Ismene (altgriechisch Ἰσμήνη Ismḗnē) ist eine Person der griechischen Mythologie. Sie war die Tochter von Ödipus und Schwester der Antigone. Als ihre Mutter werden sowohl Iokaste als auch Euryganeia genannt.
Nachdem Ödipus als König von Theben zurückgetreten oder verstorben war, kamen seine beiden Söhne Eteokles und Polyneikes an die Macht. Sie vereinbarten, jährlich abwechselnd zu regieren. Nach dem ersten Jahr aber verweigerte Eteokles den Rücktritt, weshalb Polyneikes Theben mit seinen Verbündeten aus der Argolis angriff (die Sieben gegen Theben).
Ismene war in den thebanischen Helden Periklymenos verliebt. Eines Nachts schlich ihr Tydeus – ein Feldherr der Angreifer – auf Betreiben Athenes nach und überraschte die beiden. Periklymenos floh, Ismene aber wurde von Tydeus getötet. Eine Quelle am Ort dieses Zusammentreffens trägt seither ihren Namen.
Einer weiteren Erzählung zufolge wurden Antigone und Ismene von ihrem Neffen Laodamas, dem Sohn ihres Bruders Eteokles, im Tempel der Hera verbrannt.
In Sophokles’ Tragödie Antigone wird Ismene als eine junge Frau mit einer sanften und gehorsamen Natur dargestellt. Im Gegensatz zu ihrer rebellischen Schwester Antigone ist Ismene eher vorsichtig und ängstlich, was sich in ihrer Haltung gegenüber den Befehlen des Königs Kreon zeigt. Ismene warnt Antigone davor, gegen die Anordnung des Königs zu handeln und ihren Bruder Polyneikes zu bestatten. Sie argumentiert, dass Frauen nicht für politische Angelegenheiten verantwortlich seien und es ihre Pflicht sei, den Gesetzen zu gehorchen. Trotz ihrer Angst vor den Konsequenzen unterstützt Ismene ihre Schwester jedoch moralisch und zeigt Mitgefühl für ihr Schicksal. In einem berühmten Dialog zwischen den beiden Schwestern erklärt Ismene, dass sie Antigones Entscheidung, ihren Bruder zu bestatten, bewundert, aber ihre eigenen Ängste sie daran hindern, sich ihr anzuschließen.
Die Figur der Ismene wird oft als Symbol für diejenigen betrachtet, die sich den Autoritäten beugen und Konventionen folgen, während Antigone für diejenigen steht, die ihre eigenen Überzeugungen und moralischen Prinzipien über die Befehle der Mächtigen stellen. Ismene repräsentiert somit die Komplexität und Vielfalt menschlicher Charaktere und die Spannung zwischen individueller Freiheit und sozialer Ordnung.
Literatur
- Heinrich Wilhelm Stoll: Ismene 3). In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 2,1, Leipzig 1894, Sp. 550 (Digitalisat).
- Erich Bethe: Ismene 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IX,2, Stuttgart 1916, Sp. 2135 f.