Der Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha schwelt seit den 1950er-Jahren und wurde teilweise mit Waffengewalt geführt. In der Auseinandersetzung geht es vor allem um den Tempel Prasat Preah Vihear, einen aufgegebenen hinduistischen Tempel der Khmer aus dem 10. bis 12. Jahrhundert, und das umliegende Gelände. Der von der UNESCO als Weltkulturerbe gelistete Tempel selbst sowie das umliegende Gebiet, das den Zugang zum Tempel ermöglicht, wird von beiden Staaten beansprucht.

Chronologie

19. Jahrhundert

  • 1833–1846: Siamesisch-Vietnamesischer Krieg. Siam erhält die Oberherrschaft über Kambodscha. Während der Regierungszeit von König Phra Nang Klao (Rama III.) und König Mongkut (Rama IV.) werden die kambodschanischen Könige von den Thai-Königen gekrönt.
  • 1861: Frankreich regiert über Saigon und Südvietnam und zeigt Interesse an Kambodscha.
  • 7. Dezember 1863: Ein Vertrag zwischen Siam und Kambodscha wird unterzeichnet, in dem die Abhängigkeit Kambodschas von Siam festgeschrieben wird.
  • Frankreich lädt Siam zur Krönung von Prinz Norodom ein.
  • 1867: Siam und Frankreich unterzeichnen einen Vertrag, in dem festgelegt wird, dass mit Ausnahme von Siem Reap, Battambang und Sisophon ganz Kambodscha unter französische Protektion kommt.
  • 1893: Frankreich besetzt das Ostufer des Mekong und zwingt Siam, einen Pakt über die Rechtmäßigkeit dieser Inbesitznahme zu unterschreiben.

