Jesuitentheater (auch Jesuitendrama) ist das katholische, lateinischsprachige Barockdrama der Jesuiten, das im 16. und 17. Jahrhundert besonders an jesuitischen Schulen gepflegt wurde. Die Aufführungen brachen mit den Traditionen der christlichen Verkündigung und bedienten sich weltlicher Unterhaltungskonzepte.

Geschichte

Das Jesuitentheater entstand als Antwort auf die Reformation und war Bestandteil der gegenreformatorischen Unternehmungen des Jesuitenordens. Die reformatorischen Lehren begannen um sich zu greifen und die katholische Kirche sah sich harter Kritik ausgesetzt. Das Jesuitentheater verfolgte die Absicht, die Zweifler zurückzugewinnen und die katholische Kirche als triumphierende Siegerin darzustellen. Die Zuschauer sollten hauptsächlich auf emotionaler Ebene angesprochen werden.

In den ersten hundert Jahren seit 1550, der eigentlichen Blütezeit, lehnte sich das lateinischsprachige Drama zunächst stark an das so genannte Humanistendrama an, um bald zu einem prachtvoll ausgestatteten Bekehrungsstück zu werden. Unter den bedeutendsten Autoren auf deutschem Gebiet waren Georg Agricola, Nicolaus von Avancini und Jakob Bidermann. Sämtliche Aufführungen fanden in lateinischer Sprache statt. Sogenannte „Periochen“ (Programmhefte) in deutscher Sprache erleichterten das Verständnis.

Die Dramen wurden nicht nur in den 750 Kollegien der Jesuiten gezeigt (im Pariser Kolleg Louis le Grand gab es sogar drei Bühnen). Es gab Aufführungen in jeder größeren katholischen Stadt und an den Fürstenhöfen. Einer der größten zeitgenössischen Theaterräume in Deutschland war die jesuitische St. Michaelskirche in München.

Die Patres produzierten massenhaft Theaterstücke – Jean-Marie Valentin zählte 7.650 Titel –, die innerhalb von 220 Jahren entstanden. Die Themen kreisten um Kirchengeschichte, christliche Märtyrer, Heiligenlegenden, Mission im fernen Osten und ähnliche religiöse und kirchliche Themen. In den letzten Jahrzehnten erschienen auch klassizistische Stoffe. Dabei wurden die Zuschauer mit dem jesuitischen Weltbild vertraut gemacht.

Nach dem Vorbild des Jesuitentheaters gehörte das Schultheater auch an den Gymnasien anderer Orden, etwa der Franziskaner, zum regelmäßigen Schulprogramm.

Nach 1773 endete die eigentliche Tradition des Jesuitentheaters mit der Aufhebung des Ordens durch Papst Clemens XIV. Auch nach der Wiedereinrichtung des Ordens 1814 hat es Versuche gegeben, diese Einrichtung wieder zu beleben.

Theaterpraxis

Die bunten Aufführungen waren ausgestattet mit Musik, Ballett und Dutzenden von Schauspielern und Statisten, die die Bühne bevölkerten. Die Zuschauer wurden durch barocken Pomp und ein Feuerwerk von Showeffekten in Atem gehalten. Prächtige Bühnenbilder und Requisiten beeindruckten die Zuschauer ebenso wie sämtliche Effekte der damaligen Bühnentechnik: Explosionen, Blitz und Donner, feuerspeiende Drachen, an Leinen herabfliegende Engel und bei infernalischem Lärm von der Erde verschluckte Gespenster. Teilweise wurden die Zuschauer zum Mitspielen animiert und nahmen auf diese Weise emotional an den Freuden und Leiden der Bühnenhelden teil.

Die Aufführungen waren zum Teil von derart beeindruckender Vehemenz, dass von Spontanbekehrungen berichtet wird. So sollen auch anwesende Landesfürsten noch an Ort und Stelle eine Wiederaufnahme in den katholischen Glauben erfleht haben. Die mit drastischen Bühneneffekten dargestellten Höllenqualen haben in ihrer Bildlichkeit offensichtlich eine größere Überzeugungskraft erzielt als argumentative Worte.

