Der Father of the House ist ein in England 1654 erstmals erwähnter, spätestens jedoch seit 1779 in Großbritannien üblicher Ehrentitel für das dienstälteste Mitglied des Unterhauses. Im Juni 2017 wurde auch der Titel Mother of the House eingeführt. In anderen englischsprachigen Ländern wie Neuseeland und Australien sind ähnliche Titel üblich. Die Funktion ist teilweise der des deutschen Alterspräsidenten vergleichbar, aber nicht identisch.

Definition

Nach den ungeschriebenen Gesetzen der Tradition steht dem nach Dienstjahren ältesten Mitglied des Unterhauses der Ehrentitel Father of the House zu. Falls mehrere Mitglieder des Parlaments gleich lange Dienstzeiten vorweisen können, wird derjenige ernannt, der unter ihnen nach dem Tagungsprotokoll, dessen Bände in Großbritannien als Hansard bekannt sind, als erster vereidigt wurde. Gleichwohl gab es früher immer wieder unterschiedliche Meinungen darüber, ob dem nach Lebensjahren ältesten Parlamentsmitglied der Titel gebührt, demjenigen, der sein Mandat am längsten ausübt, oder demjenigen, dessen Vereidigung als Abgeordneter am weitesten zurückliegt.

Funktionen

Einzige offizielle Funktion des Father of the House ist es, bei der Wahl des Speakers des Parlaments, meist zu Beginn einer Legislaturperiode, den Vorsitz zu führen, wobei der Speaker im Wesentlichen ähnliche, aber nicht dieselben Aufgaben hat wie der Bundestagspräsident. Die Sitzungsleitung des Fathers of the House bei der Speaker-Wahl ist allerdings erst seit 1972 üblich und wurde damals nach dem Vorbild der französischen Nationalversammlung übernommen, wo das nach Lebensjahren älteste Mitglied die erste Sitzung nach der Wahl eröffnet.

Der Father of the House ist außerdem berechtigt, an feierlichen Ereignissen des Parlaments an herausgehobener Position teilzunehmen.

Geschichte

Der Titel als solcher findet sich bereits 1654 erstmals erwähnt, wobei völlig unklar ist, was damals darunter zu verstehen war. Benjamin Bathurst, der von 1713 bis 1767 dem Unterhaus angehörte, wurde von seinen Nachfahren als Father of the House bezeichnet. In der Presse fand der Begriff ab 1779 Verwendung, als Collins´ Peerage Nicholas Herbert den Titel zubilligte, der damals 35 Jahre amtiert hatte. 1788 würdigte das Gentleman´s Magazine Thomas Noel mit dem Titel, ein Politiker, der mit einer zwölfjährigen Unterbrechung sechzig Jahre im Unterhaus saß, sich allerdings selten dort sehen ließ und kaum jemals zu Wort meldete. 1813 wird Whitshed Keene in einem Artikel des Literary Panorama, sowie auf einem Stich aus dem Jahr 1816, der sein Porträt zeigt, als Father of the House bezeichnet und auch in den Nachrufen auf ihn, die 1822 erschienen, entsprechend gewürdigt. Der Politiker mit irischen Wurzeln war fünfzig Jahre lang, von 1768 bis 1818, Parlamentsabgeordneter, anfänglich für den Wahlkreis Wareham in Südengland. Der Liberale Henry Campbell-Bannerman war von Mai 1907 bis zu seinem Tod im April 1908 als bisher einziger Politiker gleichzeitig Premierminister und Father of the House. Er brachte es auf rund vierzig Jahre Parlamentsmitgliedschaft.

Von Februar 2017 bis Dezember 2019 war in der Nachfolge von Gerald Kaufman, dem Labour-Abgeordneten für den Wahlkreis Manchester Gorton, der früher konservative und danach unabhängige Kenneth Clarke aktueller Titelträger, der seit 1970 den Wahlkreis Rushcliffe südlich von Nottingham vertrat und mehrfach Minister war. Der Labour-Abgeordnete Dennis Skinner, der ebenfalls seit 1970 für den Wahlkreis Bolsover in Derbyshire im Unterhaus saß, wurde in der Reihenfolge nach Clarke vereidigt.

Seit der Wahl 2019 ist der konservative Abgeordnete Sir Peter Bottomley der Father of the House. Er sitzt seit 1975 ununterbrochen im britischen Unterhaus. Kenneth Clarke war bei der Wahl nicht mehr angetreten, Dennis Skinner verlor seinen Sitz an die Konservativen.

Am 13. Juni 2017 schuf Premierministerin Theresa May den Titel Mother of the House, den derzeit die Labour-Politikerin Harriet Harman innehat, die seit 1982 den Wahlkreis Camberwell und Peckham vertritt.

Trivia

Im britischen Unterhaus gibt es neben den mit grünem Leder bezogenen Bänken nur eine wirklich bequeme Sitzgelegenheit, die der Legende nach für den Abgeordneten Tam Dalyell eingerichtet wurde, einem früheren Labour-Politiker und Father of the House, der mit seinen ausufernden und zeitraubenden Fragen zur Versenkung des argentinischen Kriegsschiffs Belgrano im Falkland-Krieg Premierministerin Margaret Thatcher unter Druck setzte.

In der britischen Presse wurde auch ein Baby of the House ausgerufen, also das jüngste Parlamentsmitglied als solches bezeichnet. Seit der Wahl im Dezember 2019 ist das die damals 23-jährige Nadia Whittome von der Labour Party, die den Wahlkreis Nottingham East vertritt und sich vor ihrer Parlamentszugehörigkeit als linksorientierte Politikerin für den Verbleib Großbritanniens in der EU einen Namen machte.

Literatur

  • Kim E. Beazley: Father of the House: The Memoirs of Kim E. Beazley, Fremantle 2009
  • Imogen Groome: What does Father of the House of Commons mean and who is the new one? in: Metro, 27. Februar 2017
  • John Parker: Father of the House: Fifty Years in Politics, Abingdon 1982

Einzelnachweise

  1. Paul Seaward: The Origins of a Father of the House abgerufen am 23. Oktober 2019
  2. Paul Seaward: The Origins of a Father of the House abgerufen am 23. Oktober 2019
  3. Paul Seaward: The Origins of a Father of the House abgerufen am 23. Oktober 2019
  4. The Literary Panorama, Band 12, Sp. 1079
  5. The Gentleman's Magazine, and Historical Chronicle, for the Year 1822, Band 92, S. 278
  6. Tolhurst, Alain: ELECTION 2019: All the big names who lost their seats as Boris Johnson sweeps to victory. PoliticsHome, 13. Dezember 2019, abgerufen am 13. Dezember 2019 (englisch).
  7. Emma Crewe: The House of Commons: An Anthropology of MPs at Work, London 2015, S. 43
  8. Gaby Hinsliff: Nadia Whittome, Britain’s youngest MP, on race, Rees-Mogg – and taking a massive pay cut abgerufen am 24. Januar 2020
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