20. Jahrhundert

  • Februar 1904: Siam und Frankreich unterzeichnen einen Vertrag, in dem sich Siam bereit erklärt, das Gebiet östlich des Mekong und das Land südlich der Dongrek-Berge an Frankreich zurückzugeben. Siam erhält dafür die Provinz Chanthaburi zurück, die Frankreich zuvor besetzt gehalten hat.
  • März 1908: Siam und Frankreich unterzeichnen einen weiteren Vertrag, in dem das Besitzrecht Siams über Siem Reap, Battambang und Sisophon an Frankreich abgetreten wird. Als Ausgleich erhält Siam Dan Sai, Trat und alle Inseln zwischen Laem Ling („Affen-Kap“, nördlich von Ko Chang) und Ko Kut. Trotzdem übt Siam weiterhin Amtsgewalt über Preah Vihear aus, indem es Lizenzen zur Holzgewinnung und Elefantenjagd in jenem Gebiet vergibt.
  • 1929: Prinz Damrong, der „Vater der Archäologie“, besucht verschiedene historische Sehenswürdigkeiten in der Provinz Si Sa Ket. Am Prasat Preah Vihear wird er vom französischen Gouverneur von Kampongthom und einigen uniformierten französischen Beamten begrüßt. Auf dem Tempelgebiet ist eine französische Flagge gehisst. Dieser Vorgang wird später beim Internationalen Gerichtshof als Beweis vorgelegt.
  • 1934: Thailändische Feldmesser beginnen die Grenzen zwischen Siam und Kambodscha zu vermessen, wobei sie den Tempelkomplex auf thailändisches Gebiet legen.
  • 1939: Luang Wichitwathakan, der Generaldirektor des thailändischen „Fine Arts Department“, untersucht die Karte des Gebiets und entdeckt, dass die Grenze entlang eines Baches anstatt auf der Linie der Wasserscheide verläuft. Die Regierung unter Feldmarschall Plaek Phibunsongkhram versucht mit der französischen Regierung von Indochina ein Übereinkommen zu treffen. In einer öffentlichen Bekanntmachung wird am 11. Oktober 1940 das Gebiet rund um den Tempel unter thailändische Protektion gestellt.
  • Oktober 1940: Das „Fine Arts Department“ registriert den Prasat Preah Vihear als „Nationales Historisches Denkmal“. Die thailändische Regierung nimmt offen das Gelände in Besitz und ernennt Luang Sri zum Verwalter, der daraufhin in einer Höhle nahe dem Tempel lebt. (siehe Französisch-Thailändischer Krieg)
  • 1942: Während des Zweiten Weltkriegs verbündet sich Thailand im so genannten „Tokio-Vertrag“ mit Japan und erhält dadurch alles Land zurück, das während der Regierungszeit von König Chulalongkorn (Rama V.) an Frankreich abgetreten werden musste.
  • 1949: Frankreich bringt mit Zustimmung von Kambodscha eine Beschwerdeschrift gegen Thailand vor, in der es darauf besteht, sämtliches thailändisches Personal aus dem Gebiet abzuziehen, da dies rechtmäßig zu Kambodscha gehöre.
  • 1958: Kambodscha bekräftigt mehrfach seine Ansprüche auf Preah Vihear. Das kambodschanische Ministerium für Öffentlichkeitsarbeit veröffentlicht detaillierte juristische Argumente und bezichtigt Thailand der Verdrehung historischer Fakten. Als Beleg wird der Vertrag von 1940 zitiert.
  • August 1958: Die Beziehungen werden so gespannt, dass Thailand in sechs Provinzen entlang der thailändisch-kambodschanischen Grenze Truppen mobilmacht.
  • Dezember 1958: Verhandlungen schlagen fehl, woraufhin Kambodscha seine diplomatischen Beziehungen zu Thailand abbricht.
  • Oktober 1959: Die kambodschanische Regierung ruft den Internationalen Gerichtshof in Den Haag an und verlangt den Abzug thailändischer Truppen aus der Nähe von Preah Vihear und öffentliche Anerkennung des kambodschanischen Besitzanspruches durch Thailand.
  • Dezember 1959: Thailand antwortet mit einer erneuten Bekanntmachung, dass Preah Vihear ein nationales Denkmal sei. Der Disput konzentriert sich nun auf den Vertrag von 1904, in dem die zugehörige Karte nach Angaben von Thailand nicht von der Kommission abgesegnet worden sei. Auf dieser Karte liegt Preah Vihear auf kambodschanischem Gebiet.
  • Juni 1962: Der Internationale Gerichtshof entscheidet mit neun zu drei Stimmen, dass Phreah Vihear auf kambodschanischem Gebiet liegt und dass Thailand nie der Karte von 1904 widersprochen habe.
  • 1970: Die Regierung von Lon Nol nimmt die diplomatischen Beziehungen zu Thailand wieder auf. Preah Vihear wird als Touristen-Attraktion für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
  • 1975: Das Regime der Roten Khmer besetzt Kambodscha, seine Truppen beziehen Stellung in den Dongrek-Bergen. Das Gebiet rund um Preah Vihear wird vermint, noch heute sichtbare Betonbunker werden errichtet.
  • August 1998: Nach dem Sieg über die Rote-Khmer-Truppen öffnet die kambodschanische Regierung den Tempel erneut für den internationalen Tourismus. In den ersten Tagen wird Preah Vihear von bis zu 30.000 Menschen besucht.

