Ērān („Iran“) ist ein im 3. Jahrhundert aufkommender Begriff, der ethnische, religiöse und politische Bedeutung hat. Er diente als Bezeichnung für Gebiete, in denen Menschen leben, die die iranische Sprache sprechen; es ist somit nicht deckungsgleich mit der Bezeichnung für den modernen Staat Iran. Ērān steht im Gegensatz zu Anērān, dem Land der Nicht-Iranier. Es handelt sich gleichzeitig um religiös und politisch gebrauchte Begriffe, da Anērān in diesem Sinne mit dem Feind Irans und des Zoroastrismus gleichgesetzt wurde.

Im alten Persien tauchen die Begriffe Airya und Anairya bereits im Avesta auf, wo sie nach der einen wissenschaftlichen Ansicht vor allem als ethnische Bezeichnung oder nach der anderen als sprachliche und religiöse Abgrenzung gegenüber den Nicht-Ariern dienen (vgl. auch „Arier“). Ērān ud Anērān („Iran und Nicht-Iran“) wurden aber erst in der Spätantike von den Königen des Sassanidenreichs (3. bis 7. Jahrhundert) geprägt. Während Anērān erst in der Zeit von Schapur I. bezeugt ist, wurde Ērān bereits von dessen Vater Ardaschir I. in Inschriften und auf Münzen benutzt. Die spätantiken Perserkönige nahmen für sich in Anspruch, die gesamte zivilisierte Welt unter ihrer Herrschaft in ihrem Reich Ērān-šāhr („Reich der arya“) vereinigt zu haben (der Begriff in seiner Bedeutung für einen geschlossenen Herrschaftsbereich entstand auch erst in sassanidischer Zeit). Das bedeutete nicht, dass Anērān unterworfen werden musste, aber es sollte die Oberhoheit von Ērān anerkennen. Diese politische Ideologie diente nicht zuletzt der Unterfütterung des Herrschaftsanspruches der Sassanidenkönige. Šāhān šāh ērān ud anērān („König der Könige von Ērān und Anērān“, d. h. „Iran und Nichtiran“) blieb auch in der Folgezeit Titulatur der Sassanidenkönige, die damit bewusst eine politische Botschaft vermittelten. Ein Beiname einiger sassanidischer Herrscher war zudem ēr mazdēsn, übersetzbar mit „arisch“ (im Sinne von „iranisch“) und „mazdaistisch“ (bzw. „Mazdaverehrer“).

Da das persische Herrschaftsgebiet auch andere ethnische bzw. religiöse Minderheiten umfasste, betrieben die Perserkönige realpolitisch durchaus eine diese Aspekte berücksichtigende Politik, solange sich diese Gruppen loyal verhielten. Nach dem Untergang des Sassanidenreichs im Verlauf der islamischen Expansion im 7. Jahrhundert wurde Ērān weiterhin von islamischen Gelehrten benutzt, aber nicht mehr als politischer Begriff. In dieser Form wurde er erst wieder in der Zeit der Ilchane und vor allem im 20. Jahrhundert von der Pahlavi-Dynastie verwendet.

Zusätzlich zu dieser stark herrschaftsideologischen Unterscheidung existierten in der Spätantike reell neben Ērān im Westen Hrōm/Rūm (Römisches Reich) und im Nordosten in Transoxanien Tūrān, das Land feindlich gesinnter Nomaden (Iranische Hunnen und seit Mitte des 6. Jahrhunderts die Göktürken), die die Perserkönige bekämpfen mussten. In diesem Zusammenhang bestand für die spätantiken Perserkönige unter anderem die Aufgabe, die zivilisierte Welt von Ērānšāhr gegen die äußere Welt zu verteidigen. Aus achämenidischer Zeit ist der ummauerte Garten ein bekanntes Symbol (altpersisch paridaida, verstanden im Sinne eines irdischen Paradieses), das verbunden war mit einer gewissen sakralen Komponente. Touraj Daryaee hat diesbezüglich die These aufgestellt, dass das Motiv eines geschützten Gartens von den Sassaniden als ein Symbol für die Absicherung des Reiches nach außen benutzt wurde, wobei die Sassaniden auch real eine aktive Grenzsicherung betrieben.

Der Begriff Ērān kommt auch in anderen Ausdrücken vor, etwa den Amtstiteln Ērān-spāhbed (Marschall des Reiches), Ērān-drustbed (oberster Hofarzt) und Ērān-hambāragbed (Oberaufseher der Vorratsmagazine) sowie den Ortsbezeichnungen Ērān-šahr-Šābuhr und Ērān-winard-Kavād.

