Ein Haruspex (lat.; Plural: Haruspices = „Seher“) war ein antiker Wahrsager, der als Fulgurator Blitze deutete und vor allem aus den Eingeweiden von Opfertieren weissagte. Von großer Bedeutung war die Leberschau (Hepatomantie). Die Leber des Tiers galt als Mikrokosmos, der den Zustand der Welt widerspiegelt.

Etymologie

Das Wort haruspex wurde von den Römern gebildet, als in der lateinischen Sprache noch der Ausdruck haru („Eingeweide“) existierte, der dann aber vor Einsetzen lateinischer literarischer Zeugnisse ausstarb. Möglicherweise wurde ein etruskisches Wort +haru, das mit „das Geweihte“ übersetzt werden kann und im Lateinischen die Bedeutung „Eingeweide“ annahm, mit der Verbalwurzel spec- „schauen“ verknüpft. Analog wurde das Wort auspex („der Vogelschauer“), das den in späterer Zeit augur genannten und mit den Auspizien befassten Kultspezialisten bezeichnete, gebildet. Die etruskische Bezeichnung für einen Haruspex lautete sehr wahrscheinlich netšvis. Einen Priester bei der Blitzschau und -deutung nannten die Etrusker vermutlich trutnvt frontac.

Geschichte

Leberschau und Blitzdeutung gehörten zu den wichtigsten religiösen Praktiken (Etrusca disciplina) der Etrusker. Haruspices wurden bereits in der Königszeit auch in Rom tätig. Offensichtlich beruhte das Weissagen aus Tiereingeweiden auf babylonischen Vorbildern.

Die Haltung der Römer und der Republik zu den Haruspices war im Laufe der Geschichte schwankend. Cato betrachtete sie als Schwindler. Die Weissagungen der Haruspices mussten zeitweise durch den Senat bestätigt werden. Erst gegen Ende der Republik sind sie zu einem Kollegium von 60 Mitgliedern zusammengefasst worden, das im Jahr 47 durch Kaiser Claudius reorganisiert wurde. Unter Konstantin dem Großen wurden ihre Rechte und insbesondere ihre Befragung durch Privatperson weitgehend eingeschränkt, unter Constantius II. wurde jede Art der Divination verboten, unter Julian aber noch einmal kurzzeitig zugelassen. Als die Goten unter Alarich im Jahr 408 n. Chr. Rom erreichten, boten Haruspices dem Bischof von Rom, Papst Innozenz I., an, diese durch Blitz und Donner zu vertreiben. Noch im 7. Jahrhundert mussten Verbote gegen die Tätigkeiten der Haruspices ausgesprochen werden, die folglich immer noch praktizierten.

Haruspices gab es nicht nur in Rom, auch die Kolonien und Munizipien hatten ihre eigenen Haruspices, die sich meist aus den Vornehmen und Einflussreichen einer Gemeinde rekrutierten. Gleiches gilt für die Stäbe der römischen Legionen und die Kaiser, die meist wie schon Sulla und Caesar über persönliche Haruspices verfügten.

Haruspices gehörten nicht zur römischen Priesterschaft, gleichwohl konnten sie in der Kaiserzeit, in der es sogar Freigelassene unter ihnen gab, auch einem Priesterkollegium angehören. In der Regel waren sie aber eher Priester nichtrömischer Gottheiten außerhalb Roms. Dennoch spielten sie eine erhebliche Rolle bei römischen Stadtgründungen und Tempelneubauten. Von den Haruspices lernten die Römer auch die Kunst der Limitation.

Literatur

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Gertraud Breyer: Etruskisches Sprachgut im Lateinischen unter Ausschluss des spezifisch onomastischen Bereiches. Peeters, Löwen 1993, S. 352–354.
  2. Giuliano Bonfante, Larissa Bonfante: The Etruscan Language: An Introduction. Manchester University Press, Manchester 1983, Neuauflage 2002, ISBN 9780719055409, S. 69, 217.
  3. H. LeB.: Haruspieces. In: Lexikon der Alten Welt. Band 2. Artemis, Zürich/München 1990.
  4. Paul Kunitzsch: Wissenschaft im Dialog zwischen Orient und Okzident. In: Fachprosaforschung - Grenzüberschreitungen 8/9, 2012/2013 (2014), S. 477–482 (Festvortrag anläßlich der Eröffnung der Sonderausstellung „Ex Oriente lux? Wege zur neuzeitlichen Wissenschaft“ des Landesmuseums Natur und Mensch in Oldenburg am 25. Oktober 2009), hier: S. 478.
  5. Tacitus: Annales 11,15.
  6. Bei Cicero: De divinatione 2.51 ist die Anekdote hinterlegt, dass Cato sich wundere, dass die Haruspices nicht lachen müssten, wenn sie einander begegneten.
  7. Lexikon der Alten Welt. Band 2. Artemis, Zürich/München 1990.
  8. Marie Theres Fögen: Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993. ISBN 3-518-58155-4, S. 34–39 (34); mit Verweis auf CTh. 9.16.2, a. 319: Danach war es Opferschauern, Priestern und Rituellen verboten, unter dem Vorwand der Freundschaft die Türschwellen von Privathäusern zu überschreiten. Stattdessen sollten die Liturgien (vergangener) Bräuche an öffentlichen Altären und in Tempeln zelebriert werden. (Anmerkung: Diese Passage ist zugleich die erste Erwähnung der Haruspices im Rahmen eines Gesetzes.)
  9. Sozomenos, Historia Ecclesiastica IX, 6, Zosimos 5,41.
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