21. Jahrhundert

  • 2007: Während einer UNESCO-Konferenz in Christchurch meldet Kambodscha die Bewerbung von Preah Vihear für eine Nominierung zum Weltkulturerbe an.
  • 22. Mai 2008: Bei einem Treffen zwischen thailändischen und kambodschanischen Abgesandten wird im UNESCO-Hauptquartier in Paris vereinbart, die Karte des Gebiets um den Tempel neu zu definieren.
  • 26. Mai 2008: Die thailändische Regierung gibt ihre Unterstützung Kambodschas bei der Bewerbung zum Weltkulturerbe bekannt.
  • 17. Juni 2008: Außenminister Noppadon Pattama stellt eine neue Karte des Gebietes um den Tempel vor, die von Phnom Penh zur Unterstützung der UNESCO-Nominierung gezeichnet wurde. Diese Karte muss nach Artikel 190 der thailändischen Verfassung vom Parlament abgesegnet werden. Kritiker jedoch bezweifeln die Rechtmäßigkeit, da ein Streifen thailändischen Landes nun auf kambodschanischer Seite sei. Sie werfen der Regierung vor, dieses Land im Gegenzug für wirtschaftliche Vorteile abgetreten zu haben.
  • 21. Juni 2008: Die andauernden Proteste der Volksallianz für Demokratie (PAD; „Gelbhemden“) gegen die Verfassungsänderung durch die Regierung von Samak Sundaravej wurden durch den Beschluss des Kabinetts, die Karte offiziell zu bestätigen, erneut angestachelt.
  • 24. Juni 2008: Die kambodschanische Regierung sperrte den Tempel für die Öffentlichkeit. Sie befürchtete, dass sich die thailändischen Proteste über die Grenze ausbreiten.
  • 27. Juni 2008: Die Demokratische Partei und einige Senatoren riefen das thailändische Verfassungsgericht an, den Kabinett-Beschluss vom 17. Juni für ungültig erklären zu lassen.
  • 8. Juli 2008: Die UNESCO ernennt den Tempel zum Weltkulturerbe.
  • 9. Juli 2008: Der Oberste Gerichtshof von Thailand stellt fest, dass das Kommuniqué unterzeichnet von Außenminister Noppadon Pattama und dem kambodschanischen Deputy Prime Minister Sok An gegen die Verfassung verstößt.
  • 10. Juli 2008: Der thailändische Außenminister Noppadon Pattama tritt aufgrund der Anschuldigungen zurück.
  • 15. Juli 2008: Drei Thailänder überschreiten aus Protest die Grenze und betreten die Tempelanlage. Sie werden von kambodschanischen Grenzpolizisten festgenommen. Gerüchte, thailändische Truppen würden daraufhin die Grenze überschreiten, stellen sich als unwahr heraus. Die Demonstranten kommen noch am selben Tag frei. Die kambodschanische und thailändische Armee beginnen in den nächsten Tagen im Umfeld des Tempels jeweils mehrere hundert Soldaten zusammenzuziehen. Die politische Führung will die Situation diplomatisch bei einem Krisentreffen am 21. Juli 2008 klären.
  • 20. Juli 2008: Kambodscha hat Beschwerde bei der UN eingelegt wegen der Stationierung von über 1000 thailändischen Soldaten in unmittelbarer Nähe des Tempels.
  • 21. Juli 2008: Nach einer Umfrage der Suan Dusit Rajabhat University glaubt die Mehrheit der Thais an eine Eskalation des Preah-Vihear-Konflikts.
  • 3. Oktober 2008: Der Streit zwischen Kambodscha und Thailand um den Hindutempel an der gemeinsamen Grenze ist wieder aufgeflammt. Bei einem mehrminütigen Schusswechsel etwa drei Kilometer westlich des Tempels wurden nach Angaben beider Seiten mindestens drei Soldaten verletzt, zwei Thailänder und ein Kambodschaner. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Grenze überschritten zu haben.
  • 16. Oktober 2008: Nachdem am Vortag bei einem erneuten Schusswechsel zwei kambodschanische Soldaten getötet und mehrere Soldaten auf beiden Seiten verletzt wurden, einigen sich beide Staaten auf die Durchführung gemeinsamer Grenzpatrouillen.
  • 3. April 2009: Ein erneuter Schusswechsel bricht aus, bei dem zwei kambodschanische Soldaten ums Leben kommen. Kambodscha wirft den thailändischen Truppen vor, erneut in ihr Territorium einzudringen.
  • 1. Juni 2009: Kambodscha beschuldigt thailändische Soldaten, einen auf kambodschanischem Gebiet liegenden Hügel in der Nähe des Tempels besetzt zu halten, was Thailand abstreitet.
  • 18. Juli 2011: der von Kambodscha angerufene Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag forderte beide Seiten auf, ihre Truppen um Preah Vihear abzuziehen und Beobachter von ASEAN auf das Gelände zu lassen.
  • 18. Juli 2012: beide Länder begannen, ihre Truppen aus dem umstrittenen Gebiet um Preah Vihear abzuziehen. Die insgesamt 900 Soldaten sollen durch die Grenzpolizei ersetzt werden.
  • 11. November 2013: Der Internationale Gerichtshof präzisierte seine Entscheidung von 1962 dahingehend, dass auch die Umgebung um den Tempel vollständig zu Kambodscha gehöre und die Thailänder abziehen müssen.

