George Boleyn, Viscount Rochford (* um 1504 in Blickling Hall, Aylsham; † 17. Mai 1536 auf Tower Hill, London), war ein englischer Diplomat und der Bruder von Königin Anne Boleyn. Während seine Schwester Königin war, genoss er die Gunst König Heinrichs VIII., der ihn adelte. George Boleyn war bekannt für seine Belesenheit und sein Interesse am gerade erst entstehenden Protestantismus und diente dem König auf mehreren diplomatischen Reisen nach Frankreich.
Im Frühjahr 1536 wurde er des Inzests mit seiner Schwester Anne angeklagt und zusammen mit ihr und einigen anderen angeblichen Liebhabern hingerichtet.
Herkunft und frühe Jahre
George Boleyn wurde um 1504 als einziger überlebender Sohn des Thomas Boleyn und der Elizabeth Howard geboren. Sein Vater entstammte dem niederen Adel, seine Mutter dagegen gehörte als älteste Tochter des Thomas Howard, 1. Earl of Surrey (später 2. Duke of Norfolk) dem Hochadel an. George war vermutlich das jüngste Kind der Familie nach den Schwestern Anne und Mary Boleyn. Über George Boleyns Kindheit und Jugend ist nur wenig bekannt. Man weiß, dass er eine ausgezeichnete Bildung erhalten haben muss, die jedoch weit weniger gut dokumentiert ist als die seiner Schwester Anne. So soll er an der Universität Oxford studiert haben, wofür es allerdings keine dokumentarischen Nachweise gibt. Es steht jedoch fest, dass er ein intelligenter, gebildeter Mann war, der Latein und Französisch beherrschte, sich als Dichter und Übersetzer betätigte und Freude an religiösen und politischen Debatten hatte. Nach seiner Ausbildung wurde er an den Hof geschickt, wo er erstmals 1514 als Teilnehmer bei den Weihnachtsfeierlichkeiten erwähnt wird und 1516 königlicher Page Heinrichs VIII. wurde.
Karriere und Leben bei Hofe
George Boleyn gehörte schon als junger Mann dem Hofstaat Heinrichs VIII. an. 1526 hatte er das Hofamt des Mundschenks (Cupbearer) inne, 1527 wurde er Gentleman of the Privy Chamber, 1528 Mitglied der Leibwache (Esquire of the Body) sowie königlicher Jagdhundeführer (Master of the Buckhounds). Spätestens im Oktober 1528 schlug ihn der König zum Knight Bachelor und sandte ihn ab Dezember 1529 mehrmals auf diplomatische Missionen nach Frankreich (1529, 1530, 1533 und 1534). Da er noch sehr jung für diese Aufgabe war, wurde gemunkelt, dass er nur durch Protektion seiner Schwester den Posten erhielt. Vor dem 13. Juli 1530 berief ihn der König erstmals durch Writ of Summons zur nächsten Sitzung des House of Lords ein, wodurch ihm der erbliche Titel Baron Rochford verliehen wurde. Statt der Anrede mit dem Baronstitel verwendete George gleichwohl den höherrangigen Höflichkeitstitel Viscount Rochford, der ihm als Heir apparent seines Vaters zustand, seit dieser am 8. Dezember 1529 zum Earl of Wiltshire erhoben worden war. 1534 wurde er Lord Warden of the Cinque Ports.
Verurteilung und Hinrichtung
Er hatte spätestens 1526 Jane Parker (um 1510–1542) geheiratet, die Ehe verlief jedoch unglücklich. Daraus entstanden Gerüchte über eine angebliche Homosexualität George Boleyns. Es ist möglich, dass Jane aus Eifersucht und Enttäuschung über die lieblose Ehe diese Behauptung in die Welt setzte, denn bei Hof hatte Boleyn durchaus den Ruf eines Frauenhelden.
Als seine Schwester Anne bei König Heinrich VIII. in Ungnade fiel, hatte das auch für George Boleyn weitreichende Konsequenzen. Am 2. Mai 1536 wurde er verhaftet und neben vier weiteren Beschuldigten des Ehebruchs angeklagt – er soll mit seiner Schwester eine inzestuöse Beziehung gehabt haben. Der Vater Thomas Boleyn beteiligte sich an den Anschuldigungen gegen seine eigenen Kinder, wohl um nicht selbst in Ungnade zu fallen. Auch Jane belastete die Geschwister und unterstellte ihnen eine sexuelle Beziehung. Aus heutiger Sicht scheint es erwiesen, dass der angebliche Inzest erfunden wurde, um eine sichere Verurteilung zu erreichen. George Boleyn stand am 15. Mai 1536, nur wenige Stunden nach der Aburteilung seiner Schwester, vor Gericht. Er wurde geächtet, wodurch er alle Titel und Würden verlor, und sein Todesurteil wurde am 17. Mai auf Tower Hill in London durch Enthauptung vollstreckt. Seine Schwester Anne Boleyn starb zwei Tage nach ihm. Von George Boleyn sind keine Abbildungen erhalten, es wird vermutet, dass diese nach seiner Hinrichtung zerstört wurden.
