Giorgio Strehler (* 14. August 1921 in Triest; † 25. Dezember 1997 in Lugano) war ein italienischer Regisseur und Politiker.
Strehler gehörte zu den berühmtesten Theaterregisseuren Europas. In seinem Mailänder Piccolo Teatro schuf er herausragende Bertolt-Brecht- und William-Shakespeare-Interpretationen, die ihn auf eine Stufe mit Peter Brook und Peter Stein in der europäischen Theatergeschichte stellten.
Leben
Anfänge
Strehler war der Sohn von Bruno Strehler, Triestiner mit Wiener Wurzeln, und Alberta Lovrič, gebürtige Kroatin aus Zadar. Strehler lebte während des Zweiten Weltkriegs in der Emigration in der Schweiz. Dort begann er mit dem Theater. Er gründete in Genf mit anderen Exilanten aus verschiedensten Ländern die Theatergruppe Compagnie des Masques. Seine erste Inszenierung als Regisseur war Mord im Dom von T. S. Eliot und die zweite Caligula, ein mäßiges Debütstück von Albert Camus. Beide Inszenierungen entstanden noch in der Schweiz. Giorgio Strehler verstarb am 25. Dezember 1997 in Lugano im Alter von 76 Jahren.
Italien
Nach dem Krieg ging er zurück nach Italien und fuhr mit seiner Theaterarbeit fort. Seine erste Inszenierung in Italien war Trauer muß Elektra tragen von Eugene O’Neill. Seine ersten Arbeiten sind vom Neo-Realismus des italienischen Films geprägt, vor allem durch die Filme von Roberto Rossellini und Vittorio De Sica. Zum zehnten Todestag von Maxim Gorki inszenierte Strehler als freie Produktion Die Kleinbürger. Die Schauspielertruppe wurde von Paolo Grassi organisiert und bildete wenig später den Kern für die Gründung des Piccolo Teatro. Es war das erste ständige Sprechtheater in Italien.
Bereits Mitte der 1950er Jahre bereiste das Ensemble ganz Europa und entwickelte sich zum kulturellen Exportschlager Italiens. Vor allem Strehlers Beschäftigung mit der Commedia dell’arte wurde als beispielhaft angesehen. Seine Inszenierung von Carlo Goldonis Diener zweier Herren gilt als eines der theatralischen Meisterwerke des 20. Jahrhunderts und wird bis heute regelmäßig am Piccolo Teatro wiederaufgenommen. Dieser Erfolg wurde nur möglich durch die Zusammenarbeit mit Amleto Sartori, einem Bildhauer, der sich von da an ganz der Fertigung der Theatermaske widmete, und Strehlers Forschen nach den besonderen „Bewegungen“ der Commedia dell’arte.
Seit den späten 1950er Jahren arbeitete Strehler vorwiegend mit dem Bühnen- und Kostümbildner Luciano Damiani zusammen. Diesem Team gelangen international gefeierte Inszenierungen, etwa 1963 Bertolt Brechts Leben des Galilei oder 1964 Carlo Goldonis Le baruffe chiozzote (Viel Lärm in Chiozza). Ende der 1960er kam es zu künstlerischen Differenzen, weswegen Strehler nun verstärkt auf Damianis Schüler Ezio Frigerio zurückgriff, der als ständiger Partner vor allem in den späten Jahren fungierte.
Internationale Tätigkeit
Strehler inszenierte in vielen Theatern Europas. Für die Salzburger Festspiele erarbeitete er 1973 in der Felsenreitschule eine mit Das Spiel der Mächtigen betitelte Fassung von William Shakespeares Königsdrama über Heinrich VI., (musikalische Leitung: Peter Ewaldt, mit Andrea Jonasson, Michael Heltau, Will Quadflieg u. a.). Am Wiener Burgtheater erarbeitete er 1974 Carlo Goldonis Trilogie der Sommerfrische (Bühnenbild, Kostüme: Frigerio; mit Heltau, Jonasson, Susi Nicoletti u. a.) sowie 1975 erneut Das Spiel der Mächtigen. Seine Dreigroschenoper in Paris (Bühnenbild Frigerio) hatte Mitte der 1980er Jahre großen Erfolg. Mit einem internationalen Ensemble, darunter Michael Heltau als Mackie Messer, Milva als Seeräuber-Jenny, Barbara Sukowa als Polly und Yves Robert als Mr. Peachum, schuf er eine sehr positiv aufgenommene Aufführung. 1994 kehrt er noch einmal an das Burgtheater – als dessen Direktor er wiederholt im Gespräch gewesen war – zurück, um Luigi Pirandellos Die Riesen vom Berge (Bühnenbild Frigerio, Kostüme Franca Squarciapino) aufzuführen.
