Heinrich von Pierer (* 26. Januar 1941 in Erlangen; eigentlich Heinrich Karl Friedrich Eduard Pierer von Esch) ist ein deutscher Manager. Er war von 1992 bis 2005 Vorstandsvorsitzender und von 2005 bis zum 25. April 2007 Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens AG.

Leben

Heinrich von Pierer besuchte das Gymnasium Fridericianum Erlangen und studierte anschließend Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. 1968 wurde er mit der Dissertation Teilnichtige Rechtsgeschäfte: Das Verhältnis von Parteiwille und Rechtssatz im Bereich des Paragraphen 139 BGB zum Dr. jur. promoviert. Anschließend erwarb er den akademischen Grad eines Dipl.-Volkswirtes.

1969 begann von Pierer seine Laufbahn bei der Siemens AG. 1989 wurde er Mitglied des Vorstandes des Unternehmens. Am 1. Oktober 1992 trat er die Nachfolge von Karlheinz Kaske als Vorsitzender des Vorstandes an. Am 7. Juli 2004 gab Siemens die Ernennung von Klaus Kleinfeld als Nachfolger von Pierers ab Januar 2005 bekannt. Von Pierer übernahm am 27. Januar 2005 im direkten Anschluss den Vorsitz des Aufsichtsrats.

Von Pierer hielt verschiedene weitere Aufsichtsratsmandate, unter anderem bei Bayer, Hochtief, der Münchener Rück und bei Volkswagen. Er war von 1993 bis 2006 Vorsitzender des damals neu gegründeten Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft (APA). Von 1972 bis 1990 war er für die CSU im Rat der Stadt Erlangen. Außerdem war er von 1998 bis 2005 im Verwaltungsrat der TU München aktiv.

Am 29. August 2005 gab die CDU seine Berufung zum wirtschaftspolitischen Chefberater der Kanzlerkandidatin Angela Merkel bekannt. Von Pierer leitete den Rat für Innovation und Wachstum. Damit setzte das CSU-Mitglied seine Funktion als Berater der Bundesregierung fort. Schon in der Schröder-Ära war er Mitglied der rot-grünen Initiative Partner für Innovation.

Als Berater formulierte er eine Formel für Innovation: „Kenntnis der Kundennöte plus Inspiration multipliziert mit langem Atem plus Transpiration ist gleich Markterfolg.“

Am 13. Januar 2006 wurde von Pierer zum Honorarprofessor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg für das Fach Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Industriebetriebslehre, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät ernannt.

Am 19. April 2007 erklärte von Pierer seinen Rücktritt als Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens AG; damit stellte er sein Amt mit Beginn der Sitzung des Aufsichtsrats am 25. April 2007 zur Verfügung. Er sagte, der Entschluss stehe nicht in Zusammenhang mit der Schmiergeld-Affäre, sondern geschehe im Interesse von Firma und Mitarbeitern. Tatsächlich war wohl der öffentliche Druck wegen der „Schmiergeldaffäre“ zu groß geworden.

Im Zuge der Aufarbeitung des Schmiergeldskandals hat das Renommee von Pierers stark gelitten. Nachfolger von Pierers wurde Gerhard Cromme, Aufsichtsratsvorsitzender von ThyssenKrupp und zum Zeitpunkt seiner Ernennung Vorsitzender des Prüfungsausschusses des Aufsichtsrats der Siemens AG.

Am 20. Mai 2008 erklärte von Pierer seinen Rücktritt als Mitglied des Aufsichtsrates der Deutschen Bank AG.

Von Pierer ist Aufsichtsrat beim türkischen Mischkonzern Koç Holding.

Er ist zudem als selbständiger Unternehmensberater tätig.

Am 17. Januar 2011 – kurz vor seinem 70. Geburtstag – stellte von Pierer seine Autobiographie mit dem Titel Gipfel-Stürme der Öffentlichkeit vor.

Seit 2016 ist er Mitglied im Beirat der Serafin Unternehmensgruppe in München.

Kritik

Mit der Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes der Siemens AG verstieß von Pierer gegen den Corporate Governance Kodex, gemäß dem der direkte Wechsel eines Vorstandsvorsitzenden in den Aufsichtsratsvorsitz unterbleiben soll. Während dies zunächst nahezu widerspruchslos hingenommen wurde, ist im Zuge der Korruptionsaffäre bei Siemens das Problem offen zutage getreten: Von Pierer war Mitglied des Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat, der die Korruptionsvorwürfe untersucht und natürlich auch von Pierers Amtszeit durchleuchtet. Aufgrund des offensichtlichen Interessenkonflikts und der Tatsache, dass ein Großteil der Affäre in seine Zeit als Vorstandsvorsitzender fiel, war von Pierer zahlreichen Vorwürfen ausgesetzt. Auf der Hauptversammlung 2007 der Siemens AG verzichtete von Pierer am 25. Januar 2007 schließlich auf die weitere Teilnahme an Sitzungen, die das Korruptionsthema zum Gegenstand haben; das Amt als Vorsitzender des Aufsichtsrats wollte er aber nicht ablegen. Die Hauptversammlung stimmte mit über 34 Prozent gegen die Entlastung von Pierers und zeigte damit deutlich die Unzufriedenheit mit der Entscheidung von Pierers.

