Das Hodegonkloster (von altgriechisch [ναὸς / μονὴ] τῶν Ὁδηγῶν, [naos / monē] tōn Hodēgōn, „[Kirche / Kloster] der Wegführer“; auch Hodegetria-Kloster, Kloster tōn Hodēgōn oder Kloster der Hodēgoi genannt) war ein christliches, der Muttergottes (Theotókos) geweihtes Männerkloster, das in Konstantinopel östlich der Hagia Sophia lag. Das Kloster soll der Überlieferung nach im 5. Jahrhundert von Kaiserin Pulcheria gestiftet worden sein. Das Hodegonkloster unterstand ursprünglich dem Patriarchat von Konstantinopel, wurde aber im Jahr 970 an das Patriarchat von Antiochien übertragen.

Schriftliche Quellen

Theodorus Lector (Anagnostes) berichtet, Kaiserin Pulcheria habe mehrere Kirchen errichten lassen, darunter eine zur Aufbewahrung und Verehrung eines Bildnisses der Muttergottes mit dem Jesuskind (→ Ikone der Hodegetria), welches von dem Evangelisten Lukas geschaffen worden sein soll. Diese Schilderung wird erst mehrere Jahrhunderte später von Nikephoros Kallistos wieder aufgegriffen. In der modernen Forschung wird die Authentizität der Passage bei Theodorus Lector jedoch angezweifelt.

Etwa ab dem 9. Jahrhundert finden sich häufigere Bezugnahmen auf das Hodegonkloster. So soll der spätere Patriarch Johannes VII. Grammatikos während der Regierungszeit des Kaisers Michael I. (811813) Anagnōstēs (Ἀναγνώστης) im Kloster der Hodēgoi gewesen sein. Nach der Schilderung des Ioseph Genesios habe sich im Jahr 866 ein Omen im „[Kloster] der Hodegoi“ ereignet und den baldigen Tod des Bardas angekündigt. Nach Darstellung in den Patria Konstantinopuleos sei die Kirche tōn Hodēgōn (altgriechisch τῶν Ὁδηγῶν) von Kaiser Michael III. neu errichtet oder renoviert worden; vorher habe sich dort eine wunderkräftige Quelle befunden, an der Blinde geheilt wurden. Von den Blindenführern, den Hodēgoi (altgriechisch Ὁδηγοι), wird daher auch der Name der Kirche und des Klosters abgeleitet.

Eine frühestens im 13. Jahrhundert entstandene, anonym tradierte Schrift mit dem Titel Logos diēgēmatikos (altgriechisch Λόγος διηγηματικός) beschreibt die Geschichte der Kirche der Theotokós tōn Hodēgōn (altgriechisch Θεοτόκος τῶν Ὁδηγῶν) aus etwas späterer Perspektive. In diesem Werk findet sich erneut die Legende der Gründung der Kirche durch Pulcheria: Die Kaiserin habe von Eudokia, der Ehefrau Kaiser Theodosius’ II., ein Bild der Muttergottes und des Jesuskindes erhalten, das der Evangelist Lukas noch zu Lebzeiten Marias gemalt haben soll – die Ikone der Hodegetria.

Schließlich schildern Georgios Akropolites und Georgios Pachymeres den Einzug des Kaisers Michael VIII. Palaiologos nach der byzantinischen Rückeroberung Konstantinopels 1261, bei dem die Ikone der Hodegetria an der Spitze des Prozessionszuges mitgeführt wurde.

Auch auf einer Karte Konstantinopels in einigen Handschriften des Liber insularum Archipelagi des Cristoforo Buondelmonti, etwa Vat. Rossiano 702, Paris NAL 2383, Paris Latin 4823 und Paris Latin 4825, wird das Hodegonkloster (unter der Bezeichnung Odigitria, Digitria, Chiramos, Chiramas oder Chyramas, von altgriechisch κυρα μας „unsere Herrin“) dargestellt.

Lokalisierung und archäologischer Befund

Die genaue Lage des Hodegonklosters innerhalb Konstantinopels ist nicht sicher geklärt. Die Darstellung im Logos diēgēmatikos sowie eine Erwähnung des Klosters bei Niketas Choniates legen nahe, dass sich das Klostergelände in unmittelbarer Nähe des Meeres (Marmarameer oder Bosporus) befand. Nach den schriftlichen Quellen, insbesondere den Beschreibungen zeitgenössischer Pilger, war das Kloster östlich oder südöstlich der Hagia Sophia gelegen.

