Klassifikation nach ICD-10
S.31.2 Offene Wunde des Penis
S.31.4 Offene Wunde der Vagina oder Vulva
S.36.9 Verletzung eines nicht näher bezeichneten intraabdominalen Organs
S.39.9 Nicht näher bezeichnete Verletzung des Abdomens, der Lumbosakralgegend und des Beckens
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Eine Kohabitationsverletzung ist eine durch Vaginalverkehr entstandene Verletzung am weiblichen oder am männlichen Genital, manchmal mit Verletzung angrenzender Gewebe und Organe des Beckens.

Bei Mädchen und Frauen

Bandbreite der Verletzungen

Lokalisation

Mögliche Lokalisationen von Kohabitationsverletzungen sind bei der Frau bzw. beim Mädchen im Scheidenvorhof, in der Gegend der Klitoris, am Harnröhrenwulst, am Scheideneingang, an der hinteren Scheidenwand, am hinteren Scheidengewölbe, am Damm. Selten kommen ausgedehnte Läsionen mit Eröffnung von Harnblase, Enddarm und Douglas-Raum vor.

Ätiologie

Ob bei der ersten Kohabitation (Defloration) das Hymen einreißt oder nicht, hängt von seiner Form und Beschaffenheit ab. Falls beim ersten Eindringen des Penis das Hymen einreißt, ist das eine in der Regel nicht behandlungsbedürftige geringfügige Kohabitationsverletzung. Nur in sehr seltenen Fällen bei ungewöhnlich starken Blutungen ist eine chirurgische Versorgung erforderlich.

Beim einvernehmlichen Vaginalverkehr prädisponierende Faktoren für Kohabitationsverletzungen sind ein Missverhältnis zwischen Penis und Vagina, der Zustand in der Zeit des Puerperiums, sowie Veränderungen nach der Menopause bei Involutionserscheinungen, wie dem Vorliegen einer vaginalen Atrophie.

Verletzungen können manchmal bei einer Vergewaltigung entstehen, besonders beim sexuellen Missbrauch eines Kindes, aber auch beim einvernehmlichen Vaginalverkehr erwachsener Partner. Dabei handelt es sich meistens um eine Sonderform des Pfählungstraumas. Verletzungen durch Vergewaltigung betreffen oftmals die Scheidenwand oder das Scheidengewölbe (Fornix vaginae). Vulvovaginale Verletzungen umfassen auch stumpfe Traumen der Vulva. Besonders bei Mädchen treten unter anderem ausgedehnte Quetsch- und Risswunden am Scheideneingang und am Damm auf.

Beim Missbrauch eines Mädchens aber auch bei Vergewaltigung einer Frau können der Hymenalsaum und die Vagina manchmal unversehrt bleiben, während der Damm einreißt (Dammriss) und der Penis ins rectovaginale Gewebe unter Zerreißung des Analschließmuskels bis zum Enddarm eindringt. Es kann zu einer Eröffnung des Douglas-Raums kommen.

Eine Vergleichsstudie (2011) von Frauen, die einvernehmlichen Vaginalsex hatten, und Opfern von Vergewaltigung ergab, dass bei einvernehmlichem Vaginalsex 6,9 Prozent der Frauen Genitalverletzungen hatten. Bei den vergewaltigten Frauen erlitten 22,8 Prozent Genitalverletzungen.

Penetration des Penis in eine Vagina mit einer anatomischen Anomalie, z. B. einem Vaginalseptum oder einer Hymenalatresie führt zu Verletzungen. Durch Einreißen der Schleimhautsegel können starke Blutungen auftreten. In der älteren Fachliteratur sind zwei seltene Fälle beschrieben, beim einen soll ein „habitueller Vaginismus“ und beim anderen eine „Verbildung des Penis“ zu Scheidenverletzungen geführt haben. Weitere Ursachen sind abnorme Sexualpraktiken.

Behandlung

Sofortmaßnahmen

  • sterile Vorlage im Bereich der Vulva
  • keine Tamponade in die Vagina
  • flache Lagerung, Hochlegen der Beine (Winkel 30°).
  • venöse Zugänge für zwei bis drei großlumige Kanülen
  • Analgesie und Anxiolyse
  • Rettungswagen

Weitere Versorgung

Bei oberflächlichen Verletzungen kann die Versorgung unter Lokalanästhesie erfolgen. Die Ersttherapie gravierender Verletzungen wie tiefer und/oder stark blutender Wunden erfolgt chirurgisch durch Nähen unter Narkose, bei tieferen Wunden Gabe eines Antibiotikums.

Aufgrund der Betroffenheit der Frau oder des Kindes ist die sofortige Hinzuziehung einer Psychologin, notfalls eines Psychologen, unerlässlich.

