Johannes Brassart (* um 1405 wahrscheinlich in Lowaige bei Tongern (Provinz Limburg); † Herbst 1455) war ein franko-flämischer Komponist.
Leben und Wirken
Johannes Brassart wird in den Rechnungsbüchern der Kollegiatkirche St.-Jean-l’Évangéliste in Lüttich ab dem Jahr 1422 mehrmals als Sänger erwähnt. Er bekam im Jahr 1424 als succentor (anführender Sänger der Gemeinde) ein Stipendium nach Rom, wo er als Sänger der Päpstlichen Kapelle unter Papst Martin V. (Amtszeit 1417–1431) bis 1426 wirkte und dann wieder nach Lüttich zurückkehrte. Zwei Jahre später diente er auch an der Kathedrale St. Lambert in derselben Stadt. Er ging anschließend wieder nach Rom und diente vielleicht noch am Ende der Zeit von Papst Martin, spätestens aber ab dem 24. April 1431 unter Papst Eugen IV. (Amtszeit 1431–1447) in dessen Päpstlicher Kapelle. Sein Name fehlt jedoch bereits ab November 1431 in der Liste der Sänger, und ein Jahr später ist er wieder in Lüttich nachweisbar. Zwei Jahre war er während des Konzils von Basel Mitglied der dortigen Kapelle. Hier begann sehr wahrscheinlich seine zehn Jahre dauernde Verbindung zum Hof des Hauses Habsburg. Ein Dokument vom Dezember 1434, in dem er die Bitte um weitere Gewährung der vom Konzil zugesagten Vergünstigungen trotz Abwesenheit vortrug, zeigt ihn erstmals als Mitglied der Hofkapelle von Kaiser Sigismund (Regierungszeit 1410–1437), die ihren Sitz in Wiener Neustadt und Graz hatte. In einem ähnlichen Gesuch aus dem Jahr 1437, in dem sich Brassart vermutlich zur Krönung von Kaiserin Barbara in Prag aufhielt, wird er „rector capelle“ genannt.
Er blieb auch nach dem Tod des Kaisers in der Hofkapelle, also unter den Nachfolgern Albrecht II. (1438–1439) und Friedrich III. (Regierungszeit 1440–1493); es gibt jedoch Belege, dass er dennoch die Verbindung zu seiner Heimat aufrechterhielt. Der Lütticher Stadtchronist Jean de Stavelot erwähnt Brassarts Anwesenheit für den 29. Juli 1439. Im Jahr 1442 wurde er in Tongern zum Domherrn ernannt und bekam bereits wenige Monate später eine Absenz-Erlaubnis. Zwei Jahre später erhielt Brassart die Ernennung zum Sänger an der Kollegiatkirche Notre-Dame in derselben Stadt und wirkte dort nachweislich bis Juni 1451. Es ist möglich, dass er von dort zur Kaiserlichen Kapelle Friedrichs III. zurückkehrte, war aber mit Sicherheit ein weiteres Mal in Rom, als Friedrich im Jahr 1452 dort zum Kaiser gekrönt wurde. Am 22. Oktober 1455 reichte ein gewisser Arnold Picker wegen der Lütticher Pfründennachfolge ein Bittgesuch ein; dieses Ereignis deutet auf den vorangegangenen Tod des Komponisten hin („in capellam imperatoris cantor et rector ac cantor Eugenii pape IV“). Sein Sterbeort ist nicht überliefert.
Bedeutung
Brassarts Schaffen umfasst ausschließlich kirchenmusikalische Werke (weltliche Kompositionen sind nicht bekannt). Franchinus Gaffurius (1451–1522) erwähnt Brassart in seinem Traktat Practica musicae (Mailand 1496), wo es um Dissonanzbehandlung geht, gemeinsam mit John Dunstable, Gilles Binchois und seinem Kollegen in der Päpstlichen Kapelle Guillaume Dufay. Brassarts Kompositionen zeigen darüber hinaus zahlreiche Berührungspunkte mit den Werken seiner Landsleute Johannes de Limburgia, Arnold de Lantins und Johannes de Sarto. Zusammen mit allen diesen gehört er zur ersten Generation der franko-flämischen Komponisten.
Werke
Der größte Teil von Brassarts Werken ist in zwei Handschriften-Sammlungen überliefert, der sogenannten Aosta-Handschrift und den Trienter Codices; beide weisen enge biografische Bezüge zum Komponisten auf. Gesamtausgabe: Johannes Brassart, Opera Omnia, herausgegeben von Keith E. Mixter, 2 Bände, ohne Ortsangabe 1965 und 1971 (Corpus Mensurabilis Musicae Nr. 35).
- Sätze von Messen (alle dreistimmig)
- Introiten (alle dreistimmig)
- Cibavit eos
- De ventre matris mee
- Dilexisti justiciam
- Gaudeamus omnes
- Nos autem
- Salve sancta Parens
- Sapienciam sanctorum
- Spiritus Domini replevit
- Motetten
- Ave Maria / O Maria zu vier Stimmen, isorhythmisch
- Cristi nutu sublimato zu vier Stimmen
- Fortis com quevis actio zu vier Stimmen
- Gratulemur Cristicole zu drei Stimmen
- Magne decus potencie / Genus regale esperie zu vier Stimmen, isorhythmisch
- O flos fragrans zu drei Stimmen
- O rex Fridrice zu vier Stimmen, isorhythmisch, aus dem Jahr 1440 oder 1442
- Regina celi (mit dem Tropus Alle, Domine) zu drei Stimmen
- Sacris solemniis zu drei Stimmen
- Sumus secretarius zu vier Stimmen
- Te dignitas presularis zu drei Stimmen
- Lied
- Crist ist erstanden zu drei Stimmen
- Werke, für welche die Autorschaft Brassarts angezweifelt wird
- Kyrie zu drei Stimmen (von J. Braxatoris ?)