Siehe auch

Literatur

  • Volker Grabowsky: Der Streit um Preah Vihear und die innenpolitische Debatte in Thailand. In: Orapim Bernart, Holger Warnk: Thailand. Facetten einer südostasiatischen Kultur. Orientierungen Themenheft 2012, Edition global, München 2013, S. 69–101.
  • Jörg Menzel: IGH v. 15.6.1962 – Tempel von Preah Vihear. Von der normativen Kraft fehlerhafter Landkarten und verspäteter Reaktion. In: Menzel u. a.: Völkerrechtsprechung. Mohr Siebeck, Tübingen 2005, S. 131–135
  • Sonja Meyer: Preah Vihear Reloaded – Der Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha. In: Journal of Current Southeast Asian Affairs, Band 28, Nr. 1, 2009, S. 47–68.
  • Sven Mißling: A Legal View of the Case of the Temple Preah Vihear. In: Brigitta Hauser-Schäublin: World Heritage Angkor and Beyond. Circumstances and Implications of UNESCO Listings in Cambodia. Universitätsverlag Göttingen, 2011, S. 57–67.
  • Puangthong R. Pawakapan: State and Uncivil Society in Thailand at the Temple of Preah Vihear. Institute of Southeast Asian Studies, Singapur 2013.
  • Sienho Yee: Notes on the International Court of Justice (Part 5): Temple of Preah Vihear (Interpretation) (2013). In: Chinese Journal of International Law, 14 (4), 2015, S. 655–663

Einzelnachweise

  1. Bangkok Post, A fine line, 22. Mai 2008 – Artikel nicht mehr verfügbar
  2. Bangkok Post, General News, 25. Mai 2008
  3. Bangkok Post, General News, 19. Juni 2008
  4. Bangkok Post, Cambodia closes Preah Vihear, 24. Juni 2008
  5. Bangkok Post, General News, 27. Juni 2008
  6. nationmultimedia.com Cabinet faces impeachment (Memento vom 23. Februar 2009 im Internet Archive), 9. Juli 2008
  7. Bangkok Post, General News, 10. Juli 2008
  8. BBC, Thai-Cambodia stand-off continues, 16. Juli 2008
  9. http://www.bangkokpost.com/170708_News/17Jul2008_news01.php@1@2Vorlage:Toter+Link/www.bangkokpost.com+(Seite+nicht+mehr+abrufbar,+festgestellt+im+April+2018.+Suche+in+Webarchiven.) Datei:Pictogram+voting+info.svg Info:+Der+Link+wurde+automatisch+als+defekt+markiert.+Bitte+prüfe+den+Link+gemäß+Anleitung+und+entferne+dann+diesen+Hinweis. Troop build-up at border, 17. Juli 2008 – Artikel nicht mehr verfügbar
  10. Bangkok Post, www.bangkokpost.com/200708_News/20Jul2008_news001.php Cambodia complains to UN, 20. Juli 2008 – Artikel nicht mehr verfügbar
  11. Bangkok Post, General News, 21. Juli 2008
  12. CNN, Thai and Cambodian troops wounded in clash (Memento vom 1. November 2008 im Internet Archive), 3. Oktober 2008
  13. Tagesschau: Entspannung im Grenzstreit am Hindu-Tempel (Memento vom 19. Oktober 2008 im Internet Archive), 16. Oktober 2008.
  14. Der Standard, Tote bei Scharmützel an Grenze zu Thailand, 3. April 2009
  15. Bangkok Post, At least 2 killed in border clashes, 3. April 2009
  16. Bangkok Post, Thai troops stand guard near temple. 1. Juni 2009
  17. Nicola Glass: Gericht fordert Truppenabzug. In: die tageszeitung. 18. Juli 2011, abgerufen am 19. Juli 2011.
  18. Teilweiser Truppenabzug aus dem umstrittenen Gebiet um den Preah Vihear Tempel und Grenzpolizei als Truppenersatz
  19. Thailand und Kambodscha ziehen Truppen ab. In: Neue Zürcher Zeitung. 18. Juli 2012, abgerufen am 18. Juli 2012.
  20. dpa/ecb: Grenzstreit: Thailand muss Kambodscha Tempelbezirk freigeben. In: welt.de. 11. November 2013, abgerufen am 7. Oktober 2018.
  21. Archivlink (Memento vom 11. November 2013 im Internet Archive)

Koordinaten: 14° 23′ 46″ N, 104° 40′ 49″ O

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