Das Faustprojekt ist ein Projekt für Schulen auf Basis des Originaltextes von Goethes Faust 1 und Faust 2. Trägerin des Projekts ist die Fondazione L’Unione Europea Berlin, die bereits das Nonoprojekt als gemeinnütziges Unterrichtsprojekt für Schulen in Europa entwickelt hat.
Redaktionsteam
Verantwortlich für die Entwicklung des Faustprojekts und die redaktionelle Bearbeitung der Faustadaption ist ein Autorenteam von Incontri Europei.
Die deutsche Fassung
Zielvorgabe war die Erstellung eines Textes, der Schulen die Befassung mit den beiden Teilen von Goethes Faust 1 und 2 auf Basis des Originaltextes erlaubt und erleichtert, der zugleich aber auch schulinterne Aufführungen im Format eines Kammerspiels ermöglicht. Ausgewählt wurden durch das Redaktionsteam insgesamt 21 Textpassagen: aus Faust Teil 2 jeweils eine Passage aus jedem der fünf Akte, aus Faust Teil 1 mehrere Passagen bis zu der Kerkerszene.
Das Autorenteam verständigte sich auf das Prinzip, in der Reihenfolge der ausgewählten Szenen exakt den Goethe-Text widerzuspiegeln und die Geschichte von Goethes Faust vom Ende her zu erzählen. Prinzip war, die ausgewählten Teile aus dem Text Goethes in einer umgekehrten Reihenfolge anzuordnen und diese Umkehrung stringent einzuhalten, also dabei nicht zu springen, den Text Goethes nicht als Steinbruch zu benutzen und auch nicht etwa modernistisch willkürlich in Form einer neugeformten Collage abzubilden. So beginnt die neue Fassung mit einem Zitat von Mephisto aus Akt 5 von Faust Teil 2, das gleichsam das Motto zu dieser modernen Faustversion bildet:
„Chor Es ist vorbei.
Mephisto Vorbei! ein dummes Wort. Warum vorbei? Vorbei und reines Nicht, vollkommnes Einerlei! Was soll uns denn das ew’ge Schaffen! Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen! Da ist’s vorbei.Was ist daran zu lesen? Es ist so gut, als wär’ es nicht gewesen. Und treibt sich doch im Kreis, als wenn es wäre. Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere“
Die Folge mit den Vier Grauen aus Faust Teil 2 erscheint als zweite Sequenz. Der Prolog wiederum aus Faust Teil 1 mutierte zur vorletzten Folge. Mit den beiden letzten Zeilen aus der Zueignung vom Anfang von Faust Teil 1 endet die neue Faustversion:
„Was ich besitze, seh ich wie im Weiten, und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.“
Die Sequenzen und Textpassagen, neu angeordnet in dieser gedrehten Form, ergeben in der Spielabfolge einen neuen eigenen Sinn. Der umgedrehte Faust ist als ein Fünf-Personen-Stück (Faust, Mephisto, Margarete, Marthe, Valentin) ein Kammerspiel, das ohne Pause in eineinhalb Stunden – auch szenisch – an Schulen aufführbar ist. Inhaltlich wird durch die umgekehrte Abfolge der Passagen in dieser Faust-Version erreicht, dass Margarete am Leben bleibt und daher zusammen mit Marthe gegenüber dem Männerduo Faust & Mephisto bis zum Ende einen Counterpart spielen kann.
Die französische Fassung
Der vorliegende deutsche Text Die Farben des Schachs wurde in einem weiteren Arbeitsschritt von dem Autorenteam auch in französischer Sprache erarbeitet – Titel: Les Cahiers de Perséphone, wobei sich die Autoren an die Übersetzung durch Gérard de Nerval hielten, die 1827 erschienen ist, und die für Jugendliche heute geeigneter erscheint als die neuere Übersetzung durch Jean Lacoste und Jacques Le Rider Éditions Bartillat aus dem Jahr 2009.
Editionen und Widmung
Die gedruckten Ausgaben für das Faustprojekt sind dokumentiert als deutsche Fassung mit dem Titel Die Farben des Schachs sowie als französische Fassung mit dem Titel Les Cahiers de Perséphone – beide in der Edition der Fondazione L’Unione Europea Berlin. Die Editionen zum Faustprojekt sind dem Berliner Kunstförderer Peter Raue gewidmet, einem der maßgeblichen Weggefährten des Nonoprojekts der Stiftung.
Das Faustische
Goethe hat mit Faust I und II ein Vermächtnis der Unausweichlichkeit des Weges der Menschheit in die Apokalypse hinterlassen – im Namen der Weimarer Klassik als Referenzrahmen für nachfolgende Generationen. Jeder, der sich mit Goethes Faust und dem Fauststoff auseinandersetzt, ist mit dem facettenreichen Begriff des Faustischen konfrontiert, der zum einen von Goethes Werk geprägt ist, und der zum anderen aber auch seine fatalen Wurzeln und seine folgenreichen zerstörerischen Auswirkungen in der deutschen Geschichte findet. Goethes Faust ist das Drama einer immerwährenden Dystopie, ein zukunftspessimistisches Szenario in der rückwärtsgewandten Prägung der Weimarer Klassik.