Prävention

Bei einer gesunden Frau mit intakter feuchter Vaginalschleimhaut ist beim einvernehmlichen Koitus die Reibung durch den Penis normalerweise schmerzfrei und bewirkt keine Verletzungen. Bei unzureichender Lubrikation oder übermäßiger zeitlicher Ausdehnung können durch die mechanische Irritation Schleimhautwunden entstehen. Auch der Penis kann vorne wundgerieben werden. Wenn in freier Natur (z. B. Sandstrand) oder auf einer unsauberen Unterlage Sand in die Vagina gelangt, entstehen in der Vagina und am Penis kleine Schürfwunden. Der Sand wird durch die Selbstreinigung der Schleimhaut wieder ausgeschieden. Eine Vaginaldusche würde eine Entzündung an den verletzten Schleimhautstellen eher begünstigen als verhindern.

Verzicht auf Vaginalverkehr für die Zeit des Wochenbetts (siehe Sex nach einer Geburt).

Behandlung einer ggf. bestehenden vaginalen Atrophie.

Rücksichtnahme im partnerschaftlichen sexuellen Umgang.

Die Länge der gedehnten menschlichen Vagina ist individuell verschieden. Der Mittelwert liegt bei 13 cm (+ - 3 cm) und entspricht in etwa der durchschnittlichen Penislänge beim Menschen. Im Ruhezustand ist die Vagina wesentlich kürzer. In einer Studie von 1993 wurden als Mittelwert 9,2 cm angegeben, in einer Studie von 2006 nur 6,27 cm bei einer Variation der Längen zwischen 4,1 und 9,5 cm.

Bei tiefem Eindringen, bei mangelnder Erregung der Frau, wenn ihre Vagina noch ihrem Ruhezustand ist, kann das Anstoßen des Penis am Muttermund Schmerzen auslösen. Wird von einem relativ langen Penis die Dehnungsfähigkeit der Vagina überschritten, kommt es zu Dyspareunie und möglicherweise einer Kohabitationsverletzung und Entzündung. Ein entsprechendes Missverhältnis kann bei einer sehr kurzen Vagina auftreten. Die Prävention besteht in beiden Fällen darin, auf genügend Klitorisstimulation zu achten und tiefes Eindringen zu vermeiden.

Bei Jungen und Männern

Bandbreite der Verletzungen

Mögliche Verletzungen durch Vaginalverkehr sind Hautläsionen am Penis oder ein Riss des Vorhautbändchens (Frenulum praeputii penis). Eine typische Kohabitationsverletzung ist die Penisruptur als besonders schwere Form eines Penistraumas, außerdem Hodentrauma und Nebenhodenverletzung. Die Gefahr einer Penisruptur besteht, wenn der Penis im erigierten Zustand stark nach unten gebogen wird.

Behandlung

Jede Verletzung am männlichen Genital und der Analregion bedarf einer ärztlichen Untersuchung. Je nach Befund wird entschieden, ob sie konservativ oder chirurgisch behandelt wird. Eine Penisruptur ist ein medizinischer Notfall und bedarf der sofortigen chirurgischen Versorgung.

Prävention

Vorbeugende Faktoren umfassen Rücksichtnahme im sexuellen Umgang, Sicherstellen ausreichender Lubrikation in der Vagina, Verwendung von Gleitmittel und Verzicht auf Penetration bei bestehender Balanitis. Es sollten weiterhin Sexpositionen vermieden werden, die den Penis verbiegen, ebenso unachtsame Kopulationsbewegungen, bei denen der Penis herausrutschen und bei der nächsten Vorwärtsbewegung auf das knöcherne Becken der Partnerin auftreffen kann.

Männliche Opfer von Übergriffen

Männer erleiden als Opfer von sexuellen Übergriffen noch häufiger Verletzungen als Frauen, ebenso und in noch höherem Ausmaß Jungen, die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs werden. Zu den Folgen zählen Läsionen am Genital, Blutungen, Analfissuren, Risse der Analschließmuskeln. Da sich die Betroffenen oft nicht sofort in ärztliche Behandlung begeben und manchmal aus Scham unwahre Angaben machen, erfordern möglicherweise sexuell bedingte Verletzungen – sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Patienten – von Ärzten besondere Wachsamkeit und ein geschultes Auge.

Einzelnachweise

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  2. Albrecht Pfleiderer, Meinert Breckwoldt, Gerhard Martius: Gynäkologie und Geburtshilfe. 4. Auflage. Thieme Verlag, 2001, S. 472–473.
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  4. Eckart Petri, Heinz Kölbl: Gynäkologische Urologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/New York 2013, ISBN 978-3-13-639104-4, S. 351.
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