Intramolekularer Elektronentransfer ist in der Chemie eine Redoxreaktion, die über eine kovalente Verknüpfung (Brücke) zwischen oxidierenden und reduzierenden Reaktanden abläuft. Weil dafür die Bildung überbrückter Zwischenprodukte erforderlich ist, treten intramolekulare Reaktionen nur bei Komplexverbindungen mit kleinen Liganden auf. Beim intramolekularen Elektronentransfer (ISET) überbrückt ein Ligand zwei Metall-Redoxzentren während des Elektronentransfer-Prozesses, bei dem ein Metallzentrum als Donor ein Elektron an das andere Metallzentrum abgibt, das wiederum als Akzeptor agiert. Der ISET ist in biologischen Systemen selten, wo die Redoxzentren oft durch unförmige Proteine abgeschirmt werden. Er wird normalerweise angewendet, um Reaktionen zu beschreiben, die in Komplexverbindungen von Übergangsmetallen ablaufen.

Schema

  • Brückenbildung:
  • Elektronentransfer:
  • Produkt:

(Erläuterung: das Sternchen soll in diesem Fall nicht den angeregten Zustand beschreiben, sondern das wandernde Elektron, ein Punkt wäre hier zu schlecht sichtbar.)

Vor dem Elektronentransfer muss sich der überbrückende Komplex bilden, und dieser Prozess ist oft sehr reversibel. Intramolekularer Elektronentransfer läuft über die Ligandenbrücke ab, sobald diese sich gebildet hat. In einigen Fällen existiert eine stabile überbrückte Struktur im Grundzustand, in anderen Fällen kann die überbrückende Struktur ein vorübergehend gebildetes Zwischenprodukt sein, oder ein Übergangszustand während der Reaktion. Intramolekularer Elektronentransfer verläuft nach dem Schema Donor-Brücke-Akzeptor. Die Brücke kann auch ein molekularer Draht (molecular wire) bilden.

Eignung von Komplexen für den Elektronentransfer

Gemischte Valenz-Substanzen enthalten ein Element, das in mehr als einer Oxidationsstufe existiert: Bekannte Beispiele hierfür sind der Creutz-Taube-Komplex, Berliner Blau und Molybdän Blau. Viele Feststoffe mit gemischten Valenzen sind Indium-Schwefel-Verbindungen. Gemischte Valenzen kommen in organischen Metallkomplexen vor.

Man kann sie nach der Robin-Day-Einteilung in drei Gruppen unterteilen:

Beispiele
KlasseKomplexverbindung
IBlei(II,IV)-oxid und Antimontetroxid
IIBerliner Blau
IIICreutz-Taube-Komplex
  • I: Es besteht fast keine Wechselwirkung zwischen den Reaktionszentren. Der Komplex zeigt die gleichen Eigenschaften wie die isolierten Metallzentren.
  • II: Schwache elektronische Wechselwirkungen verändern die Eigenschaften der beiden Redoxzentren. Eine geringe Aktivierungsenergie ist erforderlich, um Elektronentransfer zwischen den Metallzentren über die Ligandenbrücke zu induzieren. Der Elektronentransfer findet über die Cyanid-Brücke zwischen dem Eisen(II)- und Eisen(III)-Reaktionszentrum statt.
  • III: Starke Wechselwirkung zwischen den beiden identischen Reaktionszentren des gemischtvalenten Komplexes, der sich in seinen Eigenschaften von denen der isolierten Metallionen unterscheidet. Die metallischen Reaktionszentrem sind von denselben Liganden umgeben und der Brückenligand ist gut geeignet für intramolekularen Elektronentransfer, besitzt ein konjugiertes System und ist leicht zu reduzieren. Intramolekuarer Elektronentransfer wurde zuerst beim Creutz-Taube-Komplex festgestellt.

Taubes Experiment

Henry Taube wurde im Jahr 1983 für die Entdeckung des intramolekularen Mechanismus mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Die Veröffentlichung kann zusammengefasst werden in folgender Gleichung:

Bedeutend ist, dass Chlorid ursprünglich an Cobalt (das Oxidans), dann an Chrom gebunden wird (in der Oxidationsstufe +3), das dann eine inerte Bindung mit dem Liganden bildet. Die Beobachtung belegt die Zwischenstufe eines Bimetall-Komplexes:

wobei μ-Cl bedeutet, dass das Chlorion Cr- und Co-Atome überbrückt, indem es beiden als Ligand dient. Dieses Chloridion dient dem Elektronenfluss von Cr(II) zu Co(III) unter Bildung von Cr(III) und Co(II).

Ein Komplex der als Modell für die Untersuchungen des intramolekularen Elektronentransfers dient, dient ist der Creutz-Taube-Komplex:

Er enthält zwei Rutheniumkationen mit gemischten Valenzen.

Außerdem gibt es organische Substanzen mit gemischten Valenzen wie z. B. Tetrathiafulvalen und das Radikalkation von N,N,N',N'-Tetramethyl-p-phenylendiamin.

Literatur

  • Bruce S. Brunschwig, Carol Creutz, Norman Sutin: Optical transitions of symmetrical mixed-valence systems in the Class II–III transition regime. In: Chemical Society Reviews. Band 31, Nr. 3, 7. Mai 2002, S. 168–184, doi:10.1039/B008034I.

Einzelnachweise

  1. Eintrag zu inner-sphere electron transfer. In: IUPAC (Hrsg.): Compendium of Chemical Terminology. The “Gold Book”. doi:10.1351/goldbook.I03052 – Version: 2.3.3.
  2. Luisa G. Heinz, Oleksandr Yushchenko, Markus Neuburger, Eric Vauthey, Oliver S. Wenger: Tetramethoxybenzene is a Good Building Block for Molecular Wires: Insights from Photoinduced Electron Transfer. In: The Journal of Physical Chemistry A. Band 119, Nr. 22, 4. Juni 2015, S. 5676–5684, doi:10.1021/acs.jpca.5b03649.
  3. Mélina Gilbert, Bo Albinsson: Photoinduced charge and energy transfer in molecular wires. In: Chemical Society Reviews. Band 44, Nr. 4, 10. Februar 2015, S. 845–862, doi:10.1039/C4CS00221K.
  4. Mirco Natali, Sebastiano Campagna, Franco Scandola: Photoinduced electron transfer across molecular bridges: electron- and hole-transfer superexchange pathways. In: Chemical Society Reviews. Band 43, Nr. 12, 27. Mai 2014, S. 4005–4018, doi:10.1039/C3CS60463B.
  5. Melvin B. Robin, Peter Day: Mixed Valence Chemistry: Advances in Inorganic Chemistry and Radiochemistry. Vol. 10, 1967, S. 247–422 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Henry Taube, Howard Myers, Ronald L. Rich: The mechanism of Electron Transfer in Solution. In: Journal of the American Chemical Society. Band 75, Nr. 16, August 1953, S. 4118–4119, doi:10.1021/ja01112a546.
  7. Jihane Hankache, Oliver S. Wenger: Organic Mixed Valence. In: Chemical Reviews. Band 111, Nr. 8, 10. August 2011, S. 5138–5178, doi:10.1021/cr100441k.
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