Trotz der Korruptionsaffäre bei Siemens hielten die CDU und insbesondere Angela Merkel längerfristig an von Pierer als Leiter des Rates für Innovation und Wachstum fest; am 17. April 2008 erklärte die Bundeskanzlerin jedoch die Absicht, auf Heinrich von Pierer in dieser Funktion zu verzichten. Dies geschah zeitgleich mit der Veröffentlichung eines internen Prüfberichts vom 1. April 2008, der am 18. April durch die Süddeutsche Zeitung bekannt wurde. Ein Siemens-Manager hat von Pierer mit einem Staatsauftrag in Argentinien in Zusammenhang gebracht, der mittels Schmiergeldzahlungen erlangt wurde. Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin Vorermittlungen aufgenommen. Statt eines Strafverfahrens gegen von Pierer wurde dann im Mai ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verletzung der Aufsichtspflicht eröffnet. Anfang 2010 wurde dieses mit einem Bußgeldbescheid beendet, den von Pierer akzeptierte.

Mit dem Siemens-Konzern einigte sich von Pierer auf eine Schadensersatzzahlung von fünf Millionen Euro.

Am 2. Dezember 2019 verurteilte ein griechisches Gericht in Athen von Pierer nach einem seit 2017 laufenden Gerichtsverfahren zu 15 Jahren Haftstrafe. Von Pierer legte Berufung gegen das Urteil ein. Das Berufungsgericht sprach von Pierer im September 2022 frei.

Privatleben, Familie und Name

Von Pierer ist verheiratet und hat drei Kinder und drei Enkel. Mit 18 Jahren gewann er die bayerischen Tennis-Jugendmeisterschaften.

Seine Söhne Michael und Stephan sind ebenfalls für Siemens tätig.

Sein Bruder war der Tennisfunktionär und Rechtsanwalt Peter von Pierer.

Sein Großvater, der k.u.k. Feldmarschallleutnant Eduard Pierer (1848–1902), wurde 1900 aufgrund eines Offiziersprivilegs in den erblichen österreichischen Adelsstand erhoben und setzte seinem Geburtsnamen nach dem „von“ den Geburtsnamen seiner Ehefrau Valerie hinzu, so dass der Name nun „Pierer von Esch“ lautete. Alle österreichischen Adelstitel wurden 1919 durch die Republik Österreich aufgehoben (Adelsaufhebungsgesetz), aber von Pierers Vater Leo (1895–1992) übersiedelte 1937 von Österreich nach Deutschland und erlangte 1938 im Rahmen der Einbürgerung das Adelsprädikat zurück. Pierer selbst kürzt seinen vollen Namen in der Regel als „von Pierer“ ab.

Ehrungen und Auszeichnungen

Veröffentlichungen

  • Mit Karl Homann und Gertrude Lübbe-Wolff: Zwischen Profit und Moral. Hanser, München 2003, ISBN 3-446-22460-2.
  • Gipfel-Stürme. Die Autobiographie. Econ, Berlin 2011, ISBN 978-3-430-20027-1.
  • Die Kunst des Machbaren. Lehrreiches und Heiteres aus dem Leben eines Topmanagers. Redline, München 2021, ISBN 978-3-86881-839-0.

Literatur

  • Zukunft gestalten. Die Siemens-Unternehmer 1847–2018. Hrsg. vom Siemens Historical Institute. Hamburg 2018, ISBN 978-3-86774-602-1.
  • Heinrich v. Pierer. In: Wilfried Feldenkirchen, Eberhard Posner: Die Siemens-Unternehmer. Kontinuität und Wandel 1847–2005. Zehn Portraits. Piper, München 2005, ISBN 3-492-04801-3, S. 190–202.
  • Barbara Nolte, Jan Heidtmann: Die da oben. Innenansichten aus deutschen Chefetagen. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-518-12599-1, S. 75 ff.
  • Ansgar Graw: Herr von Pierer und sein Name. (Memento vom 6. September 2008 im Internet Archive) In: Welt am Sonntag. 24. August 2008, S. 6 (zum Adelsprädikat und zur Namensgebung).

Einzelnachweise

  1. Interview: Unsere Hochschulen sind besser als ihr Ruf (Memento vom 24. August 2007 im Internet Archive), Tagesspiegel vom 26. Oktober 2004.
  2. Von Pierer fällt tief. In: handelsblatt.com. 20. April 2007, abgerufen am 16. Februar 2015.
  3. Pressemitteilung
  4. Dinah Deckstein: Aufsichtsratsposten: Pierer bekommt Kontroll-Job in der Türkei. In: Spiegel Online. 13. Februar 2008, abgerufen am 16. Februar 2015.
  5. Unternehmensberatung Pierer Consulting. Abgerufen am 17. Juni 2019.
  6. Gipfelstürmer – Heinrich von Pierer beschreibt seinen Aufstieg und Fall. Abgerufen am 16. Februar 2015.
  7. Die Zeit: Verklagt Siemens alle Ex-Vorstände?, 18. April 2008.
  8. Der Spiegel: Neuer Bericht belastet Pierer, 26. April 2008.
  9. Spiegel Online: Staatsanwaltschaft nimmt Pierer ins Visier, 26. April 2008.
  10. 1 2 FAZ.net: Für Pierer endet Korruptionsaffäre mit Bußgeld 24. März 2010.
  11. Sueddeutsche.de: Pierer zahlt fünf Millionen Euro an Siemens, 17. Mai 2010.
  12. Christiane Schlötzer, Tasos Telloglou: Ex-Siemens-Chef Pierer zu langer Haft verurteilt. Süddeutsche Zeitung, 2. Dezember 2019, abgerufen am 5. Dezember 2019.
  13. Siemens-Schmiergeldskandal: Früherer Siemens-Chef von Pierer freigesprochen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. September 2022.
  14. Bei Siemens spielt von Pierer wieder eine große Rolle. Die Welt, 10. Dezember 2015.
  15. welt.de: Der gekaufte Adel des Heinrich von Pierer, 25. August 2008.
  16. Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,9 MB)
  17. Heinrich v. Pierer erhält als erster Deutscher Ehrenstaatsbürgerschaft Singapurs, 2. März 2007 (abgerufen am 28. Dezember 2007)
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