Als Ersatzdehnung wird in der Sprachwissenschaft ein assimilatorischer Lautwandel bezeichnet, bei dem nach dem Wegfall eines Konsonanten der diesem vorausgehende kurze Vokal gelängt (also „ersatzweise“ gedehnt) wird.

Germanische Sprachen

In der Geschichte der deutschen Sprache trat eine solche Ersatzdehnung etwa beim Übergang vom Urgermanischen zum Althochdeutschen ein; in den Lautkombinationen /anχ/ und /unχ/ schwand der Nasal, der Vokal wurde lang. Beispiele:

germ. *þanhto zu ahd. dāhta „dachte“
germ. *þunhto zu ahd. dūhta „deuchte“

In den nordseegermanischen Sprachen trat eine Ersatzdehnung zudem vor den germanischen Konsonantenkombinationen /ns/, /mf/, /nð/ und /nθ/ ein. Beispiele:

germ. *uns zu asächs. ūs, engl. westfries. us, westfläm. uus, limb. oos; aber nl. ons, nd. dt. uns
germ. *anþaraz zu westfries. oar, saterfries. uur, engl. other, asächs. ōðar, āthar, frz.-fläm. aajer; aber nl. nd. dt. ander
germ. *femfe zu nordfries. fiiw, saterfries. fieuw, engl. five, nd. fiev, nl. vijf; aber dt. fünf

Im Englischen trat zudem beim Übergang vom Mittelenglischen zum Frühneuenglischen regelmäßig eine Ersatzdehnung an die Stelle des Frikativs /ç/ bzw. seines Allophons /x/. Beispiel:

Mittelenglisch night /niçt/ zu Frühneuenglisch /niːt/; mit der frühneuenglischen Vokalverschiebung wurde das /iː/ zu /ai/ (nengl. /nait/)

Altgriechisch

Im Altgriechischen tritt Ersatzdehnung für die ursprünglichen Konsonantenkombinationen /ns/ oder /s/ + Nasal auf. Beispiele:

*τόνς *tons > τούς tous (/-oː-/) „den“ (Akkusativ Singular maskulinum des Artikels)
*γίγᾰντς *gigănts > *γίγᾰνς *gigăns > γίγᾱς gigās „Gigant“
*ἐσμί *esmi > εἰμί eimi (/eː-/) „ich bin“

In manchen Fällen kompensiert eine Ersatzdehnung auch den Ausfall eines ursprünglichen /s/ oder /j/ in der folgenden Silbe. Beispiele:

*ἤγγελσα *ēngelsa > ἤγγειλα ēngeila (/-eː-/) „ich verkündete“
*κρῐ́νjω *krĭnjō > κρῑ́νω krīnō „ich entscheide“

Slawische Sprachen

Unter anderem im Polnischen und Slowakischen hatte der Ausfall von Jers mitunter eine Ersatzdehnung zur Folge, vgl. žena/žien (Frau), niósł/niosła (trug). Im Polnischen wurden die langen Vokale verengt, wodurch die phonologische Quantität in die Qualität überging.

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