Opernregie
Auch als Opernregisseur war er an allen wichtigen Opernhäusern der Welt tätig, vor allem an der Mailänder Scala, wo er bereits in den späten 1940er Jahren erstmals inszeniert hatte und wohin er immer wieder zurückkehrte. Dort gestaltete er beispielsweise 1971 Giuseppe Verdis Simon Boccanegra in einer von Kritik und Publikum heftig akklamierten Inszenierung (Bühnenbild, Kostüme: Frigerio; Dirigent Claudio Abbado), 1975 Verdis Macbeth (Bühnenbild, Kostüme: Damiani; Dirigent Abbado) oder 1980 Wolfgang Amadeus Mozarts Le nozze di Figaro (Bühnenbild: Frigerio, Kostüme Squarciapino; Dirigent Riccardo Muti). Der große internationale Durchbruch als Operninszenator fand jedoch 1965 bei den Salzburger Festspielen mit einer sehr bald als maßstabsetzend eingeschätzten Gestaltung von Mozarts Die Entführung aus dem Serail statt (Bühnenbild, Kostüme: Damiani; Dirigent Zubin Mehta; mit Fritz Wunderlich, Anneliese Rothenberger, Fernando Corena und Michael Heltau als Bassa Selim). 1974 führte er in Salzburg bei Mozarts Die Zauberflöte Regie (Bühnenbild, Kostüme: Damiani; Dirigent Herbert von Karajan), die jedoch weniger glücklich ausfiel, nicht zuletzt aus musikalischen Gründen und wegen der enormen Dimensionen des Großen Festspielhauses. Im Streit vor allem mit Karajan beendete Strehler deshalb seine Zusammenarbeit mit den Festspielen, mit denen er eine intensive Kooperation geplant hatte (u. a. eine Inszenierung von Mozarts Don Giovanni). Spätere Versuche, Strehler wieder nach Salzburg zu bringen, scheiterten. Seinen nun schon legendären Simon Boccanegra brachte Strehler 1978 nach Paris, und an der Wiener Staatsoper widmete er sich 1984 dieser Verdi-Oper ein letztes Mal.
Strehler unterrichtete auch am Max-Reinhardt-Seminar in Wien als Gastdozent.
Strehler starb Weihnachten 1997 an einem Herzinfarkt. Seine letzte geplante Inszenierung, Mozarts Così fan tutte konnte er nicht mehr vollenden, es blieb bei insgesamt elf Probentagen. Die Aufführung wurde von Strehlers Mitarbeitern (u. a. Bühnenbildner Frigerio) fertiggestellt. Strehler war mit der deutschen Schauspielerin Andrea Jonasson verheiratet.
Politik
In den Jahren 1983 und 1984 war Strehler, nachdem er für Bettino Craxi nachgerückt war, Mitglied des Europäischen Parlaments. 1987 wurde er in den Senato della Repubblica gewählt.
Privates
Strehler trennte seine künstlerische Tätigkeit nicht von seinem Privatleben. 1973 hatte er in Salzburg Andrea Jonasson kennengelernt, die er 1981 heiratete. Die oftmals stürmische Ehe wurde nicht geschieden, aber in den letzten Lebensjahren Strehlers trennten sich die beiden. Als Strehler 1997 starb, gab es einen komplizierten Erbschaftsstreit zwischen Mara Bugni, Strehlers damaliger Partnerin seit acht Jahren, und Andrea Jonasson, seiner rechtmäßigen Witwe.
Auszeichnungen und Ehrungen
- 1956: Wahl zum Mitglied der Ostberliner Akademie der Künste
- 1971 Hansischer Goethe-Preis
- 1976: Wahl zum Mitglied der Westberliner Akademie der Künste
- 1990: Europäischer Theaterpreis
- 1993: Wahl zum Mitglied der American Academy of Arts and Sciences
Literatur
- Françoise Dubor: Giorgio Strehler. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz – Dictionnaire du théâtre en Suisse. Band 3, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 1767 f. (französisch)
Weblinks
- Fotos, Videos, Bühnenbildentwürfe, Plakate, Dokumente zu Strehlers Inszenierungen im Archiv des Piccolo Teatro
- Omaggio a Giorgio Strehler (italienisch) auf lanostrastoria.ch/entries/
- Strehler il mago dei prodigi (italienisch) auf lanostrastoria.ch/entries/
- Literatur von und über Giorgio Strehler im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Giorgio Strehler in der Internet Movie Database (englisch)
- Giorgio Strehler in der Abgeordneten-Datenbank des Europäischen Parlaments
Einzelnachweise
- ↑ https://tspace.library.utoronto.ca/bitstream/1807/70086/3/Houle_Gabrielle_201311_PhD_thesis.pdf
- ↑ La scuola del Piccolo Teatro di Milano auf lanostrastoria.ch/entries/
- ↑ Programme detail: Giorgio Strehler – Das Spiel der Mächtigen I. In: Salzburg Festival Archive. Abgerufen am 1. Februar 2019.
- ↑ Dietmar Polaczek: Witwenstreit um Strehlers Nachlaß, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton, 9. Januar 1998
- ↑ dp (Dietmar Polaczek): Opus postumum - Strehlers Nachlaß, ein Zankapfel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton, 12. Januar 1998
- ↑ Wolfgang David: Das Duell der Witwen. In: Die Zeit, Kultur. Die Zeit Verlagsgruppe, 23. Januar 1998, abgerufen am 11. April 2020.