Harun ar-Raschid (arabisch هارون الرشيد Hārūn ar-Raschīd, DMG Hārūn ar-Rašīd; geboren wahrscheinlich um 766 in Rey; gestorben 809 in Tūs in Persien, begraben in Maschhad) stammte aus dem Geschlecht der Abbasiden. Der Sohn von al-Mahdi war von 786 bis 809 der fünfte abbasidische Kalif.
Leben
Harun ar-Raschid verbrachte seine Kindheit in der Stadt Raiy und wuchs dort unter der Obhut des Barmakiden Yahyā ibn Chālid auf. An die Macht gelangte er 786, nach dem Tod des Bruders.
Zu seiner Zeit stand das Kalifat politisch, wirtschaftlich und kulturell auf dem Höhepunkt. Die politische Stabilität wurde vor allem durch Yahyā ibn Chālid und seine Söhne al-Fadl und Dschaʿfar gesichert, die ihm als Wesire dienten. Nach China (798 Haruns Gesandtschaft in Chang’an), Indien und Europa reichende Handelsbeziehungen kennzeichneten diese Zeit. Der Islam breitete sich innerhalb des damaligen Reiches aus.
Nachdem ar-Raschid schon als Prinz an erfolgreichen Feldzügen gegen Byzanz teilgenommen hatte, wurde das byzantinische Anatolien nach seiner Regierungsübernahme verwüstet, Zypern erobert (805), und von der byzantinischen Kaiserin Irene wurden hohe Tribute erzwungen.
Nach einem Sieg gegen die byzantinische Stadt Herakleia (heute Ereğli) ließ er nahe seiner damaligen Hauptstadt ar-Raqqa das Siegesmonument Heraqla errichten. Trotz dieser Erfolge machten sich in den Randgebieten erste Auflösungstendenzen bemerkbar. So musste die faktische Unabhängigkeit der Rustamiden in Algerien (787) und der Aghlabiden in Ifrīqiya (800) anerkannt werden.
Die Grenze Syriens zum Byzantinischen Reich sicherte ar-Raschīd durch eine Anzahl von Festungen, die als al-ʿAwāsim („die Sicherheit Gewährenden“) bezeichnet wurden, weil die Muslime in ihnen Deckung und Unterschlupf finden sollten, wenn sie von Kriegszügen heimkehrten oder die Grenze in das Feindesland überschritten. Zur Hauptstadt der ʿAwāsim machte er Manbidsch; andere relevante Orte waren Dulūk, Raʿbān, Qūrus, Antiochia und Tīzīn.
Ähnlich wie vor ihm schon Umar Ibn Abd al-Aziz ordnete ar-Raschid 807 an, dass alle Juden und Christen Kennzeichen an der Kleidung zu tragen hätten. Der Christ Gabriel ibn Bochtischu war sein Leibarzt.
Harun ar-Raschid starb 809 im iranischen Tus während eines Feldzugs gegen die Charidschiten in Sistan. Schon 802 hatte er das Reich zwischen seinen Söhnen al-Amin und al-Mamun geteilt. Diese Thronfolgeregelung führte zu einer schweren Staatskrise.
Beziehungen zu Karl dem Großen
798 empfing Harun eine Gesandtschaft Karls des Großen und schenkte dem Frankenherrscher einen indischen Elefanten namens Abul Abbas sowie eine kunstvolle Wasseruhr mit Stundenschlag und Automatenwerk. Harun und Karl trafen sich nie persönlich, unterhielten aber diplomatische Beziehungen, die wohl auf ältere fränkisch-arabische Kontakte zurückgehen, wenngleich davon nur in fränkischen Quellen berichtet wird. 801 empfing Karl der Große in Italien eine Gesandtschaft Haruns.
