KZ Sonnenburg
Lage des KZ Sonnenburg im heutigen Polen

Das Konzentrationslager Sonnenburg entstand am 3. April 1933 als frühes Konzentrationslager für politische Gefangene auf Initiative des preußischen Ministeriums des Inneren und der Justiz in Sonnenburg bei Küstrin (an der Oder) in einem ehemaligen, wenige Jahre zuvor geschlossenen Zuchthaus. Ende Januar 1945 fand das größte Massaker an Inhaftierten in der Endphase sowie der größte Massenmord an luxemburgischen Staatsangehörigen während des Zweiten Weltkriegs statt. Auf dem Gelände des nach dem Krieg abgetragenen Zuchthauses befindet sich eine Gedenkstätte und das Martyriumsmuseum Sonnenburg.

Geschichte

Obwohl die hygienischen Verhältnisse in dem 1930 geschlossenen Bau katastrophal waren, empfahlen Beamte des preußischen Justizministeriums diesen als günstigen Standort. Sie schätzten die Aufnahmekapazität des Gebäudes auf 941 sogenannte Schutzhäftlinge ein, die in Massenzellen zu je 20, 30 und 60 Personen oder in Einzelzellen inhaftiert werden sollten.

Am 3. April 1933 kamen die ersten 200 Gefangenen zusammen mit 60 SA-Hilfspolizisten aus dem Berliner Polizeipräsidium. Später erfolgte auf Anordnung des preußischen Gestapo-Chefs Rudolf Diels die Deportation von Häftlingen aus der Strafanstalt Gollnow in Pommern nach Sonnenburg, wodurch die Zahl der Inhaftierten auf 1.000 Menschen anstieg.

Das Konzentrationslager Sonnenburg wurde am 23. April 1934 geschlossen; das Zuchthaus bestand weiter. Seit Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 bestand das Konzentrationslager (bzw. Straflager) bis 1945 weiterhin als Konzentrations- und Arbeitslager für angeblich deutschfeindliche Personen aus dem besetzten Ausland. Unter anderem waren dort die Widerstandskämpfer Jean-Baptiste Lebas und Bjørn Egge inhaftiert. Der Vater des später umstrittenen Erzbischofs Marcel Lefebvre, René Lefebvre, starb 1944 im Lager an den Folgen der ihm zugefügten Misshandlungen. Im Zuchthaus Sonnenburg waren zwischen 1942 und 1945 weit über 1500 Nacht-und-Nebel-Häftlinge aus Frankreich, Belgien, Holland und Norwegen inhaftiert.

Als der Zweite Weltkrieg sich dem Ende näherte und sowjetische Truppen heranrückten, ereignete sich im Zuchthaus Sonnenburg das größte Massaker an Inhaftierten in der Endphase des Zweiten Weltkriegs.

Gestapobeamte aus Frankfurt/Oder unter dem Kommando von SS-Hauptsturmführer Wilhelm Nickel erschossen auf Anordnung des Staatssekretärs Herbert Klemm in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 819 Häftlinge. An der Erstellung der Selektionsliste war auch der Leiter des Gefängnisses Theodor Knops beteiligt. Zu den Ermordeten gehörten Franz Petrich und Karl Hübener, Kurt Nelke und Richard Traut, Angehörige einer Berliner KPD-Widerstandsorganisation.

Unter den Exekutierten befanden sich auch 91 Luxemburger Zwangsrekrutierte. Dieser größte Massenmord an Luxemburgern während des Zweiten Weltkrieges bleibt als „Massaker von Sonnenburg“ in Erinnerung. Jedes Jahr wird ihrer durch eine Zeremonie am Kanounenhiwwel in der Stadt Luxemburg offiziell gedacht.

Am 2. Februar 1945 erreichten Einheiten der sowjetischen 8. Gardearmee Sonnenburg und befreiten die nach der Evakuierung des Zuchthauses und der Flucht der Zuchthausleitung dort noch verbliebenen wenigen Häftlinge, darunter vier Überlebende des Massakers. Eine sowjetische Untersuchungskommission sicherte zwischen dem 2. und 10. Februar die Spuren des Verbrechens und konnte einen Teil der Opfer identifizieren. In diesem Zusammenhang entstanden die weltweit verbreiteten Film- und Fotoaufnahmen des Leichenberges im Zuchthaus Sonnenburg.