Literatur

  • Matthew P. Canepa: The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran. University of California Press, Berkeley 2009.
  • Gherardo Gnoli: Iran: Vorgeschichte und Entwicklung einer Idee. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, ISBN 3-85497-018-8, S. 16–21.
  • Gherardo Gnoli: The Idea of Iran. An Essay on Its Origin. Instituto Italiano per il Medio ed Estermo Oriente (IsMEO). Rom 1989 (= IsMEO – Serie Ortientale Roma. Band 62).
  • Gherardo Gnoli: Iran als religiöser Begriff im Mazdaismus (= Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G. 320). Opladen 1993.
  • D. N. MacKenzie: Ērān, Ērānšahr. In: Encyclopædia Iranica
  • Josef Wiesehöfer: Iran. In: Der Neue Pauly. Band 5. Stuttgart/ Weimar 1998, Spalten 1101–1103.

Anmerkungen

  1. Genitiv Plural von mittelpersisch ēr, vgl. Gherardo Gnoli: Iran: Vorgeschichte und Entwicklung einer Idee. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, S. 16–21, hier: S. 17 und 19 f.
  2. Josef Wiesehöfer: Iran. In: Der Neue Pauly. Band 5. Stuttgart/Weimar 1998, Sp. 1101–1103, hier: Sp. 1101.
  3. Ph. Gignoux: Anērān. In: Encyclopædia Iranica.
  4. H. W. Bailey: Arya. In: Encyclopædia Iranica.
  5. Gérard Fussmann: Entre fantasmes, science et politique. l’entrée des Ǎryas en Inde. In: Gérard Fussmann, Jean Kellens, Henri-Paul Francfort, Xavier Tremblay: Ǎryas, Aryens et Iraniens en Asie Centrale. Paris 2005. ISBN 2-86803-072-6, S. 218.
  6. Vgl. D. N. MacKenzie: Ērān, Ērānšahr. In: Encyclopædia Iranica.
  7. Von mittelpersisch ēr und altiranisch xšaθra („Macht, Reich“), vgl. Gherardo Gnoli: Iran: Vorgeschichte und Entwicklung einer Idee. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, S. 16–21, hier: S. 17–19.
  8. Vgl. Touraj Daryaee: Sasanian Iran 224–651 CE. Portrait of a Late Antique Empire. Costa Mesa (Calif.) 2008, S. XIX f.
  9. Vgl. allgemein auch Matthew P. Canepa: The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between Rome and Sasanian Iran. Berkeley 2009, S. 53 ff.
  10. Zur Bedeutung vgl. Gherardo Gnoli: The Idea of Iran. An Essay on Its Origin. Rom 1989, S. 129 ff.
  11. Gherardo Gnoli: Iran: Vorgeschichte und Entwicklung einer Idee. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, S. 16–21, hier: S. 19.
  12. Gherardo Gnoli: ĒR, ĒR MAZDĒSN. In: Encyclopædia Iranica.
  13. Josef Wiesehöfer: Iran. In: Der Neue Pauly. Band 5. Stuttgart/Weimar 1998, Sp. 1101–1103, hier: Sp. 1102.
  14. Josef Wiesehöfer: Iran. In: Der Neue Pauly. Band 5. Stuttgart/Weimar 1998, Sp. 1101–1103, hier: Sp. 1101.
  15. Vgl. dazu Richard Payne: The Making of Turan. The Fall and Transformation of the Iranian East in Late Antiquity. In: Journal of Late Antiquity 9, 2016, S. 4–41.
  16. Zur Geschichte Ostirans in der Sassanidenzeit und den diesbezüglichen nomadischen Invasoren siehe Khodadad Rezakhani: ReOrienting the Sasanians. East Iran in Late Antiquity. Edinburgh 2017.
  17. Mehrdad Fakour: Garden I. Achaemenid Period. In: Encyclopaedia Iranica.
  18. Touraj Daryaee: If these Walls Could Speak. The Barrier of Alexander, Wall of Darband and Other Defensive Moats. In Stefano Pellò (Hrsg.): Itineraries on the Edges of Iran. Venedig 2016, S. 79–88, speziell S. 82–86.
  19. Rika Gyselen: Spāhbed. In: Encyclopaedia Iranica.
  20. Aḥmad Tafażżolī: Drustbed. In: Encyclopaedia Iranica.
  21. Gherardo Gnoli: Iran: Vorgeschichte und Entwicklung einer Idee. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, S. 16–21, hier: S. 20.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.