Julius Caesar Scaliger (italienisch Giulio Cesare Scaligero; * 23. April 1484 in Riva del Garda; † 21. Oktober 1558 in Agen, heute Département Lot-et-Garonne) war ein italienischer Humanist, Dichter und Naturforscher.
Leben und Wirken
Nach eigener Darstellung war er ein Mitglied der Familie der Scaliger (della Scala), die etwa 150 Jahre lang die Herren von Verona waren. Als er 12 Jahre alt war, sei er von Maximilian I. unter seine Pagen aufgenommen worden, habe 17 Jahre im Dienst des Kaisers verbracht und sich als Soldat und Hauptmann ausgezeichnet. In dieser Zeit will er mit den wichtigsten Gelehrten und Künstlern der Zeit korrespondiert und bei Albrecht Dürer studiert haben. Nach der Schlacht bei Ravenna 1512, in der er Vater und Bruder verlor, habe er die höchsten Ehren des Rittertums von seinem kaiserlichen Verwandten erhalten, die jedoch rein symbolisch blieben und nicht zu seinem Wohlstand beitrugen.
Er verließ den kaiserlichen Dienst, und nach einer kurzen Beschäftigung bei einem anderen Verwandten, dem Herzog Alfonso I. d’Este von Ferrara, entschied er sich, das Militär zu verlassen. 1514 schrieb er sich als Student an der Universität Bologna ein, wo er den geistlichen Weg einschlug, mit der Intention, Kardinal und schließlich Papst zu werden, wodurch er den Venezianern das Fürstentum Verona würde entreißen können, aus der die Republik seine Vorfahren vertrieben hatte. Er gab diesen Plan bald auf, blieb aber bis 1519 an der Universität.
Die nächsten sechs Jahre verbrachte er nach eigener Angabe auf dem Schloss Vico Nuovo im Piemont als Gast der Familie della Rovere, wobei er seine Zeit im Sommer mit militärischen Expeditionen, im Winter mit Studien in Medizin und Naturgeschichte verbrachte, bis die Gicht ihn zwang, seine militärische Karriere aufzugeben und sich vollständig seinen Studien zu widmen. 1525 begleitete er M. A. della Rovere, den Bischof von Agen, als Arzt in dessen Diözese. Einige Zeit nach Scaligers Tod behaupteten Gegner seines Sohnes Joseph Justus Scaliger, dass er nicht aus der Familie della Scala stamme, sondern der Sohn von Benedetto Bordone sei, einem Beleuchter oder Lehrer aus Verona, dass er in Padua erzogen worden sei, wo er den Grad eines M.D. erlangte, und dass sein eigener Lebensbericht reine Erfindung sei. Seine Biografie bis hier hin wird auch nur durch seine eigenen Aussagen gestützt, von denen tatsächlich einige mit aus anderen Quellen bekannten Fakten nicht in Einklang zu bringen sind.
Die verbleibenden 32 Jahre seines Lebens verbrachte Scaliger fast ausschließlich in Agen. Sie verliefen ohne Abenteuer, sogar fast ereignislos, aber während dieser Zeit erwarb er so große Verdienste, dass er bei seinem Tod 1558 höchsten literarischen und wissenschaftlichen Ruf in Europa genoss. Wenige Tage nach seiner Ankunft in Agen verliebte er sich in eine 13-jährige Waise, Andiette de Roques Lobejac, die Eheschließung wurde jedoch durch ihre Verwandten verhindert, die vorgaben, sie sei bereits mit einem unbekannten Abenteurer verheiratet. Drei Jahre später, 1528, hatte er bereits so viel Ansehen als Arzt erworben, dass die Einwände der Familie hinfällig waren und er als 45-Jähriger Andiette heirateten konnte, die zu der Zeit 16 war. Die Ehe hatte Bestand, Andiette brachte 15 Kinder zur Welt, von denen das zehnte (der dritte Sohn) Joseph Justus Scaliger war.
Die Bekanntschaft mit dem Pestarzt Nostradamus, der sich 1533–1535 in Agen aufhielt, und von dem er sich im Streit trennte, und eine Anklage wegen Häresie im Jahr 1538, von der ihn ihm freundlich gesinnte Richter, darunter sein Freund Arnoul Le Ferron, freisprachen, sind die einzigen nennenswerten Ereignisse in diesen Jahren, neben der Publikation seiner Bücher und den Streitigkeiten, zu denen sie Anlass gaben. 1531 druckte er seine erste Rede gegen Erasmus von Rotterdam, eine Verteidigung Ciceros und der Ciceronen, eine leidenschaftliche Schmähschrift, die wie alle seine folgenden Werke eine erstaunliche Kenntnis des Lateinischen zeigt, glänzende Rhetorik beweist, aber voller ordinärer Verbalinjurien ist, und an Erasmus’ Argumenten völlig vorbeigeht.
