit 1884 bestand von Erfurt über Meiningen eine Schnellverbindung nach Schweinfurt und Würzburg. Diese Strecke befuhren seitdem täglich zwischen Stuttgart und Berlin verkehrende Schnellzüge.
Von den beiden in den Unfall verwickelten Zügen nutzte der Schnellzug aus Stuttgart planmäßig die Nürnberger Strecke zur Ausfahrt, der Personenzug verkehrte dagegen planmäßig auf dem Schweinfurter Gleis. Am Tag des Unfalls verkehrte der Personenzug mit 20 Minuten Verspätung und fuhr aus Schweinfurt mit höchst zulässiger Geschwindigkeit auf Würzburg zu. Zeitgleich stand in Richtung Schweinfurt der Schnellzug nach Berlin abfahrbereit im Würzburger Hauptbahnhof. Dieser hatte eine Verspätung von 16 Minuten.
Unfallhergang
Aus heute unbekanntem Grund entschied der Würzburger Fahrdienstleiter, die Kreuzung abweichend vom Üblichen durchführen zu lassen: Der Schnellzug aus Stuttgart sollte das Schweinfurter, der Personenzug das Nürnberger Gleis nutzen. Dazu stellte er einen schriftlichen Auftrag an den Weichensteller aus, der in der Ausfahrt aus dem Würzburger Hauptbahnhof die entsprechende Weiche stellen sollte. Diese schriftliche Anweisung musste von einem Bediensteten zu dem Weichenwärter gebracht werden. Der Bote aber war neu und kannte die örtlichen Verhältnisse nicht. Als er bei dem Weichenwärter eintraf, hatte dieser bereits den Schnellzug auf das planmäßige, Nürnberger Gleis geleitet, auf dem sich bereits der Zug aus Schweinfurt befand.
Der Schweinfurter Zug nutzte das Gefälle nach Rottendorf, um mit höchstmöglicher Geschwindigkeit etwas von seiner Verspätung einzuholen. Dessen Lokomotivführer konnte seinen Zug nicht mehr anhalten, als er den auf gleichem Gleis entgegenkommenden Schnellzug erkannte. Der Schnellzug dagegen konnte auf ansteigender Strecke noch abbremsen, bevor beide Züge unweit des Haltepunkts Artilleriekaserne um 13:30 Uhr kollidierten.
Folgen
Unmittelbare Folgen
Beide Lokführer und 14 Reisende aus dem Schweinfurter Personenzug starben am Unfalltag, mehr als 70 wurden darüber hinaus verletzt, 20 davon schwer. Bis zum 13. Juli erhöhte sich die Zahl der Toten auf 18. An den Personenwagen des Schnellzuges entstand dagegen kaum Schaden: Lediglich das vordere Abteil des ersten Wagens wurde beschädigt.
Rettungsarbeiten
Eine große Zahl von Militärärzten der Kaserne sowie Assistenzärzten des Juliusspitals aus Würzburg leisteten vor Ort medizinische Hilfe. Während Soldaten der Kaserne die Unfallstelle gegen eine große Menge Schaulustiger absperrten, transportierte eine Sanitätskompagnie die Verletzten in das Juliusspital.
Wissenswert
Im August 1886 wurden Entschädigungsansprüche von 1,3 Mio. Mark für die Opfer geltend gemacht.
Bereits am 6. Juli gelangten in Würzburg erneut zwei Züge auf ein gleiches Gleis, eine Kollision konnte aber noch rechtzeitig vom Bahnpersonal verhindert werden.
Ritzau wertet den Unfall als Beleg für die damals noch unzureichenden Betriebsverhältnisse bei den Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen.
Literatur
- Bernhard Püschel: Historische Eisenbahn-Katastrophen. Eine Unfallchronik von 1840 bis 1926. Freiburg 1977. ISBN 3-88255-838-5
- H. J. Ritzau: Eisenbahn-Katastrophen in Deutschland – Splitter deutscher Geschichte Bd. 1. Verlag Zeit und Eisenbahn, Landsberg-Pürgen 1979.
Anmerkungen
- ↑ Stationsverzeichnis 1872, Streckenangaben noch in „Reichsmeilen“
- ↑ Abbildung der Unfallstelle bei Ritzau, S. 56 (Nr. 46) und Püschel, S. 55.
Einzelnachweise
- ↑ Historie des Bahnhofs Rottendorf (Memento vom 15. Februar 2016 im Internet Archive), Gleisstruktur etc., S. 3 und 5.
- ↑ T. Memminger, Würzburgs Straßen und Bauten, S. 145 (2. Aufl. 1921). – „Faulenberg“ war die historische Bezeichnung für eine hier gelegene Weinlage. Nach der Urbanisierung entstanden hier die Stadtteile „Heimgarten“ und „Gerbrunn“. Die historische Bezeichnung wird nur noch bei der 1876–1879 als Artilleriekaserne erbauten „Faulenberg-Kaserne“ verwendet.
- ↑ In historischen Kursbüchern z. B. als D11 / D12 zu finden: Stuttgart – Osterburken – Lauda – Würzburg – Schweinfurt – Meiningen – Erfurt – Halle – Berlin.
- ↑ Planmäßige Ankunftszeit am 1. Juli 1886 um 13:20 Uhr in Würzburg (Püschel, S. 56).
- ↑ Püschel, S. 56.
- ↑ Püschel, S. 56.
- ↑ Neueste Mittheilungen (Amtspresse Preußens) vom 2. Juli 1886, S. 4. – Berliner Gerichtszeitung vom 3. Juli 1886, S. 2.
- 1 2 Ritzau: Eisenbahn-Katastrophen, S. 17ff.
- 1 2 Ausführliche Darstellung in Wöchentliche Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeburg vom 6. Juli 1886, S. 2. – Anm.: „30. Juni 1886“ sowie „Bamberger Postzug“ ist offenbar unzutreffend, da die Toten und Schwerstverletzten aus diesem Zug stammten.
- 1 2 Teltower Kreisblatt vom 13. Juli 1886, S. 3 (rechte Spalte).
- ↑ Püschel, S. 56.
- ↑ Wöchentliche Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeburg vom 17. August 1886, S. 3.
Koordinaten: 49° 47′ 42,8″ N, 9° 58′ 24,8″ O