Vor diesem Hintergrund ist die Initiative für das Faustprojekt durch die Fondazione L’Unione Europea Berlin als eine Aufforderung zu verstehen, das Faustische aus der eigenen Lebensplanung zu streichen und dennoch zugleich in einem überschaubaren Zeitrahmen die Problematik des komplexen Werks von Goethes Faust I und II zu erfassen. Entsprechend heißt es im Vorwort zu den Editionen Die Farben des Schachs und Les Cahiers de Perséphone:
„In einer mündlichen Überlieferung aus dem Reisegepäck eines Weisen heißt es, die Leerheit sei frei von allem, auch von der Leerheit selber – ausgenommen die Liebe, obgleich auch diese frei ist von inhärenter Existenz. Diese Zuordnung aus der Perspektive der Weisheit, die eine Einheit von Leerheit und Liebe ist, scheint es wert zu sein, dass man darüber sorgfältig nachdenkt. Vielleicht könnten dadurch viele Missverständnisse, die Goethe mit seinen längeren Traktaten in Faust I und II hinterlassen hat, verstanden und beseitigt werden.“
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Titel der Faustadaption: Die Farben des Schachs
- ↑ Pedro Alcalde, Barcelona | Vereina Folcher, Orsay | Jürgen Petzinger, Berlin | Stefan Sander, Berlin – Lektorat: Karsten Evers, Baden-Baden
- ↑ Incontri Europei ist die Stifterin der Fondazione L’Unione Europea Berlin
- ↑ Interessant ist, dass Gérard de Nerval, der maßgebliche französische Übersetzer von Goethes Faust Teil 1 und Teil 2, genau mit dieser Textstelle und dem Zitat von Mephisto seinen Faust 2 beendet und somit den französischen Zuschauer und Leser offensichtlich zur Reflexion über das Ewig-Leere anregen möchte – vgl. Gérard de Nerval, Les deux Faust de Goethe Librairie Ancienne Honoré Champion Paris 1932, p. 495 (Zitat: MÉPHISTOPHÉLÈS Passé ! Un mot inepte. Pourquoi passé ! Ce qui est passé et le pur néant, n’est-ce pas la même chose ? Que nous veut donc cette éternelle création, si tout ce qui fut créé va s’engloutir dans le néant ! C’est passé ! Que faut-il lire à ce texte ? C’est comme si cela n’avait jamais été ! Et pourtant cela se meut encore dans une certaine région, comme si cela existait. Pourquoi ?... j’aimerais mieux simplement le vide éternel). Goethe dagegen endet seinen Faust 2 mit der Textpassage: Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.
- ↑ Die Farben des Schachs Edition Fondazione L’Unione Europea Berlin 2015, S. 12
- ↑ Die Farben des Schachs Edition Fondazione L’Unione Europea Berlin 2015, S. 131
- ↑ Die Farben des Schachs Edition Fondazione L’Unione Europea Berlin 2015, S. 3
- ↑ Bruno Ganz, der den Faust in der Inszenierung von Peter Stein spielte, in einem Zeitungsinterview Die Welt vom 17. April 1996 – Was ist das Faustische?
- ↑ Die Projektträgerin und das Autorenteam des Faustprojektes verstehen den im Vorwort benutzten Begriff Leerheit im Sinne der Basiskategorie Shunyata der buddhistischen Lehren – in der Tradition von Shantideva und seinem Hauptwerk Bodhicharyavatara sowie von Nagarjuna – mit Hinweis auf den Vers von Nagarjuna: „Es gibt kein Ding, das nicht in Abhängigkeit entstanden ist. Deshalb gibt es kein Ding, das nicht leer ist von Eigenexistenz.“ (ders. in Grundlegende Weisheit des Mittleren Weges, zitiert nach Dalai Lama (Tenzin Gyatso), Weisheit erkennen, mehren und Tag für Tag üben – O.W.Barth / Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 200 – verbunden mit dem kommentierenden Vorwort, S. 7–17, sowie dem Hinweis auf das Zitat: "Auch Leerheit selbst ist leer von eigenständiger Existenz.", S. 55, und auf das Zitat: "Was genau meinen wir damit, wenn wir sagen, die Dinge und Geschehnisse seien leer? Weil die Entstehung aller Dinge und Geschehnisse auf die Ansammlung oder Anhäufung von Ursachen und Bedingungen – auf andere Faktoren als sie selbst – zurückgeht, deshalb sind sie leer: ohne eine eigenständige, unabhängige Natur. Dieses Nichtvorhandensein einer unabhängigen Natur beziehungsweise einer von sich aus bestehenden Realität ist gleichbedeutend mit Leerheit. Würden wir indes annehmen, Leerheit sei eine eigene, von den Dingen und Geschehnissen getrennte ontologische Kategorie, befänden wir uns im Irrtum.", S. 161-162). Wesentlich hierbei ist, nicht einfach nur zu wissen, dass Dinge und Phänomene leer sind, wichtig ist zu wissen und zu erfahren, auf welche Weise sie leer sind. Das Werk von Goethe könnte in diesem Zusammenhang den Schluss nahelegen, es sei eine gültige Quelle zur Erklärung der Dinge und Phänomene im Rahmen der Gesetze des Universums und des menschlichen Lebens. Sein Weltbild, seine Lebensführung sowie seine politische und berufliche Grundhaltung geben erste Hinweise zu berechtigten Zweifeln, die bei genauerer Analyse seiner Texte zeigen, dass Goethe Begriffe wie das Ewig-Leere und Liebe als Momente der Poesie verwendet, die über den Wert einer semantischen Attitüde der dichterischen Tradition von Goethes Zeit nicht hinausweisen.