Friedrich Wilhelm Johann Ignaz Scanzoni, ab 1863 Scanzoni von Lichtenfels (* 21. Dezember 1821 in Prag; † 12. Juni 1891 auf Schloss Zinneberg bei Glonn, Oberbayern), war ein deutscher Gynäkologe und Geburtshelfer.

Leben

Nach seinem 1838 begonnenen medizinischen Studium in Prag, unter anderem bei Anton Johann Jungmann, wurde Scanzoni dort 1844 zum Doktor der Medizin und Chirurgie sowie zum Magister der Geburtshilfe promoviert und war danach Assistent und Sekundärarzt an der dortigen Entbindungsanstalt. Er erhielt später die Leitung der Frauenabteilung des Krankenhauses.

Danach hatte er knapp 40 Jahre lang als Nachfolger von Franz Kiwisch von Rotterau die Leitung der geburtshilflichen Klinik und den Lehrstuhl für Geburtshilfe an der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg inne. König Maximilian II. Joseph erhob ihn am 19. Juni 1863 mit Namensmehrung „von Lichtenfels“ in den erblichen bayerischen Adelsstand.

Dem Ruf Scanzonis folgend ließen viele ausländische Privatpatienten, darunter Mitglieder des russischen Hochadels an der von Scanzoni 1856 ausgebauten, in der 1805 von Adam Elias von Siebold gegründeten und 1857 von der Klinikstraße 6 (dem Welzhaus) in den benachbarten Neubau der Klinikstraße 8 umgezogenen Entbindungsanstalt der Würzburger Universitätsfrauenklinik ihre Kinder entbinden (Dienerschaft und Angehörige nächtigten im Hotel „Russischer Hof“ in der Theaterstraße 1). Er selbst war auch konsiliarisch am russischen Hof tätig. Akademische Rufe nach Berlin, Wien und Baden-Baden lehnte er ab und er blieb in Würzburg. Nach dem Wintersemester 1887/1888 wurde er aus gesundheitlichen Gründen emeritiert und verbrachte seinen Ruhestand auf Schloss Zinneberg in Oberbayern. Max Hofmeier wurde sein Nachfolger.

Nach langer Krankheit starb der Hofrat bzw. Geheimrat Scanzoni und wurde am 14. Juni 1891 zunächst in Zinneberg beerdigt, später wahrscheinlich jedoch exhumiert und in sein heutiges Grabmal nach Würzburg überführt, wo im August 1891 auch seine Ehefrau bestattet wurde.

Nach ihm benannt ist das Scanzoni-Manöver mit Hilfe der von ihm entwickelten Scanzoni-Zange. Einer seiner Schüler in Würzburg war neben Otto von Franqué (1867–1937) in der Zeit von 1867 bis 1870 der spätere namhafte Gynäkologe in New York, Paul Fortunatus Munde (1846–1902), Sohn des Laienhydropathen Carl (Gottlieb) Munde (1805–1887).

Er war zeitlebens ein Gegner der Hygiene-Thesen von Ignaz Semmelweis. Sein entschiedenes Angehen gegen diese und sein hohes Ansehen im damaligen Ärztestand verhinderte somit lange Zeit eine Umsetzung der Semmelweisschen Hygienevorschriften.

Am 27. August 1850 heiratete er in Budweis die 1826 in Schalkhausen bei Ansbach geborene Augusta von Höniger (gestorben am 23. August 1891), mit der er sieben Kinder hatte. Der spätere bayerische General der Artillerie Gustav Scanzoni von Lichtenfels (1855–1924) war (mit seinem Zwillingsbruder) der älteste seiner Söhne.

Ehrungen

Schriften (Auswahl)

  • Gedächtnisrede für Dr. Franz Kiwisch, Ritter von Rotterau. [1851]. In: Berichte der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft zu Würzburg. 1892, Nr. 3.
  • Die geburtshilflichen Operationen. Wien 1852.
  • Über Kindbettfieber. In: Prager Vierteljahrschrift für die practische Heilkunde. 7, 1850, S. 25–33.
  • Beiträge zur Geburtskunde und Gynäkologie. 7 Bände. Würzburg 1854–1873.
  • Lehrbuch der Geburtshilfe. Wien 1867.

