Josef und die Frau des Potifar ist eine biblische Erzählung aus dem Buch Genesis (Gen 39,1–20 ). Sie bildet einen Teil der Josefsgeschichte. Es wird erzählt, dass Josef als Sklave nach Ägypten verkauft wurde und bei Potifar eine erfolgreiche Stellung errang. Hierauf habe die Frau des Potifar mehrfach erfolglos versucht, den gutaussehenden Josef zum Ehebruch zu verführen. Als er auf ihre Werbung nicht einging, beschuldigte sie ihn bei ihrem Mann, sich ihr unsittlich genähert zu haben. Daraufhin wurde Josef ins Gefängnis geworfen. Die biblische Erzählung enthält ein weltweit verbreitetes Folklore-Motiv. Sie erscheint neben der Bibel auch im Koran, hat im Judentum und im Islam zu zahlreichen Kommentaren Anlass gegeben und wurde in unterschiedlichsten Formen künstlerisch bearbeitet.
Jüdische Überlieferungen
Zum gesungenen Vortrag im jüdischen Gottesdienst wurden in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten Betonungs- und Kantillationszeichen hinzugefügt, die sogenannten Teamim. Zu den seltensten dieser Zeichen gehört Schalschelet (wörtlich: Kette), das in der gesamten Torah nur insgesamt viermal auftaucht, darunter auch in der Josefsgeschichte. Die hebräische Entsprechung für „Er weigerte sich“ in Gen 39,8 trägt eine solche Schalschelet, die nach einigen rabbinischen Quellen und mittelalterlichen Kommentaren Josefs Zögern im Moment der Verführung zum Ausdruck bringt.
Das anonyme hebräische Volksbuch Sefer ha-Jaschar, zu einem unbekannten Zeitpunkt im Mittelalter entstanden, erzählt unter anderem auch die Geschichte von Josef und der im Buch Genesis namenlosen Frau des Potifar, die hier Suleika bzw. Zelicah genannt wird. Suleika und ihre Mägde seien von der Schönheit Josefs so berückt geworden, dass sie sich mit den Messern, die zum Schälen von Zitronen vorgesehen waren, blutig verletzt hätten.
Islamische Überlieferungen
Die Sure 12 des Korans trägt den Titel Yūsuf und weist starke Ähnlichkeiten mit der biblischen Josefsgeschichte auf. Der Ägypter Potifar erscheint hier unter dem Namen Aziz, seine Frau bleibt namenlos. Yūsufs von hinten zerrissenes Hemd war der Beweis, dass die Frau von Aziz sich nicht vor den Nachstellungen von Yūsuf geschützt hatte, wie sie vorgab, sondern ihn gepackt und zu halten versucht hatte, als er vor ihr entfloh. Als sie ägyptische Frauen zu einem Festessen einlud, übergab sie jeder ein Obstmesser, zusammen mit den Erfrischungen. Sie befahl dann Yūsuf herauszukommen, und „als sie ihn nun sahen, fanden sie ihn großartig und sie schnitten sich (vor Staunen mit dem Messer) in die Hand und sagten: ‚Gott bewahre! Das ist kein Mensch. Das ist nichts (anderes) als ein edler Engel.‘“ Diese Episode wird in der 92. Strophe des Poema de José, eines Beispiels der altspanischen Aljamiado-Literatur, in gereimter Form nacherzählt.
Zahlreiche muslimische Korankommentare beschreiben die Frau des ägyptischen Beamten als zügellose Sünderin. Nicht so jedoch der Dichter Rumi, der in seinem poetischen Hauptwerk Mathnawi („Zweizeiler“) die Geschichte von Yusuf und Suleika nacherzählt. Beim Sufi Dschāmi erscheint Josef in der Tradition der islamischen Mystik als die göttliche Schönheit in Person und Zulaiḫā als wahre Liebende, die ihre Vernunftehe loswerden muss.
Künstlerische Bearbeitungen
Aus der islamischen Kulturwelt sind mehrere persische Miniaturmalereien mit der Liebe zwischen Josef und Suleika als Thema bekannt. Berühmtheit hat die Version von Behzād aus dem Jahr 1488 erlangt.
Seit dem frühen Mittelalter haben sich zahlreiche westliche Künstler vom Thema anregen lassen: Rembrandt hat das Thema mehrfach in unterschiedlichen Techniken behandelt, darunter im Gemälde Joseph und Potiphars Frau sowie weiters in Radierungen und Drucken. Weitere Beispiele stammen unter anderem vom Meister der Josephsfolge, aus der Schedelschen Weltchronik, von Carlo Cignani, Orazio Gentileschi, Guercino, Philipp Veit oder Murillo. Die Bildhauerin Properzia de’ Rossi schuf dazu ein bedeutendes Relief.
Das Ballett Josephs Legende von Richard Strauss, mit dem Libretto von Harry Graf Kessler und Hugo von Hofmannsthal, ist vom biblischen Stoff inspiriert. Zudem gibt es einen britischen Film Potiphar’s Wife, eine adaptierte Fassung aus dem Jahr 1931, mit Nora Swinburne und Laurence Olivier in den Hauptrollen.
Literatur
- James L. Kugel: In Potiphar’s House: The Interpretive Life of Biblical Texts, 2. Auflage, Cambridge: Harvard University Press, 1994.
- Manfred Tiemann: Josef und die Frau Potifars im populärkulturellen Kontext. Transkulturelle Verflechtungen in Theologie, Bildender Kunst, Literatur, Musik und Film. Springer, Wiesbaden 2020.
Einzelnachweise
- ↑ Jonathan Sacks: On Not Trying To Be What You Are Not
- ↑ Sefer ha-Jashar; Or, the Book of Jasher. Aus dem Hebräischen übersetzt. Parry, Salt Lake City, 1887. S. 130.
- ↑ Paret, Sure 12:31
- ↑ Poema de José: Transliteration des Aljamiadotextes nach den beiden Handschriften « A » (BNE ms. 11/9409, früher T 12) und « B » (ms. Res.247, früher Gg. 101) von Gayangos. In: Florencio Janer: Poetas castellanos anteriores al siglo XV, BAE Band 57, Madrid 1864: Strophe 92
- ↑ Vinzenz Rosenzweig von Schwannau: Joseph und Suleïcha; historisch-romantisches Gedicht aus dem Persischen des Mewlana Abdurrahman Dschami übersetzt und durch Anmerkungen erläutert von Vincenz Edler von Rosenzweig
- ↑ Heinrich Krauss: Was Bilder erzählen. C.H.Beck, 2011, ISBN 978-3-406-62408-7, S. 200 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
- ↑ Joseph and Potiphar’s Wife, 1655 by Rembrandt
- ↑ Potiphar’s Wife IMDb