Juristische Aufarbeitung

„Die im Konzentrationslager und späteren Zuchthaus Sonnenburg 1933 bis 1945 verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden nie systematisch und konsequent strafrechtlich verfolgt. Ausnahmen stellten lediglich die gerichtliche Verfolgung des SA-Oberführers Staatssekretär Herbert Klemm im Reichsjustizministerium unter Otto Thierack, im Rahmen des Nürnberger Juristenprozesses, die Ermittlungen gegen den SS-Wachmann Heinz Adrian sowie die wiederholten Ermittlungen der polnischen Hauptkommission zur Untersuchung der Nazi-Verbrechen in Polen (Główna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce/ GKBZHwP) dar. Insbesondere bundesdeutsche Behörden verhinderten eine juristische Aufarbeitung, indem sie Amtshilfegesuchen nicht nachkamen oder die Täter in eigenen Verfahren freisprachen.“

Justizorgane in der sowjetischen Besatzungszone führten bald nach Kriegsende Zeugenbefragungen durch, die zur Ergreifung von Georg Runge, dem stellvertretenden Direktor des Zuchthauses, führten. Er wurde 1946 wegen seiner Mitverantwortung für das Massaker von einem sowjetischen Militärgericht in Rathenow zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Jurist und Staatssekretär Herbert Klemm wurde beim Nürnberger Juristenprozess unter anderem wegen seiner Verantwortung für die Räumung des Zuchthauses verurteilt. Ein Prozess vor dem Landgericht in Kiel gegen die Gestapoleute Heinz Richter, der die Exekution vom 30./31. Januar 1945 angeordnet, und Wilhelm Nickel, der die Exekution leitend ausgeführt hatte, führte 1970 jedoch zum Freispruch von der Anklage einer Beihilfe zum Totschlag. Das Urteil löste große Empörung im In- und Ausland aus. Die bedeutsamen strafrechtlichen Erkenntnisse aus dem Nürnberger Juristenprozess fanden jedoch bereits 1949, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, keine Beachtung mehr.

Seit 2014 ermittelt die polnische Staatsanwaltschaft erneut wegen des Verdachts von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Personal

Als Kommandanten fungierten:

  • SA-Sturmführer Bahr
  • Polizeioberleutnant Gerhard Paessler
  • Polizeileutnant Bark
  • Polizeioberleutnant Siegmund
  • SA-Sturmführer Jahr
  • SS-Untersturmführer Paul Breuning

SA-Sturmführer Bahr befehligte zunächst die berüchtigten Berliner SA-Stürme 1 Horst Wessel und 33 Mordsturm Maikowski, denen die Bewachung der Inhaftierten oblag. Dazu kamen als Verstärkung Angehörige der Polizei. Ende April 1933 wurden die Berliner SA-Leute durch solche aus Frankfurt/Oder ersetzt. Ende August übernahm dann, wie auch in vielen anderen Konzentrationslagern, die SS mit 150 Angehörigen der SS-Standarte 27 aus Frankfurt/Oder das Kommando.

Häftlinge

Im KZ Sonnenburg inhaftierte das NS-Regime während der ersten Jahre seiner Herrschaft und lange vor Kriegsanfang vornehmlich Kommunisten und Sozialdemokraten. Zu diesen gehörten unter anderem (in alphabetischer Reihenfolge):

