Das Graßmannsche Gesetz (auch: Aspiratendissimilationsgesetz) ist eine von dem Mathematiker und Sprachwissenschaftler Hermann Graßmann (1809–1877) für die indogermanische Sprachwissenschaft 1863 nachgewiesene phonetische Dissimilationsregel.

Aussagen

Das Gesetz gilt für das Altindoarische sowie für das Altgriechische und besagt: Bei einer mittelbaren Aufeinanderfolge zweier aspirierter Verschlusslaute verliert der erste die Behauchung.

Die Regel zeigt sich vor allem bei der Reduplikation von Verbalwurzeln. Von ved. dhā- (3. Klasse) z. B. lautet der Präsensstamm nicht *dhá-dhā-mi (1. Person Singular), sondern dádhāmi. Im Altgriechischen betrifft die Regel die Tenues (tonlosen) aspiratae θ th, φ ph, χ kh sowie h (spiritus asper). Die bis auf den Reduplikationsvokal dem vedischen Beispiel entsprechende Form lautet τί-θη-μι, tí-thē-mi ‘ich setze’ entstanden aus *θί-θη-μι, thí-thē-mi. Auch das Präsens ἔχω, ékhō ‘ich habe’ hat so sein älteres anlautendes h verloren, *ἕχω, hékhō. Erhalten geblieben ist h jedoch im Futur ἕξω, héxō ‘ich werde haben’ aus *hékhsō, weil das aus *khs entstandene ξ, x unbehaucht und somit die Graßmannsche Bedingung nicht erfüllt ist. Die indische und die griechische Aspiratendissimilation haben unabhängig voneinander stattgefunden, im Griechischen erst nach dem Übergang von *dh, *bh, *gh > th, ph, kh.

Beispiele aus dem Altgriechischen

  • θάπτω (Stamm: θαφτ-) (ich begrabe; Präs.) vs. τάφην (ich wurde begraben, Aorist)
  • φεύγω (ich fliehe; Präs.) vs. πέφευγα (ich bin geflohen, Perfekt)

Siehe auch

Literatur

  • Neville Edgar Collinge: The laws of Indo-European. Amsterdam [usw.] 1985, ISBN 90-272-2102-2, S. 47–61: Grassmann’s law.
  • Jerzy Kurylowicz (Begr.): Indogermanische Grammatik. I,2: Lautlehre. Heidelberg 1986, ISBN 3-533-03487-9, S. 112 ff.
  • Manfred Mayrhofer: Sanskrit-Grammatik mit sprachvergleichenden Erläuterungen. 3. Aufl. Berlin, New York 1978 (Sammlung Göschen 2207), ISBN 3-11-007177-0, §30,2.
  • Michael Meier-Brügger: Indogermanische Sprachwissenschaft. 8. Aufl. Berlin 2002, ISBN 3-11-017243-7, L348.
  • Sergej Romaschko: Aus dem Leben eines Lautgesetzes. Das Grassmann’sche Gesetz, sein Ursprung und sein Schicksal. Historiographia Linguistica 27 (2000), S. 1–22.
  • Harald Wiese: Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache. Wie die Indogermanistik unsere Wörter erklärt. Logos Verlag Berlin, 2007, ISBN 978-3-8325-1601-7.

Einzelnachweise

  1. Ueber die aspiraten und ihr gleichzeitiges vorhandensein im an- und auslaute von wurzeln. Ueber das urspruengliche vorhandensein von wurzeln, deren anlaut und auslaut eine aspirate enthielt. In: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung. Band 12, 1863, S. 81––109, 110–138.
  2. Siehe: Alexander Lubotsky: A Ṛgvedic word concordance. Part 1: A-N. New Haven 1997, S. 740, ISBN 0-940490-12-9.
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