Die Anschuldigungen gegen die Geschwister Boleyn wurden bereits von Zeitgenossen in Zweifel gezogen. Doch sie enthielten auch eine religiöse Komponente: Da George Boleyn bekennender Protestant war, wurde er von konservativen katholischen Kreisen noch lange Zeit als Verbrecher betrachtet.
Vorfahren
16. Sir Thomas Boleyn | ||||||||||||||||
8. Sir Geoffrey Boleyn (1406–1463) | ||||||||||||||||
17. Anne Bracton | ||||||||||||||||
4. Sir William Boleyn (1451–1505) | ||||||||||||||||
18. Thomas Hoo, 1. Baron Hoo (um 1396–1455) | ||||||||||||||||
9. Ann Hoo (um 1425–um 1484) | ||||||||||||||||
19. Elizabeth Wychingham | ||||||||||||||||
2. Thomas Boleyn, 1. Earl of Wiltshire (1477–1538/9) | ||||||||||||||||
20. James Butler, 4. Earl of Ormonde (1392–1452) | ||||||||||||||||
10. Thomas Butler, 7. Earl of Ormonde (um 1426–1515) | ||||||||||||||||
21. Joan Beauchamp (1396–1430) | ||||||||||||||||
5. Margaret Butler (um 1454–1539/1540) | ||||||||||||||||
22. Sir Richard Hankford (1397–1431) | ||||||||||||||||
11. Anne Hankford (um 1431–1485) | ||||||||||||||||
23. Lady Anne de Montagu (1400–1457) | ||||||||||||||||
1. George Boleyn (um 1504–1536) | ||||||||||||||||
24. Sir Robert Howard (1385–1436) | ||||||||||||||||
12. John Howard, 1. Duke of Norfolk (1425–1485) | ||||||||||||||||
25. Lady Margaret Mowbray | ||||||||||||||||
6. Thomas Howard, 2. Duke of Norfolk (1443–1524) | ||||||||||||||||
26. Sir William de Moleyns (1378–1425) | ||||||||||||||||
13. Catherine Moleyns (1424–1465) | ||||||||||||||||
27. Marjery Whalesborough († 1438) | ||||||||||||||||
3. Lady Elizabeth Howard (1480–1538) | ||||||||||||||||
28. Sir Philip Tilney († um 1453) | ||||||||||||||||
14. Sir Frederick Tilney | ||||||||||||||||
29. Isabel Thorp († 1436) | ||||||||||||||||
7. Elizabeth Tilney (vor 1445–1497) | ||||||||||||||||
30. Sir Lawrence Cheney (um 1396–1461) | ||||||||||||||||
15. Elizabeth Cheney (1422–1473) | ||||||||||||||||
31. Elizabeth Cokayne | ||||||||||||||||
Literatur
- Joseph S. Block: Boleyn, George, Viscount Rochford (c. 1504–1536). In: Henry Colin Gray Matthew, Brian Harrison (Hrsg.): Oxford Dictionary of National Biography, from the earliest times to the year 2000 (ODNB). Band 6: Blackmore–Bowyer. Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-861356-3 (oxforddnb.com Lizenz erforderlich), Stand: 23. September 2004.
- David Starkey: Six Wives: The Queens of Henry VIII. Harper Perennial, 2004, ISBN 0-06-000550-5.
- Eric Ives: The Life and Death of Anne Boleyn. Blackwell Publishing Professional, 2005, ISBN 1-4051-3463-1.
Weblinks
- Wiltshire, Earl of (E, 1529–1539) (Memento vom 3. Oktober 2022 im Internet Archive) bei Cracroft’s Peerage (englisch)
- George Rochford Boleyn, 1st and last Lord Rochford auf thepeerage.com
- George Boleyn, Lord Rochford bei theanneboleynfiles.com (englisch)
- George Boleyn - Our Royal, Titled, Noble, and Commoner Ancestors & Cousins (englisch)
Einzelnachweise
- 1 2 3 ODNB
- ↑ Starkey: Six Wives. S. 110
- ↑ Starkey: Six Wives. S. 258
- ↑ Rochford. In: George Edward Cokayne, Geoffrey H. White (Hrsg.): The Complete Peerage. Band 11: Rickerton to Sisonby. The St. Catherine Press, London 1949, S. 51.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Titel neu geschaffen | Baron Rochford 1533–1536 | Titel verwirkt |