Seine Empörung, als er seine Rede mit leiser Verachtung durch den großen Gelehrten behandelt sah, der annahm, es handele sich um die Arbeit eines persönlichen Feindes (Mäander), brachte ihn dazu, eine zweite Rede zu schreiben, brutaler als die erste, beleidigender, mit mehr Selbstbeweihräucherung, aber mit weniger tatsächlichem Inhalt. Ähnliche Fehden zu wissenschaftlichen Fragen führte er mit François Rabelais und Gerolamo Cardano.
Den Reden ließ er eine riesige Menge lateinischer Verse folgen, die er 1533, 1534, 1539, 1546 und 1547 veröffentlichte, und zu denen sich ein freundlicher Kritiker, Mark Pattison, bemüssigt fühlte, das Urteil Pierre Daniel Huets heranzuziehen, der sagte: „par ses poésies brutes et informes Scaliger a deshonoré le Parnasse“ („mit seinen groben und plumpen Gedichten hat Scaliger den Parnasse entehrt“); ihre zahlreichen Ausgaben zeigen jedoch, dass sie nicht nur seinen Zeitgenossen gefielen, sondern auch späteren Gelehrten. Ein kurzer Traktat über komische Metriken (De comicis dimensionibus) und ein Werk De causis linguae latinae (1540) – die früheste lateinische Grammatik nach wissenschaftlicher Methode – waren seine einzigen weiteren rein literarischen Arbeiten, die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden.
Scaligers bedeutendstes Werk, die Poetices libri septem erschien 1561, also nach seinem Tod. Trotz vieler Widersprüche, verächtlichen Kritiken, und vielen Belegen persönlicher Feindseligkeiten – insbesondere in Bezug auf Étienne Dolet, über dessen Tod er sich mit brutaler Bosheit freute – zeigt es dennoch zum ersten Mal, was eine derartige Abhandlung sein und wie sie geschrieben werden sollte.
Scaliger sollte jedoch als Philosoph und Wissenschaftler gesehen werden. Klassische Studien betrachtete er als angenehme Entspannung von ernsthafteren Themen. Wie auch immer seine ersten 40 Jahre gewesen sein mögen, er war sicher ein präziser Beobachter, und machte sich selbst vertraut mit vielen merkwürdigen und wenig bekannten Phänomenen, die er in seinem hervorragenden Gedächtnis abspeicherte.
Seinen wissenschaftlichen Werken gab er durchweg die Form eines Kommentars, und es dauerte bis zu seinem 70. Lebensjahr (mit Ausnahme eines kurzen Traktats über De somniis von Hippokrates, 1539), dass er eines von ihnen als ausreichend abgeschlossen betrachtete, um es veröffentlichen zu lassen. 1556 druckte er seinen Dialogue über Pflanzen (De plantis), den er Aristoteles widmete, 1557 seine Exercitationes zu De subtilitate von Cardano. Seine übrigen Arbeiten, einen Kommentar zu Theophrasts De causis plantarum und eine Übersetzung von Aristoteles’ Zoologie, hinterließ er mehr oder weniger unvollendet, sie wurden erst nach seinem Tod 1566, beziehungsweise 1619, gedruckt. Alle diese Schriften verströmen einen arroganten Dogmatismus und Heftigkeit der Sprache, eine konstante Tendenz zur Glorifizierung des Autors, seltsam kombiniert mit umfangreichem tatsächlichem Wissen und scharfer Schlussfolgerung, sowie einer zuvor in der Neuzeit nicht erreichten Beachtung von Fakten und Details.
Dass er dabei in jeder Art und Weise die induktive Philosophie vorwegnahm, kann nicht ausgefochten werden; seine botanischen Studien führten ihn jedoch nicht, wie seinen Zeitgenossen Conrad Gessner, zu dem Gedanken einer natürlichen Klassifikation, und er wies auch mit äußerster Arroganz und schärfsten Worten die Entdeckungen von Nicolaus Copernicus zurück. In der Metaphysik und der Naturgeschichte war Aristoteles für ihn Gesetz, in der Medizin Galen, wobei er gleichzeitig aber weder ein Sklave des Textes noch der Details blieb. Er hat ihre Prinzipien gründlich aufgenommen und war auch in der Lage zu sehen, wo seine Meister sich selbst untreu wurden: er korrigierte Aristoteles, wo er es konnte.