Literatur

  • Constantin von Wurzbach: Scanzoni von Lichtenfels, Friedrich Wilhelm. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 29. Theil. Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1875, S. 10 f. (Digitalisat).
  • Franz von Winckel: Scanzoni von Lichtenfels, Friedrich Wilhelm. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 53, Duncker & Humblot, Leipzig 1907, S. 724–726.
  • Scanzōni von Lichtenfels, Friedrich Wilhelm. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Band 17, Bibliographisches Institut, Leipzig/Wien 1909, S. 657.
  • Charlotte Hartmann: Das Leben und Wirken des Würzburger Frauenarztes Friedrich Wilhelm Scanzoni von Lichtenfels (= Düsseldorfer Arbeiten zur Geschichte der Medizin. Band 2). Nolte, Düsseldorf 1938.
  • Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 596–607.
  • P. Reuss: Bericht über die Ereignisse auf der unter der Leitung des Geh.-R. von Scanzoni stehenden geburtshilflichen Klinik zu Würzburg in der Zeit v. 1. Nov. 1863 bis 1. Jan. 1873. Mit einem statistischen Anhange. In: Beiträge zur Geburtskunde und Gynaekologie. Band 7, 1873, S. 303 ff.
  • Thomas Sauer, Ralf Vollmuth: Briefe von Mitgliedern der Würzburger Medizinischen Fakultät im Nachlaß Anton Rulands. Quellen zur Geschichte der Medizin im 19. Jahrhundert mit Kurzbiographien. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 9, 1991, S. 135–206; hier: S. 175 f.
  • Thomas Sauer, Ralf Vollmuth: Friedrich Wilhelm Scanzoni von Lichtenfels (21.12.1821–12.6.1891): Zum hundertsten Todestag. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 10, 1992, S. 53–79.
  • Ralf Vollmuth, Thomas Sauer: Das Grabmal Friedrich Wilhelm Scanzonis von Lichtenfels. Anmerkungen zu einer ungelösten Frage. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 13, 1995, S. 521–524.
  • Rald Vollmuth: Scanzoni von Lichtenfels, Friedrich Wilhelm. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Walter de Gruyter, Berlin und New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1287.
  • Gundolf Keil: Scanzoni von Lichtenfels, Friedrich Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 483 f. (Digitalisat).
  • Gerhard Wulz: Ehrenbecher für Scanzoni. In: Saale-Zeitung. vom 4. April 2006.
Commons: Friedrich Wilhelm Scanzoni von Lichtenfels – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Briefadeligen Häuser. 1910. Vierter Jahrgang, Justus Perthes, Gotha 1909, S. 669.
  2. Ute Felbor: Rassenbiologie und Vererbungswissenschaft in der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg 1937–1945. Königshausen & Neumann, Würzburg 1995, ISBN 3-88479-932-0 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Beiheft 3.) – Zugleich: Dissertation Würzburg 1995), S. 16–20.
  3. Richard Kraemer: Würzburger Mediziner vor 50 Jahren. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 5, 1987, S. 165–172; hier: S. 167.
  4. Ralf Vollmuth, Thomas Sauer: Er behandelte die russische Kaiserin. Großer Gynäkologe Scanzoni starb 1891. In: Main-Post. Band 47, Nr. 133 vom 12. Juni 1991, S. 15.
  5. Gedenkrede für den †Geheimrat und Universitäts-Professor Dr. Friedrich Wilhelm Scanzoni v. Lichtenfels. Gehalten in der feierlichen Sitzung der physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg am 11. März 1892 von Dr. Wilhelm Nieberding. Stahel, Würzburg 1892.
  6. Ralf Vollmuth, Thomas Sauer: Das Grabmal Friedrich Wilhelm Scanzonis von Lichtenfels. Anmerkungen zu einer ungelösten Frage. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 13, 1995, S. 521–524.
  7. Antonia Djakovic, Johannes Dietl: Semmelweis und Scanzoni: „Herr Hofrath hatte 13 Jahre lang recht, weil ich 13 Jahre lang schwieg“ Dtsch Arztebl 2006, 103(42), S. A-2774 (online).
  8. Hof- und Staatshandbuch des Großherzogtums Hessen. 1865, S. 112.
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