Evangelischer Friedhof bezeichnet einen Friedhof im deutschsprachigen Raum, in dem nach der Reformation die Gemeinsamkeit des Friedhofs unmöglich geworden war. Ab dem 16. Jahrhundert entstanden daher vielerorts eigene evangelische Friedhöfe. Die Beerdigung von Mitgliedern der jeweils anderen Konfessionen war lange Zeit verboten.
In evangelischen Friedhöfen waren auch anonyme Bestattungen erlaubt und die Grabstätten einfacher Menschen blieben lange Zeit ohne Kennzeichnung.
Reformierte Gebiete
In reformierten Gebieten wurden bislang gemeinsam genutzte Friedhöfe zu evangelischen Friedhöfen erklärt oder eigene neue Friedhöfe angelegt. Später wurde katholischen Gläubigen dort, wo es keinen eigenen katholischen Friedhof gab, aber zunehmend auch in allen gemischten Gebieten, Gastrecht gewährt, wenn auch zum Teil mit höheren Grabgebühren versehen. Die Landeskirche des Königreichs Sachsen zum Beispiel beschloss 1906 sogar die völlig gleiche Zulassung und Behandlung katholischer Verstorbener wie evangelischer auf evangelischen Friedhöfen.
Gebiete der katholischen Reform
In Gebieten der Katholischen Reform wurden evangelische Friedhöfe erst später üblich, da dort das geltende römisch-katholische Kirchenrecht zwei erstmals konkurrierende Artikel aufwies. Einerseits durften Häretiker nicht in geweihter Erde bestattet werden, andererseits war die Neuanlage eigener evangelischer Friedhöfe ebenfalls nicht vorgesehen.
Entwicklung in Österreich-Ungarn
In der Habsburgermonarchie wurden nach einer Bestimmung von 1609 evangelische Friedhöfe angelegt, um diesen kirchenrechtlichen Missstand abzustellen. Viele der neuen evangelische Friedhöfen wurden dann allerdings während der Gegenreformation wieder zerstört. Nach dem Konkordat von 1855 zwischen Österreich-Ungarn und dem Heiligen Stuhl waren die Friedhöfe endgültig zu scheiden. Dort, wo evangelische Friedhöfe nicht eigens angelegt werden konnten, wurden – ähnlich den Selbstmördern, Missetätern und Juden – eigene Winkel für Akatholiken angelegt.
Liste bekannter evangelischer Friedhöfe
- Berlin: Evangelischer Friedhof Altglienicke (1884), Evangelischer Friedhof Alt-Schmargendorf, Evangelischer Friedhof Stralau (1949 übernommen), Luisenfriedhof I (auch Alter Luisenfriedhof genannt), Luisenfriedhof II (auch Westend-Friedhof genannt)
- Köln: Evangelischer Friedhof Köln-Mülheim (1614)
- Regensburg: Gesandtenfriedhof. Friedhof protestantischer Gesandter am Reichstag bei der Dreieinigkeitskirche genutzt ab 1550 bis 1803.
- Regensburg Evangelischer Zentralfriedhof ab 1898
- Wien: Evangelischer Friedhof Matzleinsdorf (1858, auch Neuer evangelischer Friedhof genannt)
- Wuppertal: Evangelischer Friedhof Cronenberg (1783). Alter evangelischer Friedhof Langerfeld (1785)
Literatur
Hans-Peter Hübner, Klaus Raschok (Hg.) mit Bildern von Gerhard Hagen: Evangelische Friedhöfe in Bayern, Franz Schiermeier Verlag München, ISBN 978-3-948974-04-6, München März 2021
Einzelnachweise
- ↑ Norbert Ohler, Sterben und Tod im Mittelalter, 1990, S. 134
- ↑ Gerold Eppler, Grabkultur in Deutschland: Geschichte der Grabmäler, 2009, S. 27
- ↑ Michael Hirschfeld, Katholisches Milieu und Vertriebene, 2002, S. 316
- ↑ Deutscher Geschichtskalender, Teil 2, 1908, S. 50
- ↑ France Martin Dolinar, Maximilian Liebmann, Katholische Reform, 1994, S. 417; Karl Amon, Maximilian Liebmann, Kirchengeschichte der Steiermark, 1993, S. 152.
- ↑ Johannes Borbis, Chr. Ernst Luthard, Die evangelisch-lutherische Kirche Ungarns, 1861, S. 477.