Es sind keine Quellen über den Auftrag der Delegationen erhalten. Es ist jedoch naheliegend, dass aus gemeinsamen Interessen der beiden Großmächte des islamischen Morgen- und des christlichen Abendlands abgestimmte gemeinsame Aktionen werden sollten. Hārūn ar-Raschīd und Karl der Große hatten durchaus gemeinsame Gegner: Im Westen den Umayyadenstaat auf der Iberischen Halbinsel, der den Heiligen Krieg gegen das Frankenreich führte und der gleichzeitig den äußersten Westen der islamischen Welt der Kontrolle des Kalifen in Bagdad entzog. Im Osten bzw. in Italien war Byzanz ein potentieller Gegner für den fränkischen Kaiser ebenso wie für den abbasidischen Kalifen. Damit entstand eine Konstellation, die sich in den folgenden Jahrhunderten immer wieder bilden sollte: Allianzen muslimischer und christlicher Mächte wurden geschlossen oder zumindest angestrebt zur Erreichung begrenzter Ziele – den prinzipiellen dauerhaften christlich-muslimischen Gegensatz hoben sie keineswegs auf.
Rezeption
Harun ar-Raschid wird in der Nationalhymne Syriens erwähnt. Unter heutigen Muslimen, vor allem persischer Herkunft, ist er wegen seiner Brutalität und seines Lebenswandels umstritten, während er im Westen meist als märchenhafte Gestalt wahrgenommen wird und in vielen Geschichten der Sammlung Tausendundeine Nacht eine wichtige Rolle spielt. Sein Grab in Maschhad ist – im Unterschied zu dem auf dem gleichen Friedhof befindlichen seines Großwesirs, der von al-Mamun vergiftet worden sein soll – nicht sonderlich gepflegt.
Literatur
- André Clot: Harun al Raschid. Kalif von Bagdad. Artemis, München u. a. 1988, ISBN 3-7608-1918-4.
- F. Gabrieli: La successione di Hārūn ar-Rašīd e la guerra fra al-Amīn e al-Maʾmūn. In: Rivista degli studi orientali (RSO). Band 11, 1926–1928, ISSN 0392-4866, S. 341–397.
- Benjamin Jokisch: Islamic Imperial Law. Harun-Al-Rashid’s Codification Project. Walter de Gruyter, Berlin u. a. 2007, ISBN 978-3-11-019048-9 (Studien zur Geschichte und Kultur des islamischen Orients NF 19).
- Hugh Kennedy: The Early Abbasid Caliphate. A Political History. Croom Helm, London, 1981. S. 115–135.
- Hugh Kennedy: The Prophet and the Age of the Caliphates. the Islamic Near East from the sixth to the eleventh Century. 2. Auflage. Pearson Longman, Harlow u. a. 2004, ISBN 0-582-40525-4 (A history of the Near East).
- Hugh Kennedy: When Baghdad ruled the Muslim world. The rise and fall of Islam’s greatest dynasty. Da Capo Press, Cambridge MA 2005, ISBN 0-306-81435-8.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Kennedy: The Early Abbasid Caliphate. A Political History. 1981, S. 107.
- ↑ Kennedy: The Early Abbasid Caliphate. A Political History. 1981, S. 102.
- ↑ Vgl. al-Balādhurī: Kitāb Futūḥ al-Buldān. Hrsg. von Michael Jan de Goeje. Brill, Leiden 1866, S. 132; dt. Übers. von Oskar Rescher: El-Beladori’s „Kitâb futûh el-buldân“ (Buch der Eroberung der Länder). Leipzig 1917, S. 134. Digitalisat.
- ↑ „Die automatische Uhr“ (Memento vom 25. November 2010 im Internet Archive) (PDF; 1,1 MB)
- ↑ Allgemein siehe Michael Borgolte: Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem. München 1976.
- ↑ Alfred Schlicht: Geschichte der arabischen Welt, Reclam, Stuttgart, 2013, ISBN 978-3-15-010916-8, S. 92–93.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
---|---|---|
al-Hādī | Kalif der Abbasiden 786–809 | al-Amin |