Bei Ausgrabungen im Gülhane-Park wurde ein Nischenrundbau und ein als Hagiasma gedeuteter Bau freigelegt (ungefähre Position: 41° 0′ 33″ N, 28° 59′ 6″ O), der Teil der Klosteranlage gewesen sein könnte. Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass dieser Bereich nordöstlich der Hagia Sophia liegt, während die schriftlichen Quellen eher eine südöstliche Position nahelegen.

Bedeutung des Klosters

Das Hodegonkloster war – nicht zuletzt wegen der dort aufbewahrten Ikone der Hodegetria – ein wichtiges Ziel mittelalterlicher Pilger und Reisender, die Konstantinopel besuchten. Daneben beherbergte das Kloster ein Skriptorium, in dem eine Reihe namentlich bekannter Schreiber wirkte.

Ikone der Hodegetria

Die Ikone der Hodegetria zeichnet sich durch ein eigenes Bildprogramm aus, indem die Muttergottes das Jesuskind auf ihrem linken Arm trägt und mit der Rechten auf das Kind weist. Nach der Tradition wurde das Bildnis vom Evangelisten Lukas eigenhändig gemalt und gelangte im fünften Jahrhundert nach Konstantinopel. Die Ikone wurde nicht nur auf Prozessionen mitgeführt und in der Hodegonkirche ausgestellt; das Bildnis fungierte quasi als Palladion Konstantinopels. Es wurde daher bei Belagerungen auf der Stadtmauer platziert und auf Feldzügen mitgeführt.

Skriptorium und Hodegonstil

Das Hodegonkloster verfügte über ein Skriptorium, in dem im 14. Jahrhundert ein eigener Schreibstil, der sogenannte Hodegonstil, entwickelt wurde. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts galt es als das einzige Schreibzentrum im byzantinischen Reich, das sich die aufwändige Produktion von Pergamenthandschriften leisten konnte.

Literatur

  • Christine Angelidi: Un texte patriographique et édifiant : Le «Discours narratif» sur les Hodègoi. In: Revue des études byzantines. Band 52, 1994, ISSN 0766-5598, S. 113–149, doi:10.3406/rebyz.1994.1888 (online [abgerufen am 20. Juli 2013] zitiert als Angelidi (1994)).
  • Christine Angelidi, Titos Papamastorakis: The Veneration of the Virgin Hodegetria and the Monastery of the Hodegoi. In: Maria Vassilaki (Hrsg.): Mother of God. The Representation of the Virgin in Byzantine Art [Benaki Museum, 20 October 2000 – 20 January 2001]. Skira, Milano 2000, ISBN 88-8118-738-8, S. 373–387 (zitiert als Angelidi (2000)).
  • Albrecht Berger: Untersuchungen zu den Patria Konstantinopuleos (= Poikila Byzantina; 8). Habelt, Bonn 1988, ISBN 3-7749-2357-4, S. 376–378.
  • Herbert Hunger, Otto Kresten: Archaisierende Minuskel und Hodegonstil im 14. Jahrhundert. In: Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik. Band 29, 1980, ISSN 0378-8660, S. 187–236.
  • Raymond Janin: Géographie ecclésiastique de l'Empire Byzantin ; Band 1, Teil 3: Les églises et les monastères. 2. Auflage. Centre National de la Recherche Scientifique, Paris 1969, S. 199–207.
  • Vassilios Kidonopoulos: Bauten in Konstantinopel 1204–1328 – Verfall und Zerstörung, Restaurierung, Umbau und Neubau von Profan- und Sakralbauten (= Mainzer Veröffentlichungen zur Byzantinistik; 1). Harrassowitz, Wiesbaden 1994, ISBN 3-447-03621-4, S. 77–78.
  • Linos Politis: Eine Schreiberschule im Kloster TΩΝ ΟΔΗΓΩN (Teil 1). In: Byzantinische Zeitschrift. Band 51, Nr. 1, 1958, ISSN 0007-7704, OCLC 1537961, ZDB-ID 5800-2, S. 17–36, doi:10.1515/byzs.1958.51.1.17.
  • Linos Politis: Eine Schreiberschule im Kloster TΩΝ ΟΔΗΓΩN (Teil 2). In: Byzantinische Zeitschrift. Band 51, Nr. 2, 1958, S. 261–287, doi:10.1515/byzs.1958.51.2.261.
  • Alice-Mary Talbot: Art. Hodegon Monastery. In: Alexander P. Kazdhan (Hrsg.): The Oxford Dictionary of Byzantium. Vol. 2. Oxford University Press, New York 1991, ISBN 0-19-504652-8, S. 939.