Literatur

  • André Hohengarten: Das Massaker im Zuchthaus Sonnenburg vom 30./31. Januar 1945. mit einem Vorwort von Henri Koch-Kent. Imprimerie Saint-Paul, Luxemburg 1979.
  • Przemysław Mnichowski: Obóz koncentrayjny i więzienie W Sonnenburgu (Słońsku) 1933–1945. [Das Konzentrationslager und Zuchthaus in Sonnenburg (Słońsk)], Warschau 1982.
  • Klaus Drobisch, Günther Wieland: System der NS-Konzentrationslager. 1933–1939. Akademie-Verlag, Berlin 1993, ISBN 3-05-000823-7.
  • Kaspar Nürnberg: Außenstelle des Berliner Polizeipräsidiums: Das „staatliche Konzentrationslager“ Sonnenburg bei Küstrin. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Herrschaft und Gewalt. Frühe Konzentrationslager 1933–1939. (= Geschichte der Konzentrationslager 1933–1945. Teil 2). Metropol-Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-932482-82-4, S. 83–100.
  • Christina Morina: Die „Folterhölle Sonnenburg“. Gedenkstätte ehemaliges Konzentrationslager Sonnenburg/Słonsk 1933–1945. Herausgegeben vom Rotary Club Frankfurt (Oder) und der Stadt Słonsk. Frankfurt (Oder) 2004.
  • Kaspar Nürnberg: Sonnenburg. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 2: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52962-3, S. 200–207.
  • Muzeum Martyrologii w Słonsku. (= Martyrium Museum in Sonneburg). Text in polnischer u. deutscher Sprache. Muzeum Martyrologi w Słonsku 2014, ISBN 978-83-63189-55-6.
  • Hans Coppi, Kamil Majchrzak (Hrsg.): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. Metropol Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-86331-227-5.
  • Kamil Majchrzak: Möglichkeiten europäischer Erinnerungsarbeit. Das deutsche Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. In: informationen. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945. Heft 89, 2019.
Commons: Zuchthaus Sonnenburg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. TK25 Blatt 3454 Sonnenburg – Ausgabe 1938 (Memento vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive)
  2. Gerhard Paul: „Diese Erschießungen haben mich innerlich gar nicht mehr berührt.“ Die Kriegsendphasenverbechen der Gestapo 1944/45. In: Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul: Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Heimatfront“ und besetztes Europa. Primus-Verlag, Darmstadt 2000, ISBN 3-89678-188-X, S. 543–568, hier S. 557. Als Zahl der Getöteten wird 740 angegeben (ohne Nachweis).
  3. Namen in: Wolfgang Schumann, Olaf Groehler (Ltg.): Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Band 6: Die Zerschlagung des Hitlerfaschismus und die Befreiung des Deutschen Volkes (Juni 1944 bis zum 8. Mai 1945). Pahl-Rugenstein, Köln 1985, S. 644. Als Zahl der Getöteten wird 810 angegeben (ohne Nachweis).
  4. Massaker von Sonnenburg – Massenmord nach 70 Jahren noch tief im Gedächtnis. In: Luxemburger Wort. 30. Januar 2015; abgerufen am 27. Oktober 2015.
  5. Kamil Majchrzak: Die juristische (Nicht-)Aufarbeitung der Verbrechen im KZ und Zuchthaus Sonnenburg. In: Hans Coppi, Kamil Majchrzak (Hrsg.): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. Metropol Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-86331-227-5, S. 200.
  6. Kamil Majchrzak: Die juristische (Nicht-)Aufarbeitung der Verbrechen im KZ und Zuchthaus Sonnenburg. In: Hans Coppi, Kamil Majchrzak (Hrsg.): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. Metropol Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-86331-227-5, S. 202.
  7. Mitteilung des Institutes der Nationalen Erinnerung (IPN) in Szczecin (OKŚZpNP S 24/14/Zn ipn.gov.pl (Memento vom 20. Dezember 2015 im Internet Archive)) hinsichtlich Wiederaufnahme des Verfahrens nach dessen Aussetzung, betreffend NS-Verbrechen im Zuchthaus Sonnenburg in Słońsk in den Jahren 1942–1945.
  8. 1 2 Gerhard Hoffmann: Antifaschistischer Widerstand in Frankfurt/Oder und Umgebung. 1999, ISBN 3-932725-92-1, S. 75.
  9. Gerhard Hoffmann: Antifaschistischer Widerstand. 1999, S. 4.

Koordinaten: 52° 33′ 52″ N, 14° 48′ 36″ O

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