Literatur

  • Klaus Beckmann: Joseph Meck (1690–1758), Leben und Werk des Eichstätter Hofkapellmeisters. Phil. Diss., Bochum 1975.
  • Thomas Erlach: Unterhaltung und Belehrung im Jesuitentheater um 1700. Untersuchungen zu Musik, Text und Kontext ausgewählter Stücke. Die Blaue Eule, Essen 2006, ISBN 3-89924-154-1.
  • Willi Flemming: Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge. Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 32, Berlin 1923.
  • Rüdiger Funiok/Harald Schöndorf (Hrsg.): Ignatius von Loyola und die Pädagogik der Jesuiten. Ein Modell für Schule und Persönlichkeitsbildung. (= Reihe Geschichte und Reflexion). Auer, Donauwörth 2000, ISBN 3-403-03225-6.
  • Heinz Kindermann: Theatergeschichte Europas. Band 3. Das Theater der Barockzeit. Otto Müller, Salzburg 1959.
  • William H. McCabe/Louis J. Oldani. An introduction to the Jesuit theater: a posthumous work Series III--Original studies, composed in English; no. 6. St. Louis: Institute of Jesuit Sources, 1983.
  • Johannes Müller: Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665) (= Schriften zur deutschen Literatur. Hrsg. von Günther Müller. Bd. 7–8). 2 Bände. B. Filser, Augsburg 1930.
  • Eduardo Muratta Bunsen: Leidenschaft des Zweifelns: Skepsis und Probabilismus in den Säkulardramen von Calderón de la Barca. Freie Universität, Berlin 2014.
  • Christoph Nebgen: Religiöses Theater (Jesuitentheater), in: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2011, Zugriff am: 11. November 2011.
  • Frank Pohle: Glaube und Beredsamkeit. Katholisches Schultheater in Jülich-Berg, Ravenstein und Aachen (1601–1817). Rhema-Verlag, Münster 2010, ISBN 978-3-930454-94-5.
  • Ingrid Seidenfaden: Das Jesuitentheater in Konstanz. Grundlagen und Entwicklung. Ein Beitrag zur Geschichte des Jesuitentheaters in Deutschland. (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen; Bd. 26). Kohlhammer, Stuttgart 1963.
  • Elida Maria Szarota: Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet: eine Periochen-Edition: Texte und Kommentare. München: Fink, Bd. 1. 1979; Bd. 2. 1980; Bd. 3. 1983; Bd. 4. 1987.
  • Jean-Marie Valentin: Le théâtre des jésuites dans les pays de langue allemande. Répertoire chronologique des pièces représentées et des documents conservés. (1555–1773). 2 Bände. Hiersemann, Stuttgart 1983–1984, ISBN 3-7772-8309-6.
  • Jean-Marie Valentin: Les jésuites et le théâtre. 1554–1680. Contribution à l’histoire culturelle du monde catholique dans le Saint-Empire romain germanique. 2., verb. Ausgabe. Edition Desjonquères, Paris 2001, ISBN 2-84321-031-3.
  • Ruprecht Wimmer: Jesuitentheater: Didaktik und Fest: das Exemplum des ägyptischen Joseph auf den deutschen Bühnen der Gesellschaft Jesu. Das Abendland; n.F., 13. Frankfurt am Main: Klostermann, 1982, ISBN 3-465-01519-3.
  • Ders.: Neuere Forschungen zum Jesuitentheater des deutschen Sprachbereichs. Ein Bericht (1945–1982). In: Daphnis 12, no. 4 (1983): 585–692.

Einzelnachweise

  1. Christian Plath: Zwischen Gegenreformation und Barockfrömmigkeit: Die Franziskanerprovinz Thuringia von der Wiederbegründung 1633 bis zur Säkularisation. Mainz 2010, ISBN 978-3-929135-64-0, S. 250–260.
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