Einzelnachweise

  1. Angelidi (2000), S. 376.
  2. Migne PG Bd. 86a, 564 (Sp. 167 f); Kirchengeschichte, ed. Hansen 19952, 367, 102.
  3. Migne PG Bd. 146, Sp. 1061; 147, Sp. 44 A.
  4. Cyril Mango (Constantinople as Theotokoupolis, in: Vassilaki, Mother of God, Milan 2000, S. 17–25) hält die Passage bei Anagnostes für eine spätere Interpolation (ebd. Fn. 15 und 58); Christine Angelidi nimmt an, die legendäre Rückführung der Hodegetria auf den Evangelisten Lukas sei nicht vor dem neunten Jahrhundert entstanden (siehe Lit., Angelidi [2000], S. 377.); zweifelnd ebenso A. Berger: Untersuchungen zu den Patria Konstantinopuleos, S. 376.
  5. Sancti Joannis Damasceni Epistola ad Theophilum Imperatorem de sanctis et venerandis imaginibus, Migne PG 95, 368A; Scriptor incertus de Leone Armenio, ed. Niebuhr (Bonn 1842), CSHB 31, S. 349.
  6. Kaisergeschichte IV, 20: CFHB, Bd. 14 (ed. Lesmüller-Werner / Thurn), S. 73 Z. 77; Migne PG 109, Sp. 1123. Auch das Werk Theophanes Continuatus schildert diese Begebenheit (CSHB Bd. 45, ed. Bekker 1838, S. 204).
  7. Patria Konstantinopuleos, III, 27: Preger (Hrsg.), Scriptores originum Constantinopolitanarum (1907, ND 1989), S 223; A. Berger, Untersuchungen zu den Patria Konstantinopuleos, 1988, S. 376.
  8. A. Berger, Untersuchungen zu den Patria Konstantinopuleos, 1988, S. 377 f.; Angelidi (siehe Lit., Angelidi (2000), S. 375).
  9. Text und französische Übersetzung des Logos diēgēmatikos bei Angelidi (1994) ab Seite 134; siehe auch Angelidi (2000), S. 375.
  10. Migne PG Bd. 140, S. 1218
  11. Rélationes historiques (Relationes historicae) ed. Failler / Laurent, CFHB 24/1, II, 31 (S. 217).
  12. Città del Vaticano, BAV, Ross. 702.
  13. Beschreibung des Ms. NAL 2383 der Bibliothèque nationale de France.
  14. Beschreibung des Ms. Latin 4823 der Bibliothèque nationale de France.
  15. Beschreibung des Ms. Latin 4825 der Bibliothèque nationale de France.
  16. Siehe die synoptische Übersicht bei Giuseppe Gerola, Le Vedute di Costantinopoli di Cristoforo Buondelmonti, in: Studi Bizantini e Neoellenici, 3 (1931), S. 249–279, online, dort S. 268 f. und S. 276; ein vergrößerter Ausschnitt der Karte aus dem Ms. Vat. Rossiano 702 findet sich bei Demangel / Mamboury: Le quartier des Manganes et la première région de Constantinople, 1939, S. 110.
  17. Siehe dazu Berger, S. 377 f.; Kidonopoulos, S. 77 f.
  18. Angelidi (1994), S. 134 zur Meeresnähe.
  19. Migne PG Bd. 139, 698 (Sp. 907).
  20. Texte in Übersetzung bei George P. Majeska, Russian Travelers to Constantinople in the Fourteenth and Fifteenth Centuries, 1984, S. 362 ff.
  21. So Robert Demangel, Ernest Mamboury: Le quartier des Manganes et la première région de Constantinople (Recherches françaises en Turquie, 2), Paris 1939, S. 71–111.
  22. Kidonopoulos, S. 77 f.
  23. Siehe z. B. Niketas Choniates, Migne PG Bd. 139, 497; 751.
  24. Vgl. Herbert Hunger: Schreiben und Lesen in Byzanz, München, S. 106.
  25. So Otto Kresten, Die Beziehungen zwischen den Patriarchen von Konstantinopel und Antiocheia, Stuttgart 2000, S. 16 Fn. 35.
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