Die Integrationslehre ist eine von Rudolf Smend entwickelte staats- und verfassungstheoretische Lehre vom Staat als Integration, die er in seinem 1928 erschienenen Werk Verfassung und Verfassungsrecht ausführte.

Der Integrationslehre liegt in Anlehnung an Theodor Litt die Gruppenbezogenheit des Individuums zugrunde. Aufgabe des Staates ist die Integration der Individuen in den politischen Prozess; die Verfassung wird als die – wenngleich nicht rein normative – Ordnung des Integrationsprozesses gesehen.

„Die Integrationslehre lehnt alles isolierte Verstehen der Norm einerseits, der Wirklichkeit andererseits ab. Die Norm hat ihren Geltungsgrund, ihre Geltungsqualität, ihren Geltungsinhalt vom Leben und dessen aufgegebenem Sinn her, wie umgekehrt das Leben nur aus der Beziehung zu seinem aufgegebenen und normierten Lebenssinn zu verstehen ist.“

Rudolf Smend

Integrationsarten

Smend unterschied drei Arten von Integration, die in verschiedener Kombination vorkämen.

Persönliche Integration

Die persönliche Integration behandelt Smend im fünften Kapitel des staatstheoretischen Teils seines Werks. Mit ihr meint er die proaktive Teilnahme der Individuen am politischen Leben im Gegensatz zur reaktiven Teilnahme bzw. zum passiven Beteiligtwerden.

Funktionelle Integration

Im sechsten Kapitel behandelt Smend die funktionelle Integration, unter der er die institutionalisierte Teilnahme der Individuen durch beispielsweise Wahlen oder Abstimmungen versteht.

Sachliche Integration

Die sachliche Integration schließlich wird im siebten Kapitel ausgeführt. Sie ist die Integration durch gemeinschaftliche Werte, die verkörpert werden durch staatliche Symbole, staatliche Feiertage, gemeinsame Sprache und dergleichen.

Wirkung

Die Smendsche Integrationslehre war eine der großen Strömungen des Methodenstreits der Weimarer Staatsrechtslehre. Auch nachdem der Methodenstreit unter dem Grundgesetz an Aktualität verloren hatte, blieb die Integrationslehre durch die Smend-Schule, zu der etwa Gerhard Leibholz, Ulrich Scheuner, Konrad Hesse, Horst Ehmke, Peter Häberle oder Friedrich Müller zu rechnen sind, noch bis in die 1970er Jahre von größerer Bedeutung.

Nicht nur durch Hesse, der von 1975 bis 1987 Richter am Bundesverfassungsgericht war, fanden Aspekte der Integrationslehre auch Eingang in die Rechtsprechung des Gerichts: Schon im Lüth-Urteil von 1958 wurden die Grundrechte nicht mehr nur als Abwehrrecht des Individuums gegen den Staat, sondern auch als objektive Wertordnung angesehen. Auch der Topos der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG steht der Integrationslehre zumindest nahe.

Kritik

Hauptkritikpunkt der Integrationslehre ist die mangelnde Unterscheidung von Staat und Gesellschaft bzw. Staat und Individuum. Sie berge die Gefahr der staatlichen Vereinnahmung der Individuen und damit totalitäre Tendenzen in sich. Ebenfalls kritisiert wird sein Grundrechtsverständnis, welches die subjektiv-abwehrrechtliche Dimension nur unzureichend berücksichtige und Grundrechte somit keinen effektiven Schutz vor staatlichen Übergriffen böten (siehe Bühler 2011).

Quellen und Literatur

Primärliteratur
  • Rudolf Smend: Verfassung und Verfassungsrecht, Duncker & Humblot, München 1928.
Sekundärliteratur
  • Roland Lhotta (Hrsg.): Die Integration des modernen Staates. Zur Aktualität der Integrationslehre von Rudolf Smend, Baden-Baden 2005. ISBN 3-8329-1421-8
  • Peter Badura: Staat, Recht und Verfassung in der Integrationslehre. Zum Tode von Rudolf Smend (15. Januar 1882 - 5. Juli 1975), in: Der Staat 16 (1977), S. 305 bis 325.
  • Christian Bickenbach: Rudolf Smend (15. 1. 1882 bis 5. 7. 1975) – Grundzüge der Integrationslehre, in: JuS 2005, S. 588 bis 591.
  • Joachim Bühler: Das Integrative der Verfassung. Eine politiktheoretische Untersuchung des Grundgesetzes, Baden-Baden 2011.
  • Frieder Günther: Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949–1970, München 2004. ISBN 3-486-56818-3
  • Marcus Llanque: Die politische Theorie der Integration: Rudolf Smend, in: André Brodocz/Gary S. Schaal (Hrsg.): Politische Theorie der Gegenwart I. Eine Einführung, Opladen 2002, S. 317 bis 343.
  • Robert Chr. van Ooyen: Demokratische Partizipation statt "Integration": normativ-staatstheoretische Begründung eines generellen Ausländerwahlrechts. Zugleich eine Kritik an der Integrationslehre von Smend; in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2/2003, S. 601–627.
  • Robert Chr. van Ooyen: Die Integrationslehre von Rudolf Smend und das Geheimnis ihres Erfolgs in Staatslehre und politischer Kultur nach 1945; in: Journal Juristische Zeitgeschichte, 2/2008, S. 52–57.

Einzelnachweise

  1. Handwörterbuch der Sozialwissenschaften 5 (1956), S. 299–302
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.