Ein Kurswagen ist ein Reisezugwagen der Eisenbahn, der abschnittsweise einen vom restlichen Zug abweichenden Laufweg hat. Haben mehrere Kurswagen einen gemeinsamen Laufweg spricht man von einer Kurswagengruppe. Der Zug, der einen Kurswagen oder eine Kurswagengruppe mitführt, wird in diesem Fall als Stammzug, Hauptzug oder Kurswagenträger bezeichnet.
Der Wagen wird entsprechend einzeln von einem Zug auf den anderen „umgestellt“. Auf diese Weise wird eine umsteigefreie Verbindung auf nicht stark frequentierten Routen garantiert. Wegen der personal- und zeitaufwändigen Rangierbewegungen und verdichteter Taktfahrpläne gibt es in Westeuropa nur noch selten Kurswagenverbindungen. Die auch im Fernverkehr immer mehr eingesetzten Wendezüge (Frankreich ab 1978, Deutschland ab 1995, Österreich seit Mitte der 2000er Jahre) haben nur selten Kurswagen am Steuerwagen oder an der Lokomotive angekuppelt. In dieser Konfiguration ist keine durchgehende Begehbarkeit gegeben. Bei Triebzügen und hier ganz besonders bei aerodynamisch optimierten Hochgeschwindigkeitszügen sind keine Kurswagen möglich. Auf vielen Strecken wurden die Kurswagen durch das Flügelzugkonzept abgelöst.
In Deutschland gibt es Kurswagenverbindungen fast nur noch im Zubringerverkehr zu den Nordsee-Inseln Föhr und Amrum auf der Strecke Niebüll–Dagebüll sowie bei Nachtreisezügen. In anderen Ländern kommen Kurswagen noch häufiger zum Einsatz. So verkehren z. B. die Paradezüge Bernina-Express und Glacier-Express der Rhätischen Bahn und der Matterhorn-Gotthard-Bahn (Schweiz) in der Nebensaison häufig bloß als Kurswagen. In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben Kurswagen einen vergleichsweise hohen Anteil am Eisenbahnverkehr. Aufgrund der oft großen Entfernungen, die zu mehrtägigen Reisezeiten führen können, fällt der Zeitverlust durch Rangieren hier weniger ins Gewicht.
Ein Beispiel für Kurswagenläufe war die Zuggattung D-Nacht. Es handelt sich dabei um von verschiedenen Bahngesellschaften zusammen angebotene D-Zug-Nachtverbindungen nach Osteuropa. D-Nacht-Verbindungen ab Deutschland gibt es nicht mehr: Der D-Zug von Berlin nach Kiew (mit Kurswagen nach Kaliningrad, Lemberg, Dnipro, Donezk, Simferopol, Charkiw und Odessa) wurde Ende 2012 von der UZ aufgrund mangelnder Rentabilität eingestellt. Auch der mit Wagen der RŽD gefahrene D-Zug Berlin – Saratow (mit Kurswagen nach Nowosibirsk, St. Petersburg, Tscheljabinsk und Omsk) wurde zum Fahrplanwechsel 2013 eingestellt.
Die weltweit längste umstiegsfreie Eisenbahnverbindung ist die circa neun Tage dauernde Fahrt über 10.272 Kilometer mit dem Kurswagen Moskau–Pjöngjang, der jeweils am 11. und 25. eines Monats ab Moskau verkehrt. Er ist an den Zug Nummer 2 „Rossiya“ Moskau–Wladiwostok angehängt und benutzt nach der Abkupplung in Ussurijsk den Grenzübergang bei Chassan/Tuman-gang.
Zu Zeiten der Deutschen Reichsbahn war Berlin Zentrum des deutschen Kurswagenverkehrs. Im Urlaubsverkehr bestanden von dort aus zahlreiche direkte Wagenläufe in alle Himmelsrichtungen, so nach Norden in Richtung Dagebüll oder Treptow an der Rega, nach Süden in Richtung Garmisch-Partenkirchen oder Radiumbad Oberschlema, nach Westen in Richtung Baden-Baden oder Wildbad, sowie in östlicher Richtung beispielsweise nach Hirschberg (Riesengebirge).
Umfangreich war ebenso der internationale Kurswagenverkehr. Vor 1939 war z. B. der Verkehr zwischen Westeuropa und den 1918 neu gegründeten Staaten Mittelosteuropas von großer Bedeutung, speziell die Relation von Paris bzw. Oostende über Aachen–Berlin, und weiter Richtung Riga (Nord-Express) über Königsberg (Preußen) oder nach Bukarest über Breslau. Von herausragender Bedeutung bei diesen Relationen war Berlin Schlesischer Bahnhof (heute Ostbahnhof). Besondere Kurswagen verkehrten ab 1919 nach Ostpreußen, sogenannte „Korridor-Kurswagen“. Sie verbanden Deutschland über polnisches Staatsgebiet mit der durch Grenzänderung entstandenen Exklave Ostpreußen und den bei Deutschland verbliebenen Restgebieten Westpreußens im Rahmen eines privilegierten Durchgangsverkehrs. Tägliche Kurswagenverbindungen verkehrten so von Breslau über Posen nach Königsberg und von Berlin nach Eydtkuhnen.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Kurswagen nicht nur als Personenwagen, sondern auch als Gepäck- und Stückgutwagen eingesetzt.
Siehe auch
Literatur
- Wilfried Biedenkopf: Quer durch das alte Europa. Die internationalen Zug- und Kurswagenläufe nach dem Stand vom Sommer 1939. Verlag und Büro für Spezielle Verkehrsliteratur Röhr, Krefeld 1981, ISBN 3-88490-110-9.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Jürgen Janicki, Horst Reinhard: Schienenfahrzeugtechnik. 2, Überarbeitete und erweiterte Auflage. Bahn Fachverlag, Mainz 2008, ISBN 978-3-9808002-5-9, S. 353 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 27. August 2016]). „Mit Einführung verdichteter Taktfahrpläne musste die Verweilzeit am Bahnsteig aus Kapazitätsgründen verkürzt werden. Statt eines Lokwechsels kamen im Fernverkehr nur noch Wendezüge mit Steuerwagen und als Alternative dazu Triebzüge infrage.“
- ↑ Wagenreihungen 2011/2012: D 445 „Kashtan“
- ↑ Nachtzüge in Europa: Bahn streicht Direktverbindung von Berlin nach Kiew, Matthias Meisner / Die Welt, 22. September 2012.
- ↑ Wagenreihungen 2012/2013: D 1249
- ↑ Rekordstrecke: Bahnverbindung Berlin-Nowosibirsk wird eingestellt, Berliner Morgenpost, 12. November 2013.
- ↑ „Forenbeitrag D1249 Berlin-Saratov ab Fahrplanwechsel“ mit Links auf russischsprachige Medien
- ↑ Die verbotene Eisenbahn nach Nord Korea. In: www.andersreisen.net. 4. Dezember 2009, abgerufen am 25. Juli 2016.
- ↑ Blog über die Bahnfahrt (englisch)
- ↑ Kurswagen. In: Victor von Röll (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Auflage. Band 7: Kronenbreite–Personentarife. Urban & Schwarzenberg, Berlin / Wien 1915, S. 44.