In diesem Stadium macht er den Versuch, das geschriebene Wort mit den tatsächlichen Gegebenheiten in Einklang zu bringen, mit der Folge, dass seine Ergebnisse keinen wirklichen wissenschaftlichen Wert haben. Ihr Interesse ist rein historisch. Seine Exercitationes zu De subtilitate von Gerolamo Cardano (1551) haben ihn als Philosophen am bekanntesten gemacht. Seine zahlreichen Ausgaben sind Zeugen seiner Popularität, und bis zum Verfall des aristotelischen Weltbildes blieb es eine beliebte Lektüre. Erstaunlich ist sein enzyklopädisches Wissen, wie es die Exercitationes zeigen. Über die Kraft im Stil des Autors, über die Genauigkeit seiner Beobachtungen, muss man jedoch Gabriel Naudé darin zustimmen, dass er mehr Fehler machte, als er selbst bei Cardano entdeckte, und Charles Nisard darin, dass seine Aussagen alles zu widerlegen scheinen, was Cardano bekräftigt, und alles bekräftigt, was Cardano ablehnt. Andererseits erkennen ihn Gottfried Wilhelm Leibniz und William Hamilton als den besten Vertreter der Physik und Metaphysik des Aristoteles an. Martin Opitz übersetzte sein Buch von der Deutschen Poeterey (1624) vollkommen authentisch nach Julius Cäsar Scaligers Werken und setzte es in Bezug zur deutschen Sprache. So trug Scaliger indirekt dazu bei, dass die gelehrte deutsche Dichtung weg vom Latein zu einem geregelten Deutsch fand.
Ehrungen
Nach Julius Caesar Scaliger sind die Pflanzengattungen Scaligera Adans. aus der Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae) und Scaligeria DC. aus der Familie der Doldenblütler (Apiaceae) benannt.
Werke
- Iulii Bordoni Patauini liberalium disciplinarum cultoris ad lectorem Epigrammata. In: Antonius de Fanti: Tabula generalis ac mare magnum Scoticae subtilitatis (…). Venedig 1516.
- Italienische Teilübersetzung von Plutarch: La seconda et ultima parte delle vite (…). Venedig 1525.
- Oratio pro Marco Tullio Cicerone contra Desiderium Erasmum. Paris 1531. (online)
- Nova epigrammata, liber unicus. Hymni duo. Diva Ludovica Sabaudia. 1533.
- Lacrymae. 1534.
- Nemesis, una cum duobus hymnis. 1535.
- Adversus Desiderii Erasmi Roterodami dialogum Ciceronianum oratio secunda. 1537.
- In luctu filii oratio. Lyon 1538. (online)
- Aristotelis liber, qui decimus historiarum inscribitur. Ms. 1538. Lyon 1584. Toulouse 1619. (online)
- Liber de comicis dimensionibus. Lyon 1539. (online)
- Heroes. 1539. (online)
- Hippokrates: Liber de somniis, cum Iulii Caesaris Scaligeri commentariis. 1539. (online) Erweitert Genf 1561.
- De causis linguae Latinae libri XIII. Lyon 1540. (online) Genf 1580. (online) Heidelberg 1597. 1609. 1623.
- Poematia, ad illustrissimam Constantiam Rangoniam. 1546. (online) Lyon 1566. Marburg 1598.
- In duos Aristotelis libros de plantis libri duo. Paris 1556. (online) Marburg 1598.
- Exotericarum exercitationum liber XV, De subtilitate, ad Hieronymum Cardanum. Paris 1557. (online)
- Poetices libri VII. Lyon, Genève 1561. (online) (postum veröffentlicht, Nachdruck 1581, 1586, 1594, 1607, 1617)
- Commentarii et animadversiones in VI libros de causis plantarum Theophrasti (…). Lyon 1566. (online)
- De sapientia et beatitudine libri VIII, quos Epidorpides inscripsit. Genf 1573. (online)
- Poemata, in duas partes divisa. 1574. (online)
- Poemata sacra. Köln 1600. (online)
- Epistolae et orationes. 1600. (online)
Moderne Ausgaben und Übersetzungen
- Luc Deitz, Gregor Vogt-Spira (Hrsg.): Iulius Caesar Scaliger: Poetices libri septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst. 6 Bände. Frommann-Holzboog, Stuttgart 1994–2011
- Ilse Reineke (Hrsg.): Julius Caesar Scaligers Kritik der neulateinischen Dichter. Text, Übersetzung und Kommentar des 4. Kapitels von Buch VI seiner Poetik. Fink, München 1988, ISBN 3-7705-2449-7.
Literatur
- Kristian Jensen: Rhetorical Philosophy and Philosophical Grammar. Julius Caesar Scaliger's Theory of Language. Fink, München 1990, ISBN 3-7705-2633-3.
- Kuni Sakamoto: Julius Caesar Scaliger, Renaissance Reformer of Aristotelianism: A Study of His Exotericae Exercitationes. Brill 2016
Einzelnachweise
- ↑ Lotte Burkhardt: Verzeichnis eponymischer Pflanzennamen – Erweiterte Edition. Teil I und II. Botanic Garden and Botanical Museum Berlin, Freie Universität Berlin, Berlin 2018, ISBN 978-3-946292-26-5 doi:10.3372/epolist2018.
Weblinks
- Culturegraph Informationen über Julius Caesar Scaliger
- Literatur von und über Julius Caesar Scaliger im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Druckschriften von und über Julius Caesar Scaliger im VD 17.
- Kurzbiografie