- Satzpaar Gloria / Credo zu drei Stimmen (herausgegeben von P. Wright 1994)
- Motette Lamberte vir inclite zu vier Stimmen (anonym)
- Motette Romanorum rex, isorhythmisch, zu vier Stimmen (1439)
Literatur (Auswahl)
- Antoine Auda: Musique et musiciens de l’ancien pays de Liège (Lüttich 1930)
- H. Osthoff: Die Niederländer und das deutsche Lied (1400–1460) (Bern 1938, Neudruck Tutzing 1967)
- Ch. van den Borren: Études sur le XVe siècle musical (Antwerpen 1941)
- G. de Van: A Recently Discovered Source of Early XVth Century Polyphonic Music. In: Musica Disciplina 2 (1948), Seite 5–74
- W. H. Rubsamen: Music Research in Italian Libretto. In: Notes 6 (Washington 1948–49)
- Ch. van den Borren: Geschiedenis van de muziek in de Nederlanden 1 (Amsterdam – Antwerpen 1949)
- Suzanne Clercx: Johannes Brassart et le début de sa carrière. In: Revue Belge de Musicologie Nr. 7 (1952), Seite 283–285
- H. Federhofer: Die Niederländer an den Habsburgerhöfen in Österreich. In: Mitteilungen der Kommission für Musikforschung Nr. 6 (Wien 1956), Seite 102–120
- M. Tegen: Basel Konciliet och Kyrkomusiken omkr. 1440. In: Svens tidskrift för musikforskning 39 (1957), Seite 126–131
- Keith E. Mixter: Johannes Brassart and His Works (2 Bände, 1961) (Dissertation an der University of North Carolina)
- Derselbe: Johannes Brassart: A Biographical and Bibliographical Study, Teil 1: The Biography in: Musica Disciplina 18 (1964), Seite 37–62 und Teil 2: The Music In: derselben, Nr. 19 (1965), Seite 99–108
- Derselbe: Isorhythmic Design in the Motets of Johannes Brassart. In: Studies in Musicology, Gedenkschrift G. Haydon, herausgegeben von J. W. Pruett (Chapel Hill 1969)
- J. Quitin: Notes sur Johannes Brassart de Lude (ca. 1400 – après 1444). In: Bulletin de la Société liégoise de musicologie 9 (1974), Seite 7–10
- F. Dangel-Hofmann: Der mehrstimmige Introitus in Quellen des 15. Jahrhunderts (Tutzing 1975, Würzburger musikhistorische Beiträge 3)
- M. W. Cobin: The Aosta Manuscript: A Central Source of Early-Fifteenth-Century Sacred Polyphony, Dissertation an der New York University 1978 (University Microfilms International, Ann Arbor / Michigan, Nr. 7 824 204)
- Keith E. Mixter: Tenores ad longum in the Manuscript Bologna Q15. In: Kongreßbericht Berlin 1974 (Kassel 1980), Seite 263–264
- Reinhard Strohm: Native and Foreign Polyphony in Late Medieval Austria. In: Musica disciplina 38 (1984), Seite 205–230
- S. Meyer-Eller: Johannes Brassart und seine Verbindung mit Johannes de Ragusa. In: Die Musikforschung 39 (1986), Seite 148–152
- L. Finscher (Hrsg.): Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts, 2 Bände (Laaber 1989), Band 2, Kapitel IV (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 3)
- E. Schreurs: La Vie musicale à la collégiale de Notre-Dame à Tongres à l'époque de Johannes Brassart dans la perspective de l’histoire musicale de l’Europe occidentale. In: Bulletin de la Société de liégoise de musicologie 78 (1992), Seite 1–20
- Peter Wright: Johannes Brassart and Johannes de Sarto. In: Plainsong and Medieval Music 1 / 1 (1992), Seite 41–61
- Derselbe: A New Attribution to Brassart? In: Plainsong and Medieval Music 3 / 1 (1994), Seite 23–43
- J. M. Allsen in: Medieval France: An Encyclopedia, herausgegeben von W. W. Kibler und G. Zinn (New York 1995, Garland Encyclopedias of the Middle Ages 2)
Weblinks
- Noten und Audiodateien von Johannes Brassart im International Music Score Library Project
- Gemeinfreie Noten von Johannes Brassart in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- Peter Wright und L. Macy (Hrsg.): Brassart, Johannes In: Grove Music Online (entnommen am 28. Oktober 2010) (Subskription erforderlich)
Quellen
- ↑ Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), Personenteil Band 3, Bärenreiter Verlag Kassel und Basel 2000, ISBN 3-7618-1112-8
- ↑ Marc Honegger, Günther Massenkeil (Hrsg.): Das große Lexikon der Musik. Band 1: A – Byzantinischer Gesang. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1978, ISBN 3-451-18051-0.